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Vor dem Kanzleramt in Berlin bilden übermannshohe Ziffern den Betrag 8,50; zwei Männer betrachten diese.

© picture alliance / dpa

Der Mindestlohn wird zum Zankapfel: Wirtschaft geht auf Distanz zu Schwarz-Rot

Ein Mindestlohn von 8,50 Euro kostet eine Million Jobs, warnt die Wirtschaft. Vor allem Dienstleister in Ostdeutschland wären betroffen.

Berlin - Auf der Wunschliste der SPD für die neue Regierung steht er ganz oben: ein Mindestlohn von 8,50 Euro für das ganze Land. Das akzeptieren nun auch die meisten Unions-Politiker zähneknirschend – doch die Wirtschaft kann dem Plan noch immer nichts abgewinnen. „Wenn der Mindestlohn von heute auf morgen eingeführt wird, sind etwa eine Million Arbeitsplätze in Gefahr“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, am Montag in Berlin. Lutz Goebel, Präsident des Familienunternehmer-Verbandes, schloss sich der Kritik an. „Ein rein aus politischen Gründen festgelegter Mindestlohn hat dramatische Folgen für alle Arbeitssuchenden, die aus unterschiedlichen Gründen nur schwer einen Arbeitsplatz finden können“, sagte er.

Damit zeichnet sich schon lange vor der Bildung einer schwarz-roten Koalition ein tiefes Zerwürfnis zwischen Politik und Wirtschaft ab. Viele Manager hatten darauf gehofft, dass die Christdemokraten ihrem zukünftigen Partner den Mindestlohn noch ausreden können – doch danach sieht es nicht aus. Schon in der vergangenen Wahlperiode war das Verhältnis zwischen Angela Merkel und vielen Top-Managern abgekühlt – ihrem Geschmack nach hätte die Kanzlerin mehr Reformen anschieben müssen.

Die Wirtschaft fürchtet vor allem, dass die Politik bei der Höhe des Mindestlohns ständig mitreden will. Für die Lohnfindung seien Arbeitgeber und Gewerkschaften zuständig, mahnte Wansleben – „nicht der Staat und auch nicht ein Expertengremium.“ Er habe große Zweifel, dass die Verbraucher trotz der weitverbreiteten Sympathie für einen Mindestlohn bereit seien, höhere Preise zu zahlen: „Irgendeiner muss dafür aufkommen“, sagte Wansleben. Die Taxibranche warnt bereits vor höheren Preisen. Um ein Fünftel bis ein Viertel müssten die Tarife steigen, heißt es beim Branchenverband BZP.

Vergangene Woche hatten bereits führende Wirtschaftsinstitute vor einer Lohnuntergrenze per Gesetz gewarnt. Sie solle so niedrig angesetzt werden wie möglich, empfahlen sie. Vor allem in Ostdeutschland wären viele Beschäftigten von einem Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde betroffen – hier verdient jeder vierte weniger, im Westen ist es jeder achte. Besonders in arbeitsintensiven Branchen finden sich viele Geringverdiener: im Gastgewerbe, im Handel sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Im Gastgewerbe zwischen Ostsee und Erzgebirge verdienen mehr als zwei Drittel weniger als 8,50 Euro. Nur wenn es ihren Arbeitgebern gelingt, höhere Preise durchzusetzen, wird es diese Stellen weiterhin geben. Womöglich flüchten viele auch in die Selbstständigkeit, wenn sie ihren Job verloren haben – für Solo-Unternehmer gilt die Lohnuntergrenze nicht, sie könnten den Mindestlohn-Betrieben so gefährlich werden.

Angesichts des Lohngefälles zwischen West und Ost machen sich Unionspolitiker für eine Abstufung nach Regionen oder Branchen stark. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) schlug vor, in Stuttgart oder München könne es „Spreizungen“ nach oben geben. Davon will die SPD nichts wissen. Ein „Flickenteppich“ sei „wertlos“, sagte Generalsekretärin Andrea Nahles.

Die SPD-Haltung gehe vor allem auf Kosten von Problemgruppen am Arbeitsmarkt, fürchtet Familienunternehmer Goebel. „Niedrigqualifizierte – darunter viele mit Migrationshintergrund – und vor allem die 50 000 Schulabbrecher jährlich verlieren ihre Chance auf einen regulären Arbeitsplatz, wenn die Politik weder nach Regionen noch nach Branchen differenziert“, sagte er dem Tagesspiegel.

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