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Wirtschaft: Der Reis-Mangel stellt Indonesien auf eine harte Probe

JEMBER .Papayas und Mangos wachsen wild zwischen den Kanälen, die sich durch die tiefgrünen Reisfelder, die Reihen mit Mais und die gelben Tabakfelder ziehen.

JEMBER .Papayas und Mangos wachsen wild zwischen den Kanälen, die sich durch die tiefgrünen Reisfelder, die Reihen mit Mais und die gelben Tabakfelder ziehen.Es ist schwer, sich eine üppigere Landschaft vorzustellen.Aber inmitten des Überflusses sind Zeichen der Knappheit erkennbar: Im vergangenen Monat haben 37 der Reismüller in diesem Ort im Osten Javas geschlossen, nachdem Plünderer ihre Reisvorratshäuser gestürmt hatten.Bewaffnete Soldaten händigen den Armen im Auftrag der Regierung Reisrationen aus.

"Wir können nicht mehr jeden Tag Reis essen", beklagt sich Mahfud, ein 56jähriger Lehrer, der am Tag weniger verdient als die 30 Cents, die der Reis jetzt kostet.In seinem Ort am Rande von Jember arbeiten die meisten Bewohner den ganzen Tag lang für die Regierung.Sie verbringen Stunden damit, in den Feldern nach Gemüse zu suchen, das sie gegen ihr Grundnahrungsmittel, den Reis, tauschen können.

Die fast absurde Gegenüberstellung von Überfluß und Mangel ist der Vorbote einer Reis-Krise, dem beunruhigendsten Problem, das auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Nation folgt.Die Reisknappheit hat viele Gründe: Im vergangenen Jahr kam die Dürre, darauf folgten Seuchen, und auf die Seuchen folgte der Finanz-Crash, der noch Schlimmeres brachte: die Inflation."Die Preise steigen und steigen, und unser Geschäft bricht zusammen", beschwert sich Haji Nanang, eine 55jährige Großmutter, deren Reismühle stillsteht, seit der Preis für Reis so in die Höhe geschossen ist, daß ihn sich die meisten Leute am Ort nicht mehr leisten können.Deswegen wurde in einigen Mühlen im vergangenen Monat randaliert.Eine Welle von ungeklärten Todesfällen überflutete die Region, weil einige Leute die Anarchie dazu nutzen, offene Rechnungen zu begleichen.

In ganz Indonesien können es sich mehr als 45 Millionen Einwohner nicht mehr leisten, zu Marktpreisen genug Reis für ihren täglichen Bedarf zu kaufen.Unterernährung und ein Anstieg der Zahl der Schulabbrecher sind die Folgen, weil die Familien das Geld für Reis sparen wollen.

"Die kritische Zeit beginnt jetzt", sagt der Volkswirt Anwar Nasution.Er sagt, das politische Überleben von Präsident Habibie hänge davon ab, wie seine Regierung die Reis-Krise in den Griff bekomme.Für das moderne Indonesien bedeutet die Reiskrise einen weiteren Schritt in der nach unten laufenden Spirale, auf der sich das große Archipel befindet.Die Währung des Landes ist abgestürzt: Viele Banken und Firmen stehen kurz vor dem Bankrott, 15 000 Bürger verlieren allein in Jakarta jeden Tag ihre Jobs.Die Menschen haben damit begonen, von den Städten zurück aufs Land zu ziehen - und zwar genau zu der für die Bauern mageren Zeit zwischen den Ernten.

"Da passiert etwas ganz Schreckliches", sagt eine kanadische Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation in Jakarta.Als ihre Organisation versuchte, 6000 Tonnen Reis zu kaufen, um sie in den abgelegenen Stammesgebieten zu verteilen, hatte sie schon Schwierigkeiten, 500 Tonnen aufzutreiben."Das ist ein Zeichen, das einem Angst macht", sagt die Mitarbeiterin der Hilfsorganisation."Reis bedeutet für die Indonesier alles: Leben, Nahrung, Sicherheit".

Die Regierung hat den Reishandel immer streng kontrolliert.Nur einer Behörde ist es gestattet, Reis zu importieren.Die einzige andere Reis-Krise in der neueren Geschichte Indonesiens war 1973, als die Regierung bemerkte, daß sie auf einem schlecht versorgten Weltmarkt nicht genug Reis für die Bedürfnisse des Landes kaufen konnte.Präsident Suharto startete daraufhin eine massive Kampagne, um das Land zum Selbstversorger für Reis zu machen.Der Schlüssel zu den Anstrengungen, Selbstversorger für Reis zu werden, war die Regierungsbehörde mit dem Namen Staatlicher Versorgungsrat - oder "Bulog", wie sie die Indonesier in ihrer Sprache abkürzten.Sie war dem Präsidenten direkt unterstellt und hatte die Aufgabe, den Markt für Nahrungsmittel zu stabilisieren.Das bedeutete, sie stützte die Preise, die den Bauern gezahlt wurden, sie kaufte Reis aus dem Ausland, um die heimische Produktion zu ergänzen, und sie verkaufte subventionierten Reis auf dem Markt, wenn die Preise zu stark anstiegen.

Im Zusammenhang mit Suhartos Sturz im Mai haben Offizielle zugegeben, daß "Bulog" wahrscheinlich in unsaubere Geschäfte verstrickt war.In diesem Jahr habe die Behörde einen mysteriösen Aufschlag auf die Weltmarktpreise gezahlt, um eine große Menge Reis von einer nicht identifizierten Firma zu kaufen, sagt Landwirtschaftsminister A.M.Saefuddin."Ich war nicht dabei, aber ich vermute Mauschelei und Korruption", sagt Saefuddin.Die Ermittlungen laufen.Trotz der angeblichen Exzesse ist es "Bulog" nicht nur gelungen, das Land zum Selbstversorger zu machen, sondern sie hat auch ein anderes wichtiges Ziel erreicht: die Armut zu mildern.Die indonesische Regierung berechnet die Armut ausgehend davon, wieviel Reis eine Familie sich leisten kann.Als die Verfügbarkeit von Reis sich stabilisierte, ließ die Armut nach.Im letzten Jahr von Suhartos Regime sank die Armutsrate auf elf Prozent.25 Jahre zuvor waren es noch vier Fünftel der Bevölkerung gewesen.Einige Kritiker sagen, das habe zu gefährlicher Selbstzufriedenheit geführt.

Aufgrund von Dürre und Waldbränden ist die Produktion von Reis landesweit um fast sieben Prozent zurückgegangen, sagt Minister Saefuddin.In einigen Regionen betrage der Rückgang aber ein Drittel oder mehr.Schlimmer noch: Die Dürre kam gerade zu dem Zeitpunkt, als die Finanzkrise Indonesien erwischte.Die Rupie fiel um mehr als Dreiviertel ihres Wertes.Damit stiegen die in Fremdwährung zu zahlenden Preise für Importe enorm.Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte für seine Hilfszahlungen die Bedingung, daß alle Subventionen auf Waren enden sollten - mit Ausnahme der Subventionen auf Reis.Der Preis von Pflanzenschutzmittel, das für eine gute Ernte nötig ist, vervierfachte sich.Die Auswirkungen der Reis-Krise werden auf dem Reismarkt in Jakarta auf bedrückende Weise deutlich: Arme Frauen, in rote oder orange Batik-Sarongs gewickelt, suchen zwischen dem Schotter auf dem Parkplatz nach Reiskörnern.Normalerweise werden auf dem Markt täglich rund 3000 Tonnen Reis verkauft, jetzt sind die Händler froh, wenn es mal 1200 sind.

In Jember, wo die nächste Ernte schon wieder grün auf den Feldern steht, haben Plünderer Ende August zwei Vorratshäuser attackiert.Sie gehörten Soekotyo, einem 40jährigen chinesischen Reismüller.Eine Menschenmasse von etwa 1000 Plünderern nahm 100 Tonnen seines frisch gemahlenen und verpackten Reises, sagt Soektoyo.Seither sind er und viele andere Müller aus dem Geschäft mit dem Reis ausgestiegen.Statt den Reis vor Ort zu erwerben, müssen die Leute subventionierten Reis von der Regierung kaufen, der aus fremden Ländern wie China, Vietnam oder Pakistan kommt.Die Bauern, die sehen, daß ein Teil ihrer Kunden den Reis jetzt günstiger bekommt, als sie ihn produzieren könnten, wechseln zu Tabak, den sie zu höheren Preisen verkaufen können."Das", warnt Steve Tabor, ein Wirtschaftswissenschaftler, der die Weltbank unterstützt, "wird langfristige Nahrungsprobleme hervorrufen".

Übersetzt und gekürzt von Sigrun Schubert (Rußland, Indonesien) und Karen Wientgen (Siemens, Steuern).

MARCUS W.BRAUCHLI

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