zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Mann mit Eigenschaften

In seinem ersten Jahr als Bundesbankpräsident hat Jens Weidmann leise Töne angeschlagen – und damit viel erreicht.

Kritische Stimmen sind kaum zu vernehmen. Jens Weidmann kommt gut an: bei den Mitarbeitern in der Bundesbank, bei geldpolitischen Beobachtern, bei Bankern und auch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), obwohl er dort nicht selten von der herrschenden Meinung abweicht. Der auch mit 44 Jahren immer noch jugendlich wirkende Bundesbankpräsident darf sich nach einem Jahr an der Spitze der wichtigsten Notenbank im Euroraum über Lob freuen, selbst wenn vieles in der EZB und in der Schuldenkrise bei weitem nicht so läuft wie sich der frühere Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das wünscht. Verzagen will Weidmann nicht. Kapitulation komme für ihn überhaupt nicht infrage, heißt es in der Bank. Weidmann werde weiter unbeirrt für seine Überzeugungen werben. „Und damit kann er“, sagt ein Insider, „einen gewissen Schwung produzieren.“

Dass Weidmann ankommt, liegt an seiner klaren, offenen Argumentation und daran, dass er anders als manche Vorgänger nicht mit professoralem Duktus auftritt, sondern ruhig und unaufgeregt. „Inhaltlich ist Weidmann nicht weit weg von seinem Vorgänger Axel Weber, aber er ist konsensorientierter“, sagt Michael Schubert, EZB-Beobachter bei der Commerzbank. Auch Weidmann missfällt das Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen. Er plädiert nachdrücklich dafür, mit der Diskussion über den Ausstieg aus den anderen Sondermaßnahmen der EZB zu beginnen. Weiteren Drei-Jahres-Sonderkrediten für die Banken, wie sie zum Teil gefordert werden, steht Weidmann höchst skeptisch gegenüber, weil sie den Reformdruck für die Banken mindern würden. Rund eine Billion Euro hatte die EZB im Dezember und Februar so den Instituten gewährt.

„In der Geldpolitik geht es um den Ausstieg aus den krisenbedingten Sondermaßnahmen sowie um eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten von Geld- und Fiskalpolitik.“ Das hat Weidmann in seiner Antrittsrede am heutigen Mittwoch vor genau einem Jahr gesagt. Doch weil die Krise sich weiter verschärfte, ist aus dem geforderten Ausstieg nichts geworden. Trotzdem steht der jüngste Bundesbank-Chef unbeirrt zu diesem Credo. Es sieht sich in der Tradition seiner meist deutlich älteren Vorgänger. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit sind für ihn das Wesensmerkmal der Bundesbank, an denen nicht gerüttelt werden darf. Das gilt in seinen Augen auch für die EZB. Kein Verständnis hat er, wenn andere Notenbanker und Politiker meinen, ein bisschen Staatsfinanzierung über die Zentralbank sei doch kein Problem. Genau dies sei das Problem, glaubt er. Selbst wenn die Geldschleusen nur ein wenig geöffnet werden, lassen sie sich nur schwer wieder schließen. Außerdem befürchtet er, dass Regierungen verleitet werden, in ihren Konsolidierungs- und Reformbemühungen nachzulassen.

Solche Positionen vertritt Weidmann freundlich und bestimmt auch gegenüber der Kanzlerin, für die er fünf Jahre als enger Berater gearbeitet und auf deren Wunsch er nach Frankfurt gegangen ist. Respekt ist ihm trotzdem sicher. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss sich mitunter Kritik Weidmanns anhören, was ihn – wie gerade am Rande der IWF-Frühjahrstagung in Washington geschehen – nicht davon abhält, öffentlich ein Geburtstagsständchen für ihn zu trällern. Mag sein, dass Weidmanns Kritik in Berlin insgeheim nicht nur auf Wohlgefallen stößt, doch aus dem Regierungslager stellt sich niemand offen gegen den Bundesbankpräsidenten. Und seine fachliche Eignung stellt erst recht niemand infrage.

Bestimmtheit gepaart mit Bescheidenheit hilft Weidmann, glaubt EZB-Beobachter Schubert, auch im Eurotower. Der Bundesbankchef sei keineswegs isoliert. Weidmann dringe besser durch als Weber. „Eigentlich hätte man erwartet, dass die EZB den Aufkauf von Staatsanleihen nach dem jüngsten Aufflammen der Krise wieder aufnimmt. Tatsächlich hält sie sich seit Wochen zurück“, sagt Schubert. Auch Uwe Angenendt findet lobende Worte für Weidmann. „Er drängt nicht so in die Öffentlichkeit wie andere Präsidenten. Keiner seiner Vorgänger hat in einem Jahr weniger Reden gehalten als Weidmann“, sagt der Chef-Volkswirt der BHF-Bank über das „ordnungspolitische Gewissen der EZB“.

Ulrich Kater, Chefökonom der Deka-Bank, erinnert daran, dass es aus Südeuropa Forderungen gab, die EZB möge sich in der Krise mehr engagieren. „Weidmann steht dafür, dass das nicht passiert ist. Die deutsche Position ist bei ihm in besten Händen.“ Auch in der Bundesbank selbst kommt Weidmann bestens an. Das liege, sagen Beobachter, auch daran, dass der promovierte Volkswirt und Politologe zuhört. „Weidmann ist ein Teamarbeiter, er konsultiert und bespricht sich, auch wenn er letztlich natürlich die Richtung vorgibt“, weiß Kater.

Allüren sind ihm fremd. „Weidmann direkt“ heißt eine Gesprächsrunde, die er in der Bundesbank gestartet hat – nicht mit Professoren, sondern mit den Mitarbeitern. Gerade hat er dabei rund 300 Bundesbankern Rede und Antwort gestanden. Auch wenn Weidmann als Leiter der Abteilung Geldpolitik schon einmal von 2004 bis 2006 bei der Bundesbank war, glaubt er, viel mehr über das von ihm geleitete Haus in Erfahrung bringen zu müssen. Dafür bleibt noch reichlich Zeit: Der Vertrag des gebürtigen Westfalen läuft bis zum Jahr 2019.

Zur Startseite