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Wirtschaft: Der Stahlriese an der Oder hat die Schocktherapie überlebt

Mehrfach stand das Eisenhüttenkombinat Ost unmittelbar vor dem Aus / Seit dem Einstieg von Cockerill Sambre ist Eko eines der modernsten Werke EuropasVON CLAUS-DIETER STEYERAm Eingang zum größten ostdeutschen Stahlwerk in Eisenhüttenstadt steht der Besucher vor einem undurchschaubaren Schilderwald.Fast hundert Unternehmen weisen mit großen und kleinen Zeichnungen oder Straßennamen auf ihren Standort auf dem 10 Quadratkilometer großen Gelände unweit des Stadtzentrums hin.

Mehrfach stand das Eisenhüttenkombinat Ost unmittelbar vor dem Aus / Seit dem Einstieg von Cockerill Sambre ist Eko eines der modernsten Werke EuropasVON CLAUS-DIETER STEYER

Am Eingang zum größten ostdeutschen Stahlwerk in Eisenhüttenstadt steht der Besucher vor einem undurchschaubaren Schilderwald.Fast hundert Unternehmen weisen mit großen und kleinen Zeichnungen oder Straßennamen auf ihren Standort auf dem 10 Quadratkilometer großen Gelände unweit des Stadtzentrums hin.Früher stand hier nur ein großes Schild: VEB Bandstahlkombinat "Hermann Matern".Es ist erst vor sieben Jahren demontiert worden.Doch für Eko ­ die Abkürzung steht für Eisenhüttenkombinat Ost ­ glich diese Zeit einer Schocktherapie: Zusammenbruch der Märkte, Entlassungen, Streiks, Demonstrationen, Autobahn-Blockade, Mahnwachen, Lichterketten, Ministerbesuche am laufenden Band, Hoffnungen.Heute zählt die Eko Stahl GmbH zu den wenigen industriellen Leuchttürmen in ganz Ostdeutschland. Der Schilderwirrwarr ist ein Ergebnis dieser Erfolgsgeschichte.Denn von den 5100 Menschen, die ihr tägliches Brot auf dem Stahlwerksgelände verdienen, sind nur 2600 im Kernbereich von Eko beschäftigt.Die übrigen fanden Anstellung in ausgegliederten Betrieben ­ vom Atelier für Computergrafik bis zur Werbeagentur.Zu DDR-Zeiten zählte das Stahlwerk allerdings 12 000 Betriebsangehörige.Die Stadt, deren Aufbau vom 3.SED-Parteitag 1950 gemeinsam mit dem des Werkes beschlossen wurde, spürt den Aderlaß nicht zuletzt an der Abwanderung.Viele der einst 50 000 Einwohner kehrten dem Ort, der bis in die fünfziger Jahre hinein den Namen Stalins trug, auf der Suche nach einem Job den Rücken. Doch im Unterschied zu vielen anderen ehemaligen Treuhandbetrieben gehörte "die oberste und mittlere Leitungsebene", wie es im Sprachgebrauch der DDR-Volkswirtschaft hieß, in Eisenhüttenstadt nicht zu den ersten Arbeitslosen.Hier baute das Management von Beginn an auf eine gute Ost-West- Mischung.Wo findet man denn sonst noch einen ehemaligen Generaldirektor eines Kombinates auf einem Chefsessel? In der Eko Stahl GmbH arbeitet Karl Döring heute in der Position des Geschäftsführers für Technik.Über ihn läuft das gesamte Investitonsprogramm. Dessen Umfang kann sich sehen lassen: Seit der mehrheitlichen Übernahme von Eko durch die belgische Stahlgruppe Cockerill Sambre am 1.Januar 1995 sind rund 1,1 Mrd.DM in die Modernisierung des Werkes geflossen.40 Prozent der Gesellschafteranteile liegen immer noch bei der Treuhandnachfolgesellschaft BvS.Cockerill hat eine Option auf den Kauf dieses Anteils bis Ende 1999.Kaum jemand zweifelt an der kompletten Übernahme durch das Brüsseler Stahlunternehmen.Nicht zuletzt der große Umfang staatlicher Beihilfen hatte die Belgier zum Einstieg im Osten bewogen.Rund zwei Drittel aller Investitionen sind Fördermittel der BvS und des Landes.Vor Cockerill hatten sowohl die Krupp Stahl AG und der italienische Riva-Konzern ernsthafte Kaufabsichten geäußert.Doch im letzten Augenblick platzten die Geschäfte.Eko stand mehrfach vor der Stillegung.Nur das Kaltwalzwerk sollte in den zwischen 1992 bis 1994 gezeichneten Szenarien überleben.Eine Groß-ABM wurde schon diskutiert, um die restlichen Betriebsteile abzureißen.Doch der gemeinsame Druck von Werk, Stadt und Land zeigte schließlich in Bonn und bei der EU-Kommission Wirkung.Haarscharf entging Eisenhüttenstadt damals der wirtschaftlichen Katastrophe. Den größten Teil des Investitionsprogramms verschlang der im Sommer fertiggestellte Bau eines hochmodernen Warmwalzwerkes.671 Mill.DM kostete die Schließung der technologischen Lücke im Stahlwerk.Denn bis dahin mußte der in Eisenhüttenstadt erzeugte Stahl nach Salzgitter oder ins Ruhrgebiet gefahren werden, um in dortigen Werken die über 20 Tonnen schweren Stahlbrammen zu dünnen Bändern zu walzen.Anschließend kamen diese Produkte zurück ins Kaltwalzwerk an der Oder.Dieser Stahltourismus brachte jährlich Millionenverluste.Schon 1986 hatte die DDR deshalb den Bau eines Warmwalzwerkes beschlossen, diesen dann aber zwei Jahre später aus Geldmangel wieder gestoppt. Knapp 100 Mill.DM kostete außerdem die Modernisierung der Sinteranlage, wo das Erz aufbereitet wird.Der neue Hochofen löste fünf ältere ab.300 Mill.DM mußten dafür aufgebracht werden."Jetzt ist unsere Grundsanierung abgeschlossen", sagt Pressesprecher Behrend."Es sind auch keine größeren Beihilfen mehr zu erwartet.1998 wollen wir die Verlustzone endgültig verlassen." Noch im Vorjahr betrug das Minus in der Bilanz rund 100 Mill.DM.Doch in letzter Zeit sind die Stahlpreise aufgrund hoher Nachfrage nach oben geklettert.Eko will bis zum Jahr 2000 die jetzt bei 2 Mill.Tonnen Rohstahl liegende Jahresproduktion auf 2,2 Mill.steigern. Das Erz für die Hochöfen wird zu je einem Drittel aus Rußland, Skandinavien und aus Übersee geliefert.Bis 1991 kam der Rohstoff zu 90 Prozent aus sowjetischen Gruben.Eine ähnliche Kehrtwendungen vollzog der Absatz.70 Prozent der kaltgewalzten Bleche gehen heute in den deutschsprachigen Raum, 15 Prozent in EU-Länder und fünf Prozent nach Osteuropa.Hauptabnehmer ist die Automobilindustrie.Schrittweise haben sich die Eisenhüttenstädter beispielsweise zu einem der führenden Lieferanten des VW-Konzerns emporgearbeitet.Kürzlich schickten die Wolfsburger sogar die Auszeichnung "Formal Q" an das ostdeutsche Werk.Ausschlaggebend sei allein die Qualität gewesen, heißt es aus der Geschäftsführung.Das Image eines Billigproduzenten hätte man zu keiner Zeit angestrebt. Um weiter den Erfolgskurs halten zu können, hat das Unternehmen mehrere Forderungen an Bundes- und Landespolitiker gestellt.Ganz oben steht der Wunsch nach niedrigeren Strompreisen.Sie seien derzeit ein großer Standortnachteil.Weiterhin müsse die Infrastruktur in Ostbrandenburg verbessert werden.Dazu gehöre der Ausbau des Oder-Spree-Kanals in Richtung Berlin ebenso wie die ganzjährige Schiffbarkeit der Oder.Die Autobahn A 12 Berlin-Frankfurt solle möglichst rasch erneuert werden.Auch die lange versprochene Oder-Lausitz-Trasse mit Ortsumgehungen und mehrspurigen Abschnitten fordert das Werk.Auf der Schiene läuft ebenfalls noch nicht alles wunschgemäß.Viele Gleiskörper und Brüêken müßten dringend erneuert und für weiter steigende Transportmengen vom und zum Werk an der Oder fitgemacht werden.

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