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Wirtschaft: Der Pizzabäcker vom Tigris

Nach dem Fall Saddam Husseins haben einige Iraker neue Geschäfte aufgebaut – der wachsende Terror bedroht auch ihre Existenz

Walid Mahmoud witterte eine Chance, als seine Heimatstadt Bagdad im vergangenen Sommer an die Amerikaner fiel. Er wusste, dass die Amerikaner Pizza lieben, und auch, dass die meisten Iraker sie nicht zubereiten können. Bei Mahmoud ist das anders: In den späten 80er Jahren flog er für zwei Jahre nach Rom. Am Flughafen wurde er von seinem Cousin abgeholt und direkt in dessen Pizzeria gebracht. Mahmoud verbrachte seine ersten Stunden in Italien damit, eine Auberginen-Pizza zuzubereiten – als er das Land wieder verließ, hatte er Tausende gemacht.

Seitdem träumte er davon, eine eigene Pizzeria zu eröffnen. Ende Juni war es endlich soweit. Nachdem seine Familie Geld zusammengekratzt hatte, eröffnete er in Bagdad ein kleines Restaurant. Den Standort wählte er sorgfältig aus: Er entschied sich für ein Lokal in der Nähe der „grünen Zone“ im Zentrum Bagdads, wo Tausende amerikanische Soldaten der Besatzungstruppen leben und arbeiten, und dekorierte den Laden mit Fotos von Rom und der Freiheitsstatue. Sein Geschäft sprach sich schnell herum und schon bald verkaufte er fast 200 Pizzen am Tag an Amerikaner aus dem nahe gelegenen Truppenlager. Ein Soldat steckte ihm sogar ein Handy zu, die in Bagdad sehr begehrt sind, damit er die Bestellungen entgegennehmen konnte. Sein Gewinn stieg auf mehr als 1000 US-Dollar (967 Euro) pro Woche, eine astronomische Summe für irakische Verhältnisse.

Dann jagten Terroristen das Gebäude der Vereinten Nationen und die jordanische Botschaft in die Luft, wobei Dutzende Menschen starben. Und alles wurde anders. Die ausländischen Kunden blieben weitgehend aus, die Gewinne brachen ein. Während der relativ ruhigen Wochen Anfang Oktober lief das Geschäft wieder besser, sackte aber während der jüngsten Welle von Selbstmordanschlägen wieder ab. Mahmoud schüttelt den Kopf, als er sich die Einnahmen dieser Woche ansieht: 17 Dollar Gewinn an einem Tag, 13 Dollar am nächsten und nur einen Dollar am übernächsten. Das Handy rettete ihn zwar kurzfristig – US-Soldaten, die in der Nähe Wache schoben, bestellten 21 Pizzen –, aber Mahmouds Angst wächst, dass die US-Militärs die Stadt verlassen könnten. Er versucht, Geschäftsbeziehungen zu amerikanischen Firmen in Bagdad zu knüpfen, weiß aber, dass es nicht dasselbe sein wird. „Selbst Pizza ist in Allahs Hand“, sagt er.

Die meisten Schlagzeilen produzieren zwar die millionenschweren Wiederaufbauverträge, die an US-Konzerne vergeben wurden, die wirtschaftliche Zukunft des Irak hängt aber wohl eher vom Erfolg oder Scheitern solcher irakischer Einzelunternehmen ab, die ihr persönliches Schicksal mit dem des Landes verknüpft haben. Im ersten Golfkrieg wurde Mahmoud noch in die irakische Armee einberufen. Amerikanische Flieger beschossen seinen Konvoi. Eine Rakete traf das Fahrzeug vor ihm, eine weitere Rakete schlug nur wenige Meter neben seinem Fahrzeug ein. Da hatte Mahmoud, der zwei Wochen vor seiner Einberufung geheiratet hatte, genug vom Soldatendasein. Wenige Stunden später, als sich sein Wagen den Toren des Truppenlagers näherten, sprang er ab, ging nach Hause und warf seine Uniform weg. Er hat nie wieder etwas von der irakischen Armee gehört. Weil er im Irak nach dem Krieg keine Arbeit finden konnte, nahm Mahmoud ein Jahr später den Bus nach Jordanien. Dort angekommen, wurde er am Bahnhof sofort wieder nach Hause geschickt: Ein Polizist, der glaubte, Jordanien leide unter seiner Verbindung zu Saddam Hussein während des Krieges, teilte ihm mit, er sei im Land nicht willkommen.

Nach seiner Scheidung im Jahre 1995 ging er wieder – diesmal erfolgreich – nach Jordanien und arbeitete in einer Pizzeria, die sein Cousin in Amman eröffnet hatte. Als er dann Anfang des Jahres erfuhr, dass Bagdad an die Amerikaner gefallen war, entschloss er sich, in die irakische Hauptstadt zurückzukehren und eine Pizzeria zu eröffnen.

Sein Lokal ist ein reiner Familienbetrieb: Zwei jüngere Brüder belegen die Pizzen, ein Neffe packt sie in Kartons und putzt das Restaurant und ein Schwager steht an der Kasse. Mahmoud macht nur den Teig und die Sauce. Nur bei engen Freunden oder Ehrengästen macht er die komplette Pizza selbst. „Wenn ich die ganze Pizza mache“, sagt er, „ist es, als würde Gott die Person, die sie isst, segnen.“ Mahmoud beschreibt sich selbst als Perfektionisten und besteht darauf, die beste Pizza in der Stadt und vielleicht sogar im ganzen Land zu machen.

Dennoch laufen die Geschäfte schlecht. Die Amerikaner haben das Hotel Al Rasheed evakuiert, nachdem dieses im vergangenen Monat von Raketen beschossen worden war. Viele Besatzer sind zu anderen Stützpunkten gezogen, die weiter weg vom Restaurant sind. Und diejenigen Amerikaner, die noch im Truppenlager in der Nähe von Mahmouds Laden stationiert sind, setzen kaum einen Fuß vor die Tür.

Übersetzt und gekürzt von Christian Frobenius (Palästinenser) Matthias Petermann (Mexiko, Medikamente), Tina Specht (Buffett) und Svenja Weidenfeld (Irak).

Yochi J. Dreazen

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