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Wirtschaft: Der Sammler als Spekulant: Wertvolles Altpapier aus der New Economy. Historische Aktien erzielen enorme Preissteigerungen. Besonders gefragt sind Papiere moderner Pleiteunternehmen

Zerreißen, verbrennen - der Fantasie des frustrierten Anlegers sind beim Vernichten der ehemaligen Hoffungsaktien der New Economy keine Grenzen gesetzt. Doch wer sich zu solchen Kurzschlusshandlungen hat hinreißen lassen, könnte es bereits heute wieder bereuen.

Zerreißen, verbrennen - der Fantasie des frustrierten Anlegers sind beim Vernichten der ehemaligen Hoffungsaktien der New Economy keine Grenzen gesetzt. Doch wer sich zu solchen Kurzschlusshandlungen hat hinreißen lassen, könnte es bereits heute wieder bereuen. Denn die Unternehmen sind zwar tot, doch mit den Aktien der Pleitefirmen kann man wieder Geld verdienen. Für fast 80 Dollar verkaufte der Internet-Händler Scripophily die Aktie des Online-Lebensmittelherstellers Webvan, der im Juli Konkurs anmeldete. Die Originalaktie des insolventen Spielzeughändlers E-Toy ist für 139 Dollar zu haben. Da konnte selbst der Firmen-Mitgründer nicht widerstehen und hat noch einmal investiert.

Profis in Sachen An- und Verkauf von Aktien können über solche Renditen nur müde lächeln. Bei Kurssteigerungen von bis zu 200 Prozent pro Aktie innerhalb eines Jahres verwundert das nicht. Gehandelt wird hier allerdings nicht mit börsennotierten Aktien, sondern mit historischen Wertpapieren, so genannten Nonvaleurs. "Die Wertsteigerung betrug bei einigen Aktien sogar bis zu 600 Prozent", sagt Reinhild Tschöpe, die Chefin des Kaarster Auktionshauses Tschöpe. Das Auktionshaus ist eines von fünf, die sich in Deutschland auf den Handel mit dem historischen Material spezialisiert haben. "Wahre Werte kennen keine Baisse", sagt die Auktionatorin. Dieser Blick durch die rosarote Brille der Verkäuferin trifft es nicht ganz: Der Handel mit historischen Wertpapieren ist nicht weniger zyklisch als das Geschäft an der Börse.

Rund 15 000 Freunde historischer Wertpapiere gibt es weltweit. "Börsianer, Banker, Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare und Ärzte sind unsere Hauptkunden", sagt Michael Weingarten, Geschäftsführer des Hanseatischen Sammlerkontors. Das Sammeln historischer Wertpapiere gehöre schon in die Kategorie "anspruchsvolleres" Sammeln. Finanziell anspruchsvoll kann es sicherlich werden. Es gibt zwar schon Papiere im Preissegment ab 20 Mark, aber wer es mit dem Sammeln zu etwas bringen möchte, sollte schon etwas mehr einsetzen. Dass es allein um das schnöde Geld geht, hört man in Sammlerkreisen allerdings ungern. "Es ist eine Leidenschaft", sagt Tankred Menzel, Unternehmer und stolzer Besitzer von rund 1400 historischen Aktien. Im Oktober vergangenen Jahres kaufte er für schlappe 108 000 Mark die Gründeraktie der Standard Oil Company von 1878 mit einer Originalunterschrift John D. Rockefellers. Eine Leidenschaft, die sich auszahlt, denn Schätzungen zufolge wird die Aktie in zwei bis drei Jahren eine Million Mark wert sein.

Was macht diese Form des Altpapiers so begehrenswert? Mitentscheidend für den Wert der Aktie sind Seltenheit, Alter und historische Bedeutung. Bekannte Unternehmen oder prominente Persönlichkeiten steigern den Wert. Außerdem sind Originalunterschriften und eine schöne Gestaltung in der Sammlergemeinde gefragt. Ansonsten sind die individuellen Vorlieben natürlich ausschlagebend: Schöngeister setzen eher auf Titel wie das Moulin Rouge als auf die Aktien der ältesten Eisenbahn-Gesellschaft.

Der Preis regelt sich, wie an allen Börsen, über Angebot und Nachfrage. Die historische Qualität der Aktien sei jetzt erst richtig erkannt worden, erklärt Fachautor Jürgen Schmitz die enormen Preissteigerungen in den letzten Jahren. Außerdem habe das Sammelgebiet von der größeren Popularität der Aktie profitiert, sagt Michael Weingarten. "Voher musste man den Leuten erst erklären, was eine Aktie ist. Heute weiß es fast jeder." In den Auktionshäusern glaubt man, dass der Aufwärtstrend bei den historischen Wertpapieren weiter anhalten wird. In der Tat spricht einiges dafür: An den Börsen werden heute bereits keine reellen Aktien mehr gehandelt. Der Druck der Aktien und deren Auslieferung an den Zeichner wird sich auf wenige Exemplare beschränken. Optisch aufwändig gestaltete Wertpapiere und Originalsignaturen von Wirtschafts-Tycoons gehören ohnehin der Vergangenheit an. Das Gut wird knapp, und der Preis steigt.

Ein Rendite-Knaller könnten durch die Euro-Einführung die DM-Aktien der Nachkriegszeit werden, so die einhellige Meinung der Fachleute. Bei den Flop-Aktien der New Economy ist man in puncto Wertsteigerung eher skeptisch: Das ist wohl doch nur etwas für Nostalgiker.

Jacqueline Dreyhaupt

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