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Spielzeug der Millionäre. Die E-Bässe der Firma Warwick werden von Popstars gespielt. In Markneukirchen werden sie in Handarbeit gefertigt.

© Torsten Hampel

Der Skandal um Instrumentenhersteller Warwick: Und es hat Wumm gemacht

Plötzlich nennen sie ihn Ausbeuter und Leuteschinder, und Hans-Peter Wilfer weiß nicht wieso. Der Unternehmer war von dem guten Ruf der Instrumentenbauer ins Vogtland gelockt worden, dort verlor er seinen eigenen. Eine Reportage über die Mühen, ein Gerücht aus der Welt zu schaffen

Der Herr des Donners tritt hinaus auf seinen Balkon, er denkt zurück und schaut nach unten, und er stellt sich die Frage: Wenn jetzt nicht alles gut wird, wann dann? Er sieht Männer ein Festzelt aufbauen, eine Bühne und eine Hüpfburg. Er sieht sie Stromkabel verlegen, einen Kleintransporter entladen und Bierbänke heranschaffen. Alles auf sein Geheiß und zu einem einzigen Zweck. Nur noch ein paar Stunden, und Hans-Peter Wilfer wird der Welt die Ohren öffnen.

Hinter einem von seinen eigenen klafft eine kleine Schnittwunde, vom Schädelrasieren an diesem Morgen. Wilfer, ein untersetzter Mann in grauen Jeans und schwarzem T-Shirt, die Herbstsonne spiegelt sich in seinen Brillengläsern, blinzelt. „Das Wetter spielt schon mal mit“, sagt er. Er steckt sich eine Pall Mall in den Mund, er atmet hastig ein und hastig aus, tritt von einem Bein aufs andere, und dabei hebt er den Blick ein wenig, weg von den Aufbauarbeiten unten auf seinem Firmenparkplatz, hin zum Horizont. Die halbe Gegend überschaut er von hier oben, die Dächer der benachbarten Gewerbebauten, weit dahinter Wiesenhügel und Nadelbaumwipfel, dazwischen eine Senke.

Dort unten liegt Markneukirchen. Neikirng, wie die Leute hier sagen. Zuzüglich der Eingemeindungen von 6500 Menschen bewohnt, vorherrschender Broterwerb: Musikinstrumentenbau. 15 Blechblaswerkstätten sind hier ansässig, sechs Holzblas-, 13 Streich-, zehn Zupf- und fünf Schlaginstrumentemacher. Insgesamt 100 Betriebe in der Stadt und um sie herum stellen Dinge her, aus denen, wenn sie in die richtigen Hände gelangen, Musik kommt. Wilfers Firma tut das auch. „Dor Wilfer, dere Hund.“

Wilfer, Jahrgang 1958, hat einen schlechten Ruf unten im Tal. Ausbeuter und Leuteschinder schimpfen sie ihn. Im Moment nehmen sie ihm ein Windrad übel, das er bei sich aufstellen möchte. Wilfer scharwenzelt über den Balkon seiner Burg aus Glas und Blech und lacht. Noch eine Zigarette. Noch ein bisschen die eigene Aufregung genießen. Auf dem Parkplatz klappern die Handwerker, und von irgendwoher brummt was.

Im Grunde besteht die Abneigung gegen ihn, seit er 1994 hergekommen ist. Damals zog er mit seiner Bassgitarrenfirma Warwick von Oberfranken, was Nordostbayern ist, also Hochlohngegend, ins benachbarte Südwestsachsen, ins Gewerbegebiet oberhalb von Markneukirchen. Fördergeldabgreifer haben ihn welche zur Begrüßung genannt und gewarnt vor ihm, ein Konkursler sei er.

Die Menschen, die ihm das entgegenhielten, vergaßen dabei, dass Fördergeld von Politikern verteilt wird, die sie selbst gewählt haben. Sie vergaßen den Umstand, dass es nicht Wilfer war, der Jahrzehnte zuvor zwei Firmenpleiten nicht abzuwenden vermochte, sondern dass es sich dabei um die Unternehmen seiner Mutter und seines Vaters handelte. Und irgendwann vergaßen sie sich völlig. Vergast soll er werden, schrieb ihm einer.

Das war 2009, als hoher Besuch aus der Hauptstadt kam. Ein Ereignis, das üblicherweise Glanz abwirft. Stattdessen stieg eine hässliche, halbwahre Geschichte über das Wesen des Kapitalismus aus dem Tal. Sie handelte von seiner angeborenen Maßlosigkeit, von der Macht eines Unternehmers über die Menschen in einem Landstrich, der ihm wenig entgegenzusetzen hat. Die Arbeitslosenquote im Vogtlandkreis lag bei zwölf Prozent. Arbeitssuchende waren entsprechend erpressbar.

Die Macht dieser Geschichte war noch größer als die von ihr behauptete Macht Wilfers. Er vermochte es lange nicht, sich dagegen zu wehren. „Warum wir?, haben wir uns damals gefragt“, sagt er. „Warum werden ausgerechnet über uns solche Sachen erzählt?“ Er geht wieder rein, an den Schreibtisch. Der steht am Ende eines Großraumbüros, das Wilfer sich mit seinen Verwaltungsangestellten teilt. Er muss E-Mails nach Schanghai schreiben. Dort geht es auf den Abend zu, und er will an diesem Tag noch eine Antwort.

Horst Köhler war damals da gewesen, der Bundespräsident. Er „trifft 14 Uhr zum Besuch in der Musikstadt Markneukirchen ein“, stand im „Vogtland-Anzeiger“ vorab. „Doch den Handwerksmeistern, die die Tradition des 300-jährigen Musikinstrumentenbaus hochhalten, gilt Köhlers Aufmerksamkeit nicht... Köhlers Aufmerksamkeit gilt... dem Bass-Hersteller Warwick.“ Dem Zugezogenen also, dem Traditionsprofiteur. Dem Mann, dessen „Unternehmen auch Schattenseiten hat, einen geringen Stundenlohn zahle“, dessen „Arbeiter quasi im Akkord für den wohlklingenden Akkord der Instrumente arbeiten“. Der „Stern“ in Hamburg wurde aufmerksam und brachte Ausbeutungsbeispiele. Wenig Geld, wenig Urlaub, eine erschütternde Unterdrückungsatmosphäre, Samstagsarbeit. Der Hochmoralsender RTL suchte Warwick-Opfer. Wilfer, das alles noch nicht im Geringsten begreifend, ließ zum Andenken an den Köhler-Besuch ein Büchlein machen. Im Vorwort schrieb er, dass der 7. Oktober „uns allen mit Sicherheit ein Leben lang in Erinnerung bleiben wird“.

Es kam genau so. Denn seitdem ging der Umsatz zurück. Die zivilisatorischen Reflexe eines Teils der Kundschaft funktionierten. Manche schrieben Wilfer, wie empört sie seien und dass sie nie wieder einen Warwick-Bass kaufen würden. Wilfer schrieb ihnen zurück, „kommen Sie doch bitte her“, „Sie sind herzlich willkommen bei uns“, „es liegt uns am Herzen, dass Sie einmal persönlich sehen, wie es hier wirklich ist.“ Es reichte nicht.

„Warum wir?“ Weil alles so gut passte. Weil sich an Warwick fast nach Belieben deutsche Lieblingsfrontverläufe aufzeigen ließen. West und Ost, Kapital und Lohnabhängigkeit, Überfluss und Mangel. Ein Luxuswarenhersteller – 1800 bis 9300 Euro kosten die Markneukirchner Instrumente in ihren Basisvarianten –, bei dem die Millionäre von U2 und Metallica vorstellig werden, der aber keine Luxuslöhne zahlt. Der stattdessen sein Büro und die firmeneigene Veranstaltungshalle mit einem extrem teuren Holz aus Afrika auslegen lässt. Der angeblich teuerste Fußboden des Oberen Vogtlandes.

Um das zu offenbaren, mussten jedoch ein paar Informationen weggelassen werden. Beim Fußbodenholz zum Beispiel handelt es sich um Abfall aus der Instrumentenproduktion. Man hätte es auch einfach wegschmeißen können.

Ab hier wird nur noch das damals Weggelassene erzählt.

Im Großraumbüro ist ein Grummeln zu hören, ein wenig lauter und geordneter als das Brummen vorhin, so als nähere sich ein Gewitter, das Tonleitern kennt. Schon die ganze Woche brummt und grummelt es hier oben im Gewerbegebiet. Die Schallfrequenzen gehen runter bis 23 Hertz, noch hörbar, vor allem aber zu spüren.

Die ganze Woche schon hat Wilfer Gäste im Haus. Er hat 50 Gelegenheitsmusiker eingeladen, die hier jetzt auf ein gutes Dutzend Großbassisten, meist Warwick-Benutzer, treffen. Fünf Schwarze, neun Weiße, achtmal lange Haare, fünf- mal kurze, einmal keine. 13 Männer, eine Frau. Die Profis geben Unterricht oder erzählen Geschichten. Sie sagen: „Miles Davis told me“, „B. B. King told me“, „James Brown told me“. Es sind Leute, die für Phil Collins arbeiteten, für Toto, Rod Stewart, Santana, Pink Floyd, Madonna, Roxy Music, Michael Jackson, Tina Turner, Louis Armstrong, Passport und Boney M.. Vielen Menschen würden ihre Namen nichts sagen, aber die 50 wissen, wen sie vor sich haben. Die meisten von ihnen kannten auch Wilfers Ruf.

Der Lehrgang ist ein Teil seines schon fast zu spät gefassten Plans, die Uhr zurückzudrehen. Zweieinhalb Jahre lang hatte er es nicht geschafft, die Geschichte vom gierigen Kapitalisten aus der Welt zu schaffen. Seine Einladungen an die erbosten Kunden gingen unter im immer gehässiger werdenden Branchengerede. Dass Wilfer darüber hinaus schwieg, machte es nicht besser.

In diesem Sommer schließlich überwand er sich und begann mitzureden. Er meldete sich bei Musiker-Internetforen an, gab dort bekannt, dass er da sei und beantwortete jede ihm gestellte Frage. Er schrieb über sein Wesen, sein Verständnis vom Unternehmertum, machte die von ihm gezahlten Löhne öffentlich, seinen Umsatz, seine Gewinne und Verluste. Wilfer zog sich vollständig aus. Die, die dort mitlesen, wissen nun zum Beispiel, wie viel Geld im Monat er sich selbst zugesteht. Er schrieb: „Ob ich ein Arschloch bin oder nicht ... muss einfach jeder selber feststellen.“

"Unfassbare" Abnahme der Arbeitsmoral

Kapitales Feindbild. Hans-Peter Wilfer geriet als Firmenchef nach dem Besuch des Bundespräsidenten 2009 in die Kritik. Er legte alle Zahlen offen.
Kapitales Feindbild. Hans-Peter Wilfer geriet als Firmenchef nach dem Besuch des Bundespräsidenten 2009 in die Kritik. Er legte alle Zahlen offen.

© Peter Matis

An diesem Septembersamstag nun ist das große Publikum dran. Wilfer hat zum Tag der offenen Tür eingeladen, die Firma wird 30. Es wird Volksbelustigung geben und Wernesgrüner Bier. Kleinbusse werden Wilfers Gäste runter nach Markneukirchen fahren, ins Museum, das er dort zu Ehren der einst untergegangenen Firma seines Vaters – sie war die größte Gitarrenfabrik in Europa – hat errichten lassen. Vor allem aber werden Führungen durch das Werk stattfinden.

Die 2500 Besucher werden gut aufgelegte Angestellte sehen und gekapselte Holzfräsen, die keinen Staub ausspucken. Eine Lackiererei, die ebenfalls niemandem die Lunge kaputt macht. Einen Fitnessraum, eine Sauna. Tageslicht. Nagelneue Klimatechnik. Ein Foyer und ein Treppenhaus, die eher Andachtsräume für die Produkte der Firma sind als Zweckbauten. Und was für viele das Erstaunlichste sein wird: Stolz.

Ist das hier wirklich eine Frühkapitalistenbude? Die sächsischen Landesbehörden, die nach dem Köhler-Besuch Einblick in Lohnabrechnungen nahmen, befanden jedenfalls: nein. Wer selbst durch diese Listen blättert, findet auch nichts. Tarifniveau, mal darüber, oft auch mittelstands- und vogtlandtypisch darunter. Keine Leiharbeiter, jährliche Lohnerhöhungen, und – das ist das wirklich Auffällige – viele davon sind spektakulär. Es gibt unter Wilfers 60 Leuten welche, die verdienen heute fast doppelt so viel wie vor fünf Jahren.

Was also, wenn alles ganz anders ist? So zum Beispiel? 1982, Wilfer gründete gerade seine Firma, fand in der Bundesrepublik eine sozialwissenschaftliche Erhebung statt. Ihr naturgemäß umstrittener Befund war eine geradezu „unfassbare“ Abnahme der Arbeitsmoral im Land. 1994, Wilfer zog nach Markneukirchen, wieder Studien, die eine weiter zunehmende Distanz der Menschen von der Arbeit konstatierten. Ein besonders schwerer, weil durch Tradition verschärfter Fall: das Vogtland. „Eine gewisse Trägheit ist bei den Handarbeitern ... nicht hinwegzuleugnen“, schreibt 1867 der Volkskundler Johann August Ernst Köhler in seinem „Beitrag zur Kulturgeschichte der Voigtländer“. „Nur ungern fangen die meisten ihre Arbeit etwas früher als gewöhnlich an; auch lassen sie sich gern an jede einzelne Beschäftigung erinnern.“

Es ist aus der Mode gekommen, ganze Völker auf diese Art und Weise zu diffamieren. Aber glaubt man Wilfer und schaut sich die Belege an, die er liefert, dann scheint ihm so etwas Ähnliches wie das damals Beschriebene hundertfach widerfahren zu sein.

Hergekommen in den Osten sei er vor allem wegen der niedrigen Löhne, aber auch wegen der Hoffnung auf Knowhow, sagt Wilfer. Nur sei es aber, das wisse er heute, 1995 dafür viel zu spät gewesen. Gute Instrumentenbauer und gute Holzhandwerker hätten da längst woanders Arbeit gefunden. Da habe er also die anderen eingestellt. Eine Identifikation mit der Firma habe es bei vielen Leuten nicht gegeben, die hatte ja keine Wurzeln hier, sagt Wilfer, sie sei „ein künstliches Gebilde“. Und dann erzählt er Geschichten, die so auch viele seiner Angestellten erzählen. Geschichten aus der Produktion, die eigentlich Geschichten von Sabotage sind. Noch heute bekommt er Reklamationen aus dieser Zeit zurückgeschickt. „Ich sag‘s mal so“, sagt er, „wenn wir Autos bauen würden, dann hätten wir jahrelang und immer wieder Autos ohne Getriebe ausgeliefert.“

Er sagt: „Ich war schon oft auf Kante, ich konnte das nicht verstehen.“ Gelegentlich hat es geknallt. Der Ruf vom Leuteschinder kam in die Welt.

Da wird er allem Anschein nach auch noch eine Weile bleiben. Einer von Wilfers Lehrgangsgästen jedenfalls schrieb nach seiner Rückkehr ins Internet, wie angenehm überrascht er sei von dem, was er gesehen habe. Einer antwortete ihm, dass damit ja ein liebgewonnenes Weltbild zusammenbräche. Ein Dritter schrieb: Gehirnwäsche.

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