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Wirtschaft: Der starke Euro schwächt Europa

Internationale Investoren ziehen sich von europäischen Börsen zurück, wenn der Euro den Export weiter bremst

Warum sollte man angesichts des bedauerlichen Zustands der Wirtschaft in der Eurozone in Europa investieren? Ein Bergsteiger würde, wenn man ihn fragte, weshalb er den Berg besteige, vielleicht antworten: „Weil er da ist.“ Die meisten Anleger brauchen aber bessere Argumente. Weil die aus zwölf Nationen bestehende Eurozone aber zunehmend wie ein dreibeiniger Stuhl wirkt, dem das dritte Bein wegzubrechen droht, wird es immer schwerer, die Anleger zu überzeugen.

Die Eurozone ist nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft. Aber im Gegensatz zu den USA, wo jüngst ein außergewöhnlich hohes Wachstum zu verzeichnen war, betrug die Wirtschaftsexpansion im dritten Quartal auf Jahresbasis umgerechnet schwache 1,5 Prozent. Die Inlandsnachfrage fiel um 2,4 Prozent – der stärkste Rückgang seit 1993 und eines der schlechtesten Quartalsergebnisse der letzten 30 Jahre. Einzig und allein der Export bewahrte die Eurozone vor einer Rezession. Sie verbesserten sich aufs Jahr umgerechnet um 8,8 Prozent.

Jetzt aber droht der starke Euro, der sich in den vergangenen Wochen stetig gegenüber dem Dollar verbesserte, das Exportwachstum zu beenden, weil er die europäischen Ausfuhren auf dem Weltmarkt teurer macht. In der vergangenen Woche hat der Euro mit 1,2276 US-Dollar den höchsten Wert seit seiner Einführung erreicht. 2003 hat er gegenüber dem Dollar 17 Prozent, gegenüber dem Britischen Pfund acht Prozent und gegenüber dem Yen fünf Prozent zugelegt. Ausgehend von seinem Rekordtief Ende Oktober 2000 ist der Euro gegenüber dem Dollar gar um 49 Prozent gestiegen. Und viele Währungsstrategen glauben, dass der Euro gegenüber dem Dollar im kommenden Jahr um weitere sechs bis zehn Prozent zulegen wird.

Diesem Gegenwind hat der Export aus der Eurozone nur standgehalten, weil sich Kursänderungen zeitlich verzögert – nämlich erst nach etwa 18 Monaten – auf den Außenhandel auswirken. Umfragen und Erhebungen, die Verbraucherzufriedenheit, Vertrauen in die Wirtschaftslage, Einzelhandelsverkäufe, Industrieproduktion und Haushaltsverbrauch messen – sowohl in der Eurozone als auch in ihren größten Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich -, zeigen, dass sich Europas Wirtschaft erholt. Aber Michael Dicks, Ökonom bei Lehman Brothers in London sagt, viele Erhebungen basierten auf einer so schwachen Datenbasis, dass sie nicht aussagekräftig seien.

Ob der starke Euro seinen Tribut von den europäischen Aktienmärkten fordern wird, hängt davon ab, ob es den Volkswirtschaften der Eurozone gelingen wird, die Inlandsnachfrage anzukurbeln, um die sinkenden Ausfuhren auszugleichen. Für Dicks ist entscheidend, ob die deutschen und französischen Verbraucher im nächsten Jahr das durch Steuersenkungen gewachsene verfügbare Einkommen ausgeben oder sparen werden. Alles in allem, sagt Dicks, könne die Erholung der Eurozone durch eine globale Konjunkturabschwächung und einen steigenden Euro gefährdet werden.

Auch Senkungen der Staatsausgaben und die Reaktion der Arbeitnehmer auf geplante Reformen wie Kürzungen beim Arbeitslosengeld könnten sich negativ auswirken. In der Vergangenheit haben solche Veränderungen oft zu einem Rückgang des Verbrauchervertrauens und der Ausgaben geführt.

Dennoch gibt es für Optimisten Gründe, in Europa zu investieren. „Europäische Aktien bieten Anlegern eine attraktive Gelegenheit, ungeachtet des Gegenwinds, der aus Richtung Euro bläst“, sagt Gary Dugan von J.P. Morgan in London. Sowohl Dugan als auch James Seddon, Aktienfonds-Manager bei T. Rowe Price, sagen, dass viele Analysten trotz des starken Euros mit steigenden Aktienkursen rechnen. „Das Verbrauchervertrauen erholt sich, vor allem durch die geplanten Reformprogramme und Steuersenkungen der deutschen und französischen Regierungen“, sagt er. „Und das aufgehellte Verbrauchervertrauen sollte sich in einem stärkeren Konsum ausdrücken.“

Seddon setzt zum Beispiel auf Volkswagen, da die Aktie billig sei und vom erwarteten Nachfrageschub profitieren sollte. „Es gibt europäische Unternehmen, die einen guten Profit machen; sie haben den Abschwung gut überstanden und weisen wieder steigende Gewinne auf", sagt Seddon.

Die Artikel wurden übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Sars), Svenja Weidenfeld (Europa), Matthias Petermann (Schrempp), Christian Frobenius (Fed) und Tina Specht (Dow Jones).

Michael R. Sesit

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