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Wirtschaft: Der Osten kommt: Aus der Garage direkt an den Neuen Markt

Ostdeutschland zwischen Euphorie und Pessimismus: Hier Milliardeninvestitionen in der Chipindustrie, dort Massenarbeitslosigkeit. Welche Unternehmen prägen den Standort Ost wirklich?

Ostdeutschland zwischen Euphorie und Pessimismus: Hier Milliardeninvestitionen in der Chipindustrie, dort Massenarbeitslosigkeit. Welche Unternehmen prägen den Standort Ost wirklich? Tagesspiegel-Redakteure haben kleine Mittelständler und börsennotierte Unternehmen besucht. Ihre Reiseberichte lesen Sie montags und donnerstags. Am kommenden Montag: ODS Disc Service in Dassow.

"Bitte recht freundlich": Lächeln mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf oder Händeschütteln mit Bundeskanzler Gerhard Schröder - ein Foto mit Hans Dieter Lindemeyer, dem Vorstandsvorsitzenden und Firmengründer der Lintec AG, ist gut fürs politische Image. 1996 Preisträger des "Goldenen Sachsen", 1997 "Entrepreneur des Jahres" sowie der Wirtschaftspreis "Selbstständig 2000": Die Geschichte der Lintec AG ist eine Erfolgsstory Ost. In nur elf Jahren ist aus dem Ein-Mann-Betrieb ein profitabler PC-Hersteller mit 700 Beschäftigten und einem Umsatz von 424 Millionen Euro im Jahr 2000 geworden.

10 Uhr 29: Ankunft Leipzig Hauptbahnhof - ein Zwischenstopp auf dem Weg in die Europazentrale der Lintec AG. Die Fahrt vom Bahnhof bis zum Gewerbegebiet Taucha dauert noch einmal knapp 20 Minuten. Circa 500 Meter hinter der Stadtgrenze von Leipzig liegt der Firmensitz der Lintec AG, ein repräsentatives Rundgebäude mit viel Glas und Stahl auf einem Gelände von 35 000 Quadratmetern. Eine andere Liga, wenn man bedenkt, dass Lindemeyer bei der Firmengründung 1990 die ersten PCs in der Garage seines Wohnhauses zusammenbaute.

Das Kerngeschäft der Lintec AG ist nach wie vor der Handel mit PCs und Notebooks, die nach den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Kunden zusammengebaut werden. Die Einzelteile stammen von asiatischen Zulieferern und werden von drei Tochtergesellschaften in Hongkong und Bangkok eingekauft. Unternehmen wie die Leuna Werke AG, die Metro Großhandels GmbH, aber auch Institutionen wie die Technische Universität Chemnitz und die Landesregierung Brandenburg haben ihre individuellen Netzwerk-Lösungen bei Lintec entwickeln und fertigen lassen. Der Endverbraucher kann seinen Lintec-PC über den Fachhandel beziehen oder übers Internet. Der Großteil der Kunden sind aber mittelständische Firmen und Geschäftskunden. Gefertigt werden die Computer in der Zentrale in Taucha sowie in zehn weiteren Städten in Deutschland - auch in Berlin. Das Besondere an Lintec sei die regionale Nähe zum Kunden, erklärt Firmengründer Lindemeyer. "Als unsere Konkurrenten auf die grüne Wiese gezogen sind, sind wir für unsere Kunden mit der Produktion vor Ort in die Ballungszentren gekommen." Deshalb sei man schneller in der Lieferung und im Service. Dafür zahlen die Kunden von Lintec aber auch mehr als bei anderen Herstellern. Kernmärkte für Lintec-Produkte sind Deutschland und Europa. Hier behauptet sich der Newcomer aus Ostdeutschland wacker gegen die Branchenriesen aus Japan und den USA.

Zwar werde immer noch der meiste Umsatz mit Hardware gemacht, der Anteil am Gesamtumsatz betrage aber nicht einmal mehr 50 Prozent, sagt Lindemeyer. "Innerhalb der letzten drei Jahre hat sich eine sehr starke Wandlung vollzogen." Die anderen Geschäftsbereiche seien stark im Kommen: Zum Produktportfolio des Unternehmens gehören noch die Software-Entwicklung und das Venture-Capital-Geschäft. Seit 1999 fungiert Lintec über eine 83,75 prozentige Beteiligung an der MVC Mitteldeutsche Venture Capital AG als Risikokapitalgeber für junge Unternehmen im IT-Bereich.

Bis zu Beginn diesen Jahres hat das Tauchaer Unternehmen seine Planzahlen immer erreicht und sie meistens sogar übertroffen. Im ersten Quartal 2001 blieben die Steigerungen von Umsatz und Ergebnis erstmals hinter den Erwartungen zurück. Auch für die Lintec-Aktie sieht es zur Zeit eher schlecht aus: Lag der Kurs bei der Erstnotierung am Neuen Markt am 7. September 1998 noch bei 74 Mark, ist der aktuelle Stand knapp 22 Mark (11,22 Euro). Die Analysten-Meinungen sind gespalten. "Ich würde sie momentan nicht kaufen", sagt Bodo Orlowski, Analyst bei der Berliner Volksbank. Die schlechte Situation der gesamten PC-Branche belaste gerade kleinere Unternehmen wie Lintec. Es bestehe die Gefahr, dass Lintec die Gewinnerwartungen weiter zurücknehmen müsse. Als längerfristige Anlage bewertet Orlowski die Aktie dennoch positiv. "Es gibt keine fundamentalen Nachrichten, die den Kursverfall rechtfertigen würden", sagt dagegen Nikolas Meyer-Lindemann, Analyst beim Bankhaus Lampe. Lintec befinde sich weiter auf dem Wachstumspfad. Auch wenn die präsentierten Zahlen schlechter waren als erwartet, rechnet er damit, dass Lintec das prognostizierte Ergebnis für das Gesamtjahr erreichen wird. Firmengründer Lindemeyer, der noch 52 Prozent des Aktienpakets hält, glaubt an die eigene Erfolgsstory. "In einigen Jahren soll Lintec zu einem der wichtigsten deutschen Konzerne in der Informationstechnologie werden, und dieses dürfte sich mittelfristig auch sehr deutlich im Börsenwert der Gesellschaft wiederspiegeln", sagte er Ende Juni auf der Hauptversammlung der Lintec AG.

Und Lindemeyer versteht es offensichtlich zu überzeugen. Ganz gleich, mit wem man spricht - seinen Mitarbeitern, dem Bürgermeister oder dem Pressesprecher des Arbeitsamtes, alle sind voll des Lobes. Kein Wunder, denn Unternehmer wie Lindemeyer sind wichtig für die Region. 250 Mitarbeiter arbeiten in der Zentrale in Taucha, die fast alle aus dem Großraum Leipzig kommen. Die Lintec AG ist damit der zweitgrößte Arbeitgeber am Ort. Hinzu kommen fast 70 Auszubildende. Die Stadt Taucha weiß die Bedeutung von Lintec für den Standort durchaus einzuschätzen. "Das produzierende Gewerbe fehlt leider fast vollständig am Standort, deshalb ist Lintec eines der Highlights", sagt Holger Schirmbeck, der Bürgermeister von Taucha. Nicht auszudenken, wenn das Unternehmen die Stadt verlassen würde: "Das wäre mit Sicherheit ein sehr schlimmer Schlag für die Region. Denn jeder Arbeitsplatz weniger ist katastrophal. Und es wäre natürlich auch ein erheblicher Imageverlust", sagt der Bürgermeister.

Jaqueline Dreyhaupt

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