zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Neue Markt ist Geschichte

Die Deutsche Börse baut den Aktienmarkt in den kommenden Wochen radikal um

Die Deutsche Börse feiert das neue Konzept für den deutschen Aktienmarkt bereits heute als vollen Erfolg. Seit dem 1. Januar 2003 besitze Deutschland „den transparentesten Aktienmarkt Europas“. Die Modernisierung der Börse, in deren Zuge auch der Neue Markt abgeschafft worden ist, „stärke das Vertrauen der Anleger, gestatte den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Eigenkapitalaufnahme und schaffe neue attraktive Anlagemöglichkeiten“. Doch auch die Kritiker haben sich zu Wort gemeldet und beklagen, die neue Ordnung am deutschen Aktienmarkt sei nur „Kosmetik“.

Der Neue Markt, Skandalkind der Deutschen Börse, erfährt nach fünf Jahren eine Beerdigung der besonderen Art. Womit die Deutsche Börse bisher vor Gericht gescheitert ist, diesmal dürfte es ihr gelingen. Der Neue Markt wird bis zum Ende des Jahres praktisch ausgetrocknet. Der Nemax 50 wird bis Ende des Jahres 2004 verschwinden.

Erreicht wird dies durch einen „Umbau“ der Märkte (siehe Grafik). Der deutsche Aktienmarkt wird in zwei Segmente aufgeteilt, „Prime Standard“ und „General Standard“. Im General Standard, der von Kritikern als Amateurliga der deutschen Börse bezeichnet wird, gelten nur die nationalen gesetzlichen Anforderungen. Unternehmen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, werden an der Börse (wie bisher) nicht gehandelt.

Interessanter für Investoren und damit auch für die Unternehmen ist der Prime Standard. Hier müssen über die nationalen Vorschriften hinaus vor allem internationale Transparenzvorschriften erfüllt werden. Dazu gehören insbesondere Quartalsberichte, die Rechnungslegung nach internationalen oder US-Bilanzierungsregeln, Ad-hoc-Mitteilungen in Englisch und mindestens eine Analystenkonferenz pro Jahr.

Was die Börse allerdings verschweigt: Die Regeln für den Neuen Markt waren in manchen Punkten strenger. Anders als dort dürfen künftig auch Unternehmen in den Prime Standard, deren Aktien (zumindest teilweise) mit Stimmrechtsbeschränkungen belegt sind. Die Börse hätte sich sonst mit Dax-Schwergewichten wie Henkel oder Fresenius anlegen müssen.

Für Dax-Werte ändert sich nichts

So aber ändert sich für die 30 Unternehmen im Dax durch die Neustrukturierung überhaupt nichts. Ein Antrag auf Aufnahme in den Prime Standard genügt. Die Mitglieder des Nemax 50 erfüllen ebenfalls alle Forderungen. Demzufolge hat auch die übergroße Mehrzahl von ihnen die Aufnahme in den Prime Standard beantragt. Allerdings wird ihr Index an Bedeutung verlieren. Zwar wird der Nemax 50 formal noch bis Ende des Jahres 2004 weiter berechnet, dies geschieht aber vor allem aus Rücksicht auf Investmentfonds und Indexzertifikate, die sich am Nemax 50 orientieren.

Unterhalb des Dax führt die Börse ein neues Branchensystem ein, das streng nach Technologie- und „klassischen" Werten trennt (siehe Kasten). Anstelle des „Auslaufmodells“ Nemax 50 soll der so genannte Tec-Dax treten, der dann nicht mehr 50 sondern nur noch 30 High-Tech-Unternehmen umfassen und gleichzeitig der einzige Technologieindex sein wird. Das bedeutet, dass sich künftig alle Technologieunternehmen in der deutschen Börsenlandschaft um einen Platz im Tec-Dax bemühen werden. Sollte dies nicht gelingen, sind die betreffenden Firmen „indexlos“. Hier ist Streit zu erwarten, denn ob ein Unternehmen ein Technologiewert ist, bleibt im Ernstfall Interpretationssache. Den klassischen Unternehmen bleibt weiterhin der M-Dax, der allerdings von bisher 70 auf 50 Werte verkleinert wird, und schließlich der daran anschließende S-Dax.

Bei den Unternehmen hält man sich mit Äußerungen noch sehr zurück. „Neue Namen und neue Indizes schaffen doch noch kein neues Vertrauen“, heißt es in Bankenkreisen. „ Das System ist sehr, sehr kompliziert. Ob dies insbesondere ein ausländischer Investor auf Anhieb versteht, muss sich erst noch zeigen“, gibt Gregor Sparfeld, einer der Sprecher der Comdirect Bank zu bedenken. Comdirect ist bisher am Neuen Markt notiert und gehört zum Nemax 50. Das Institut hat wie fast alle Nemax-50-Werte bereits einen Antrag auf Aufnahme in den Prime Standard gestellt. Bis Sonnabend hatte die Deutsche Börse rund 30 dieser Anträge bereits stattgegeben. „Der Antrag war sehr einfach“, sagt ein Sprecher eines der betroffenen Unternehmen. „Zudem hat die Börse auch recht gut informiert“, gibt es ausnahmsweise einmal Lob.

Positiv äußert man sich auch bei SCM. Das Unternehmen ist bisher Mitglied im Nemax 50, und hat sich bereits für den Prime Standard beworben. Nach einer ersten Hochrechnung wird SCM auch im Tec-Dax vertreten sein. „Das Image des Nemax hat gelitten. Wir versprechen uns von dieser Umbenennung auch einen Imagegewinn“, sagt Manfred Müller, Bereichsleiter Investor Relations.

Ähnlich die Stellungnahme von Mobilcom. Das Unternehmen will ebenfalls in den Prime Standard und darüber hinaus in den Tec-Dax aufgenommen werden. „Durch die damit verbundenen Pflichten sehen wir eine größere Möglichkeit, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen, als wenn man sich nur im allgemeinen Domestic-Bereich bewegt“, sagt Sprecher Matthias Quaritsch.

Doch die Kritiker halten sich nicht zurück. „Das ist blinder Aktionismus. Hier geht es nur darum, das Etikett Neuer Markt loszuwerden“, schimpft Peter Conzatti, Fondsmanager bei der Schweizer Bank UBS.

Jürgen Meyer, Portfoliomanager bei Julius Bär in Frankfurt dürfte allerdings die Meinung vieler Fondsmanager und Privatanleger wiedergeben, wenn er sagt: „Mich interessiert nur, was ein Unternehmen kann und was es kostet. Wo es gehandelt wird, ist nebensächlich“. Und Gottfried Heller, Chef der Münchner Fiduka Depotverwaltung, warnt die Anleger mit knappen Worten: „Schrott bleibt Schrott“. Außerdem werden gut verdienende Unternehmen wohl weiterhin gut verdienen, auch wenn sie sich plötzlich in der zweiten Liga wiederfinden. Die Porsche AG, deren Chef Wendelin Wiedeking sich beharrlich weigert, Quartalsberichte zu veröffentlichen, wird es wohl nur bis in den General Standard schaffen. Dieser ist eigentlich, so die Deutsche Börse, „für kleine und mittlere Unternehmen, die überwiegend nationale Investoren ansprechen“, gedacht.

Daniel Rhee-Piening

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false