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Wirtschaft: Der programmierte Ärger in der Silvesternacht

Während die einen ausgelassen den Jahrtausendwechsel feiern, werden sich EDV-Experten rund um den Globus mit Notplänen plagen.Denn Schlag Mitternacht haben sie ein Problem: Computer steuern zwar Satelliten zum Mars, doch vor der Datumsumstellung von 1999 auf 2000 kapitulieren sie.

Während die einen ausgelassen den Jahrtausendwechsel feiern, werden sich EDV-Experten rund um den Globus mit Notplänen plagen.Denn Schlag Mitternacht haben sie ein Problem: Computer steuern zwar Satelliten zum Mars, doch vor der Datumsumstellung von 1999 auf 2000 kapitulieren sie.Die Folgen könnten dramatisch sein und nicht nur die Silvesternacht zum Gruseltrip durch die schöne neue, aber eben auch digitale Welt machen: Kreditkarten werden ungültig, Bestellungen annulliert, Kleinkinder bekommen Rentenbescheide, Ampeln, Telefonnetze und militärische Frühwarnsysteme fallen aus.

Jede Technologie hat ihre Schattenseiten, produziert ihren speziellen Unfall - das Digitalzeitalter bildet hier keine Ausnahme.Doch das Datumsproblem ist ausnahmsweise hausgemacht und seit 30 Jahren bekannt.Viele Computersysteme arbeiten nur mit den zwei letzten Stellen für die Jahresangabe und können daher nicht zwischen dem Jahr 2000 und 1900 unterscheiden.In Programmen, die mit Datumsangaben arbeiten - und das tun die meisten in irgendeiner Weise - , kann dies zum Absturz des Systems führen.Die Übeltäter sind schnell ausgemacht: die Programmierer der ersten Stunde haben bei der Entwicklung von Computersystemen schlicht nicht so weit in die Zukunft gedacht.Wer konnte schon in den 60er und 70er Jahren, den Anfängen der Computertechnologie, ahnen, daß die damals entwickelten Chipbaupläne und Programme noch nach dreißig Jahren Verwendung finden? Tatsächlich wird jedoch der Programmcode einer alten Software bei einer Neuentwicklung stets wiederverwendet.Die Kinderkrankheiten wurden so von Generation zu Generation weitergegeben.

Im Prinzip ist die Lösung des Dilemmas mit dem Datum simpel: Die zweistelligen Zahlen müssen vierstellig werden.Doch das gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen, nur daß zehntausende von Nadeln im Haufen stecken."Bei geschäftskritischen Programmen muß jede einzelne Programmzeile vom Experten untersucht werden", erklärt Reinhard Hund vom Zentralverband der Elektroindustrie (ZVEI) in Frankfurt.Ein Riesenaufwand, um den Irrtum mit den läppischen Nullen aus der Welt zu schaffen.Nach Schätzungen der US-Regierung wird das Jahr-2000-Fitness-Programm die Unternehmen und Steuerzahler weltweit mehr als 500 Mrd.Dollar kosten, also etwa 900 Mrd.DM.Allein in Deutschland werden es nach Untersuchungen des Bundesverbands Informations- und Kommunikationssysteme 45 Mrd.DM sein.Ein Betrag, der sich auszahlt, denn ein Fehlschlag würde weltweit zu einem ökonomischen Desaster führen, glauben zumindest Experten wie Edward Yardeni, Chefökonom von der Deutschen Morgan Grenfell, der Investmenttochter der Deutschen Bank in New York.Der Banker warnte kürzlich aufgrund der unzureichenden Vorbereitungen auf das Jahr 2000 gar vor einer globalen Rezession, vergleichbar mit der Ölkrise in den 70er Jahren.

Dabei ist das Dilemma nicht auf PCs und deren Software beschränkt."Kein Lebensbereich wird von dem Jahrtausend-Problem verschont", macht Witold von Zdrojewski von der Handelskammer Berlin deutlich."Betroffen sind auch winzige Mikroprozessoren, sogenannte embedded chips, die in unzähligen Geräten eingebaut wurden." Sie stecken in Telefonen, Kontrollsystemen, in Anlagen zur Strom- und Wasserversorgung und sie steuern ganze Montagestraßen.

Ein düsteres Bild vom Stand der Umstellungsarbeiten in Deutschland zeichnet das renommierte Beratungsunternehmen Gartner Group in einer Studie.Ihr zufolge wird besonders in Deutschland das Problem nicht ernst genug genommen.Jedes zweite befragte Unternehmen wird "im ersten Quartal 2000 Probleme mit geschäftskritischen Systemen durchleiden", zitiert die Computerwoche das Beratungsunternehmen.Deutschland rangiere damit auf der gleichen Gefährdungsstufe wie Armenien, die Tschechische Republik oder Nordkorea.

Angesprochen auf diese Untersuchung gibt sich das Bundeswirtschaftsministerium gelassen."Wir haben mit vielen großen Unternehmen Gespräche geführt: die sind sehr gut gerüstet", beschwichtigt Bodo Gaw, Pressesprecher des Ministeriums.Die Kontenance wird von den Unternehmen und Behörden geteilt."Niemand braucht sich eine warme Decke und Kerzen bereitlegen, Heizung und Licht werden auch noch nach Silvester 1999 funktionieren", sagt etwa Olaf Weidner, Sprecher des Berliner Energieunternehmens Bewag.Die 13 Kraftwerke der Stadt werden rechtzeitig bis Ende des nächsten Jahres umgestellt sein, die Kosten belaufen sich auf 20 Mill.DM.

Die Deutsche Telekom AG hat 300 Mill.DM für die Umstellung ihrer Rechner bisher hingeblättert.Die letzten Tests wird es im nächsten Jahr geben, dann wird überprüft, ob alle Produkte und Systeme nach der Umstellung noch reibungslos funktionieren.Entwarnung gibt auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BFA) mit Sitz in Berlin.Daß Kinder plötzlich ihre Rente bekommen, weil die Rechner verrückt spielen, kann man sich hier nicht vorstellen."Unsere Kunden brauchen sich keine Sorgen zu machen.", so BFA-Sprecher Ulrich Theil.Die Umstellung läuft in seinem Haus schon seit Mitte 1997 und wird 60 bis 70 Mill.DM kosten.

Daß besonders deutsche Unternehmen bei der Datumsumstellung zur Jahrtausendwende Probleme haben sollen, kann Sven Jäger von der Initiative 2000, einer Gruppe von IT-Herstellern und -Dienstleistern nicht sehen."So schlimm ist das ganze nun auch wieder nicht", wiegelt Jäger ab.Das ganze sei eher ein Problem der PR-Abteilungen, die diese Leistung nicht so gut verkaufen könnten, wie ihre Kollegen in den USA.Sorgen bereitet Jäger jedoch der Mittelstand."Mittlere und kleine Unternehmen hierzulande nehmen das Problem zu wenig ernst.Viele haben noch nicht einmal mit der Umstellungsarbeit begonnen." Ihnen rät der Verein dringend, sich um die geschäftskritischen Systeme zu kümmern.Von Problembewußtsein unter Mittelständlern kann auch Witold von Zdrojewski von der Handelskammer Berlin nicht viel sehen."Das Thema ist zwar in aller Munde, doch es wird nicht systematisch angegangen", sagt der Jahr-2000-Experte.Man verlasse sich in den IT-Abteilungen oft noch darauf, daß sich die Hersteller der Software schon um das Thema kümmern werden.Die IHK bietet interessierten Unternehmen kostenlose Informationen rund ums Thema und eine Checkliste an.Das Jahr-2000-Problem wird die IT-Manager in den Unternehmen noch lange in das neue Jahrtausend hinein beschäftigen.Und die Rechtsabteilungen noch dazu.Neben der Softwarebranche werden Juristen die Gewinner des Jahrtausendschlammassels sein.Wenn in den Büros die Rechner abstürzen und in den Werkhallen die Anlagen runterfahren, werden die Firmen aller Wahrscheinlichkeit nach die Wartungsverträge ihrer Software nochmals genau studieren."Wir versuchen, eine Prozesslawine zu vermeiden und appellieren an unsere Mitglieder, partnerschaftliche Lösungen zu finden", sagt Reinhard Hund vom ZVEI.An ein harmonischem Einverständnis mag man jedoch kaum glauben.UN-Schätzungen zufolge könnten die Rechtsstreitigkeiten die Summe von 1,4 Bill.Dollar, etwa 2,4 Bill.DM erreichen.

HOLGER SCHLÖSSER

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