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In einer Ausbildung würde der Barkeeper, der hier an den Deutschen Cocktail-Meisterschaften teilnimmt, weitaus weniger verdienen als beim Jobben.

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Der Mindestlohn und die Jugend: Jobben statt Ausbildung?

Politik und Wirtschaft streiten darüber, ab welchem Alter der Mindestlohn gelten soll. Das Problem: Er könnte Jobs attraktiver machen als eine Ausbildung.

Feierabend. Stammkneipe. Bargespräch. Nach anstrengenden acht Stunden sitzt Peter auf seinem Lieblingshocker an der Theke und lässt sich ein Bier zapfen. Er ist oft hier, kennt die Leute, wird seine Sorgen los. Manchmal geht es dabei um Beziehungsstress, manchmal ums Geld. 485 Euro verdient er in seinem ersten Ausbildungsjahr. Das sind knapp drei Euro die Stunde. Während er von Urlaubsplänen spricht, die er sich nicht leisten kann, hört ihm die junge Frau hinter der Bar zu und spült ein Glas. Sie jobbt hier für sieben Euro. Trinkgeld kommt noch dazu.

Weil der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro einen Job noch attraktiver machen würde als eine Ausbildung, soll er nach der Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) erst ab 18 Jahren gelten. Ein typischer Kompromisswert: Die Union möchte die Grenze bei 21 oder besser noch 23 Jahren ziehen. Die Vorschläge aus der Wirtschaft reichen bis zu 25 Jahren. Die Gewerkschaften möchten überhaupt keine Altersgrenze, und die Linke droht mit einer Klage gegen das Gesetz. Wegen der regen Diskussion haben die Spitzen der Koalition einen Prüfauftrag an die beteiligten Ministerien erteilt. Am Mittwoch berät das Kabinett.

Die Auszubildenden sind heute älter als früher

Eine Grenze bei 18 Jahren ist für die SPD deswegen sinnvoll, weil sie zwischen Jugendlichen, die ihr Taschengeld aufbessern wollen, und jungen Erwachsenen, die von ihrem Geld leben müssen, unterscheide. Eine höher angesetzte Grenze würde hingegen dazu führen, dass Arbeitgeber Ältere durch Jüngere ersetzen könnten, um ein paar Euro zu sparen. Aus Sicht der CDU verkennt die SPD aber das heutige Durchschnittsalter eines Auszubildenden: 18 Jahre alt waren Azubis im Schnitt Anfang der 90er Jahre. Heute sind sie rund 20 Jahre alt. Weil eine Berufsausbildung in der Regel drei Jahre dauert, hätten die Jugendlichen nach der Logik von Andrea Nahles schon mitten in ihrer Ausbildung ein Anrecht auf den Mindestlohn. Aus diesem Grund will die CDU die Marke bei mindestens 21 Jahren ansetzen. Eine noch bessere Voraussetzung wäre ihrer Ansicht nach eine abgeschlossene Ausbildung.

Für ein Forscherteam des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) steht die ganze Diskussion auf einem bröckeligen Fundament: Ihm zufolge gibt es keine Statistik, keine Umfrage oder Studie, die aussagt, dass Jugendliche wegen eines Mindestlohns ihre Ausbildung hinschmeißen und stattdessen jobben gehen. Außerdem würden die Parteien nur über eine ganz kleine Gruppe von Jugendlichen sprechen. Mehr als 90 Prozent der 15- bis 19-Jährigen seien Schüler, Studenten oder Auszubildende, und auch die große Mehrheit der Haupt- und Realschüler beginne nach ihrem Abschluss in erster Linie eine Ausbildung. Und die Minderheit, die schon in frühen Jahren arbeite? Sie tue dies überwiegend in Nebenjobs und nicht in Teilzeit- oder Vollzeitstellen. Unter den 21-Jährigen liege ihr Anteil bei 26 Prozent. Bei Mädchen und Jungen unter 18 Jahren bei knapp über drei Prozent. Wen die Diskussion über Altersgrenzen beim Mindestlohn also überhaupt betrifft? Laut den Forschern „fast ausschließlich junge Minijobber, die einen geringen Zuverdienst erwerben wollen“.

Gerade Problem-Schüler könnten auf eine Ausbildung verzichten

In einer Ausbildung würde der Barkeeper, der hier an den Deutschen Cocktail-Meisterschaften teilnimmt, weitaus weniger verdienen als beim Jobben.
In einer Ausbildung würde der Barkeeper, der hier an den Deutschen Cocktail-Meisterschaften teilnimmt, weitaus weniger verdienen als beim Jobben.

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Das zweite Argument, das die Angst vor sinkenden Azubi-Zahlen widerlege, seien die schon vorhandenen Gehaltsunterschiede: Im Durchschnitt erhielt ein Auszubildender im vergangenen Jahr 761 Euro brutto. Am besten bezahlt wurden angehende Maurer mit 800 bis 1000 Euro Gehalt, Kfz-Mechaniker kamen in Westdeutschland auf 549 Euro und Friseure in Ostdeutschland auf rund 200 Euro. Zum Vergleich: Eine Kellnerin ohne Ausbildung bekommt bei einer Vollzeitstelle und einem Stundenlohn von sieben Euro gut 1100 Euro. Ohne Mindestlohn. Und ohne junge Menschen zum Abbruch ihrer Ausbildung zu verleiten.

„Es ist davon auszugehen, dass die meisten Jugendlichen eine hohe Bildungsorientierung haben und ihre Entscheidungen nicht allein auf der Grundlage finanzieller Gesichtspunkte treffen“, sagt Günter Walden vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Zwar würden Umfragen des BIBB zeigen, dass es für rund 70 Prozent der Auszubildenden durchaus wichtig sei, während der Ausbildung viel Geld zu verdienen. Sie wüssten aber ebenso gut, dass sich die Lehrjahre langfristig auszahlen werden. Das Grundproblem sieht der Experte daher woanders. Eine Ausbildung könnte für die jungen Leute unattraktiv werden, die sowieso schon Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Weil sie einen schlechten Schulabschluss haben. Oder überhaupt keinen. Ihr Gedankenspiel: Warum soll ich denn weiter suchen, wenn es Hilfsjobs für mehr Geld gibt?

Der Mindestlohn könnte Geringqualifizierte unter Druck setzen

Vor einer solchen Logik warnt allerdings Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. „Diese Gruppe wird für 8,50 Euro kaum einen Arbeitsplatz finden“, sagt er. Ein Thema, das auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) beschäftigt. Die im Gesetzentwurf genannten Ausnahmen vom Mindestlohn findet der Agenturchef Frank-Jürgen Weise zwar grundsätzlich richtig. Er geht aber davon aus, dass Geringqualifizierte künftig unter einem größeren Druck stehen und noch schlechtere Chancen haben werden.

Ein Euro mehr die Stunde. Für die Barkeeperin, von der sich Peter L. gerade verabschiedet, klingt das zunächst gut. „Manchmal würde ich trotzdem ganz gern gegen einen stinknormalen Job tauschen. Einen, den ich irgendwann gelernt habe“, sagt sie. Einfach nur für das Gefühl. Das Gefühl von Sicherheit.

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