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Wirtschaft: „Der Ölpreis wird nach oben springen“

Opec-Generalsekretär Alvaro Silva-Calderón über die Folgen eines Irak-Krieges und die Krisenpläne des Ölkartells

Herr Calderón, wie wird die Organisation Erdöl exportierender Länder, die Opec (siehe Lexikon Seite 20), auf einen möglichen IrakKrieg reagieren?

Die Opec wartet nicht auf den tatsächlichen Angriff auf den Irak. Die Kriegsvorbereitungen wirken sich bereits auf den Ölpreis aus. Deshalb hat die Opec schon reagiert. Im vergangenen Dezember und Januar haben wir die Produktion um 1,3 und dann noch einmal um 1,5 Millionen Barrel (zu je 159 Liter) pro Tag ausgeweitet.

Wieso sind Öl und Benzin trotzdem noch teurer geworden?

Vor allem weil der Krieg immer wahrscheinlicher wird. Sollte nun – leider – der Irak angegriffen werden, erwarten wir, dass der Ölpreis wahrscheinlich einen Sprung nach oben macht. Der Effekt ist aber schon zum größten Teil auf den Märkten verarbeitet.

Was könnte die Opec gegen den Preissprung unternehmen?

Wir haben ausreichend Förderreserven, die wir kurzfristig nutzen könnten, um die Stimmung auf den Ölmärkten zu beruhigen.

Sie haben allerdings auf dem Opec-Gipfel vor einer Woche kein bestimmtes Vorgehen am ersten Kriegstag verabredet.

Weil wir schon reagiert haben. Wir sind alarmiert und bereit, weiter zu handeln. Aber alle Maßnahmen, die wir ergreifen würden, hängen von den Auswirkungen des Krieges ab. Jeder Teil der Organisation kann schnell reagieren. Entscheidungen können auch rasch per Telefon getroffen werden. Wir warten mit offenen Augen. Es gibt neben uns außerdem weitere Akteure. Auch die Ölproduzenten wie Russland, die nicht der Opec angehören, oder auch die Industriestaaten mit ihren strategischen Reserven können Einfluss nehmen.

Würde es für die Opec einen Unterschied machen, ob die USA mit einem UN-Mandat angreifen oder ohne?

Das ist keine Frage, die unsere Organisation betrifft. Wir sind keine politische Einrichtung. Wir benutzen Öl nicht als Waffe. Und unsere Verpflichtung ist es nur, für einen stabilen Ölmarkt zu sorgen. Dafür betrachten wir allein das Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

Aber wie wollen Sie ausschließen, dass nicht das ein oder andere Mitglied Öl doch als Druckmittel einsetzt?

Wir haben elf souveräne Staaten als Mitglieder, und jeder davon kann natürlich eine eigene internationale Politik verfolgen. Allerdings haben die Mitglieder sich immer getroffen, um eine Lösung für wirtschaftliche Fragen zu finden. Ich möchte daran erinnern, dass das auch für Irak und Iran galt, als beide in den 80er Jahren gegeneinander Krieg führten. Außerdem haben wir Regeln in unserer Organisation. Alle Mitglieder haben sich dazu verpflichtet, die Ölmärkte stabil zu halten. Und wir gehen davon aus, dass sich auch alle daran halten werden. Der Zusammenhalt in der Opec ist wesentlich stärker als noch vor einigen Jahren.

Experten rechnen im Kriegsfall mit einem Ölpreis von bis zu 100 US-Dollar pro Barrel. Ist das eine realistische Annahme?

Das kann niemand sagen. Wir wissen es einfach nicht. Und wir haben nicht die Kristallkugel, um in die Zukunft zu schauen. Natürlich kann der Preis in die Höhe schießen. Aber das hängt von den Kriegsauswirkungen ab. Man sollte sich allerdings daran erinnern, dass im Fall des ersten Golfkriegs 1991 und nach den Anschlägen vom 11. September der Ölpreis jeweils stark anstieg – und dann auch sehr schnell wieder fiel. Die Opec hat im Übrigen auch dabei jeweils klar gemacht, dass sie mehr Öl auf den Markt bringen würde, sollte das nötig sein.

Wenn die Opec bereits gehandelt hat, wieso hat sie es in den vergangenen Monaten nicht geschafft, den Ölpreis auf dem Niveau zu halten, das sie für angemessen hält – nämlich 22 bis 28 US-Dollar?

Die Opec entscheidet nicht über den Preis. Wir versuchen nur, den Ölmarkt auszubalancieren. Wir wollen nicht mehr Öl als nötig auf den Markt werfen, aber auch keine Knappheit entstehen lassen. Die Opec ist kein Kartell, das mit einem knappen Angebot die Preise hochtreibt. Schließlich würde ein zu hoher Preis die Weltwirtschaft und damit auch die Nachfrage nach Öl abwürgen. Dass es uns nicht gelingt, den Preis im Bereich von 22 bis 28 Dollar zu halten, liegt ausschließlich an Gründen außerhalb unserer Organisation – nämlich an der Nervosität der Händler und den Spekulationen angesichts des drohenden Krieges.

Aus Ihrer Sicht gibt es also genügend Öl auf dem Markt?

Ja, eindeutig. Und sollte es im Kriegsfall zu einer Verknappung der Ölversorgung kommen, haben wir zurzeit Förderreserven von zwei bis vier Millionen Barrel pro Tag, die wir sehr schnell einsetzen könnten, um Lücken auszufüllen.

Woher soll das zusätzliche Öl kommen?

Eine ganze Reihe von Ländern haben noch freie Kapazitäten. Nicht nur Saudi-Arabien, sondern zum Beispiel auch Venezuela. Die Auswirkungen der Streiks dort zum Jahresende sind so gut wie beseitigt. Spätestens Ende März wird Venezuela wieder so viel Öl fördern wie vor den Streiks, nämlich etwa 2,9 Millionen Barrel Rohöl pro Tag.

Die Menschen haben zurzeit Angst vor Anschlägen, auch auf Ölfelder. Wie haben sich die Opec-Staaten auf mögliche Gefahren vorbereitet?

An allen wichtigen Stellen wie etwa Flughäfen sind Anschläge möglich, auch bei Ölanlagen. Aber wir haben keine Anzeichen dafür, dass hier Terrorakte geplant sind. Sicher sein kann man sich nie. Eine wesentliche Störung der Ölversorgung durch Anschläge ist aber kaum zu erwarten.

Nun reicht das Ölangebot zwar aus Ihrer Sicht heute und in der nächsten Zeit aus. Aber ist die Opec auf den Aufschwung der Weltwirtschaft vorbereitet, der in den nächsten 24 Monaten kommen könnte?

Im Moment jedenfalls wächst die Weltwirtschaft kaum. In diesem Jahr erwarten wir eine zusätzliche Nachfrage von einer Million Barrel pro Tag. Die kann die Opec leicht ausgleichen. Insgesamt sind es zurzeit rund 77,6 Millionen Barrel, die pro Tag benötigt werden. Und für die Zukunft haben einige Länder bereits signalisiert, dass sie ihre Produktion deutlich steigern können. Dafür sind zwar Investitionen nötig, die brauchen aber nicht übermäßig viel Zeit. Heute kommt das meiste Öl von Ländern auf den Weltmarkt, die nicht der Opec angehören. Das wird sich ändern, weil der Großteil der Ölvorräte in Opec-Staaten liegt. Deshalb muss die Opec vielleicht schon im kommenden Jahrzehnt fast den gesamten Weltölbedarf von dann schätzungsweise 120 Millionen Barrel pro Tag decken. Und auch dazu sind die Mitglieder in der Lage. Da gibt es keinen Zweifel.

Wo würde der Ölpreis heute ohne die Krise liegen?

Der Kriegsaufschlag liegt bei sechs bis acht Dollar. Ein Barrel Opec-Öl müsste also eigentlich etwa 25 bis 26 Dollar kosten. Im Übrigen könnten die Preise ohnehin bald fallen. Mit dem Ende des Winters geht nämlich auch die Nachfrage zurück.

Könnte der Preis auch sinken, weil die Konkurrenten der Opec, zum Beispiel Russland, zwar über weniger Ölreserven verfügen, ihre Produktion aber zurzeit deutlich steigern?

Wir machen uns da keine Sorgen. Alle Ölländer könnten wesentlich mehr fördern. Würden sie es machen, hätten wir schnell ein Preisniveau wie im Jahr 1998...

...als ein Barrel schon für etwa zehn Dollar zu haben war.

Aber alle brauchen einen angemessenen Preis, damit es sich für sie lohnt, Öl zu fördern. Dieser Grundkonsens ist allgemein akzeptiert worden. Deshalb halten wir einen Preiskrieg und einen Krieg um Marktanteile für unwahrscheinlich.

Selbst zehn Dollar bieten Ölproduzenten im Nahen Osten eine gute Gewinnspanne. Schließlich kostet die Förderung von einem Barrel dort lediglich drei bis vier Dollar. Wieso muss der Preis so hoch sein?

Die Staaten brauchen die Öleinnahmen, um sich zu entwickeln. Den Produzenten nur die Förderkosten zu bezahlen, würde über kurz oder lang zu sozialen Unruhen in den betroffenen Ländern führen. Davon abgesehen lohnt es sich bei niedrigen Preisen nicht, nach neuen Ölquellen zu suchen und so für die zukünftige Nachfrage vorzusorgen. Niedrige Preise sind eine genauso große Gefahr für die Ölversorgung wie ein Irak-Krieg.

Das Gespräch führte Bernd Hops.

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