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Wirtschaft: Der Sturm nach dem Sturm

Der Wiederaufbau von New Orleans stockt: Stadt, Bundesstaat und Washington behindern sich gegenseitig

Umgerechnet 163 Milliarden Euro will Washington demnächst für die vom Wirbelsturm „Katrina“ verwüsteten Gebiete bereit stellen. Doch der Kampf um die Kontrolle und die Verwendung der Gelder hat schon begonnen. Drei Kernfragen sind besonders umstritten: Soll der Wiederaufbau in die Hände der US-Bundesregierung gelegt werden oder sollen Behörden des Bundesstaates oder der Stadtverwaltungen das Sagen haben? Kann die bestehende Verwaltung den Aufbau-Marathon organisieren oder sollte eine besondere Behörde gegründet werden? Und letztlich: Sollte man große Teile von New Orleans für den Überflutungsschutz opfern?

In Washington verlangen Vertreter beider Parteien inzwischen die Schaffung einer völlig neuen Behörde, um mit den Flutfolgen fertig zu werden. Präsidentenberater Karl Rove und andere Mitglieder von George W. Bushs Regierungsmannschaft werfen bereits Namen für einen möglichen Leiter des Wiederaufbaus in die Runde: Vom ehemaligen General- Electric-Chef Jack Welch ist die Rede und vom einstigen Außenminister Colin Powell. Auch New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani wurde schon genannt.

Doch die Machtspiele auf Bundesebene erregen Misstrauen in den betroffenen Gebieten der Golfküste. „Keiner soll uns von außen vorschreiben, wie wir New Orleans zu planen haben“, sagte der Bürgermeister der Stadt, Ray Nagin, auf einer Stadtverordnetenversammlung im 130 Kilometer entfernten Baton Rouge.

Über der ganzen Debatte hängt ein zentrales Problem: Schon lange vor dem Wirbelsturm „Katrina“ war New Orleans eine gebrochene Stadt – geschüttelt von Armut, Verbrechen und Rassendiskriminierung. Die Wirtschaft der Stadt war erlahmt, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen unterdurchschnittlich, und das System zur Flutkontrolle war völlig unzureichend.

Kaum jemand will daher das alte New Orleans zurück. „Der Wiederaufbau muss unsere Städte besser machen als je zuvor“, sagte Kathleen Blanco, Gouverneurin von Louisiana in der letzten Woche. „Jeder gute Architekt weiß, dass man nichts wiederaufbauen darf, ohne die Fehler in der Struktur zu korrigieren.“ In vielen der tiefer gelegenen Gegenden der Stadt lebte vor der Flut eine arme, meist schwarze Bevölkerung. Laut einigen Umweltexperten sollten diese Gebiete in Zukunft nicht für Wohnungen genutzt werden, sondern als Überschwemmungswiesen. Dies würde einige der ärmsten Bewohner für immer aus ihren Vierteln vertreiben.

Vor dem Wirbelsturm lebten fast 15 Prozent der Bevölkerung von New Orleans unter der Armutsgrenze, bei Kindern waren es sogar 25 Prozent. Nur sieben US-Städte haben einen höheren Anteil bei der Kinderarmut. „Katrina“ zeigte allen die „Wirbelstürme von Armut und Analphabetismus, die es hier jeden Tag gibt“, sagt der Präsident von New Orleans’ Ratsversammlung Oliver Thomas.

Schon im Jahr 2002 hielt eine Studie der US-Armee den Hochwasserschutz der Stadt für unzureichend. Man schlug eine Erhöhung der Dämme von derzeit vier auf 5,50 Meter und den Bau neuer Schleusen vor. Doch nun, angesichts der ohnehin leeren Wohnviertel, wollen Wirtschaftsvertreter und Umweltfachleute der Natur wieder einige Räume zurückgeben.

Laut Sherwood Gagliano, einem der führenden Fachleute für Küstenerneuerung in Louisiana, sollten dichte Wohnviertel aus den tieferen Gegenden der Stadt verschwinden. „Man sollte die vielen Menschen nicht wieder in diese Löcher stecken“, sagt er. Eine Lösung wäre, einige der Wohngebiete in Überschwemmungswiesen von jeweils 2000 Hektar umzuwandeln. Bei schweren Regenfällen oder Stürmen könnten sich die Wassermassen hier sammeln und das Pumpsystem der Stadt entlasten.

Dass allerdings der Wiederaufbau von New Orleans die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern könnte, ist ein sensibles Thema in einer Stadt, in der 75 Prozent der Bevölkerung Schwarze sind. Auch Bürgermeister Nagin war sich dessen bewusst, als er seine Pläne über eine Sonderkommission für den Wiederaufbau bekannt gab. Keiner dürfe den Sturm dazu nutzen, die Demografie der Stadt zu verändern und die Armen zu verdrängen, so Nagin.

Derweil arbeitet der US-Kongress an der Schaffung einer nationalen Aufbaubehörde. Judd Greg, Sprecher des Finanzausschusses des Senats, sprach von einem mächtigen Regierungsorgan, das an das Weiße Haus gebunden sein wird, dessen Hauptquartier aber an der zerstörten Golfküste liegen soll.

Doch ein Streit scheint unausweichlich: Der republikanische Gouverneur von Mississippi Haley Barbour, einer von Bushs engsten Vertrauten in der Region, wird „ein gewichtiges Wort mitzureden haben“, wie es ein Regierungsvertreter ausdrückte. Und Barbour wird alles versuchen, damit das ebenfalls schwer getroffene Mississippi nicht weniger bekommt als New Orleans, eine Hochburg der Demokraten.

Besonders beunruhigend findet Bürgermeister Nagin, dass die Wiederaufbaugelder vom Bundesstaat verwaltet werden. Schon lange gibt es Spannungen zwischen Louisianas Regierung und den Stadtvätern von New Orleans. Nagin verweist auf ein Casinoprojekt aus den 90er Jahren: Damals kassierte der Staat Louisiana zig Millionen Dollar von einem Glücksspielkonzern, damit der sein Casino direkt in der Innenstadt von New Orleans bauen durfte. „Anstatt dieses Geld nach New Orleans fließen zu lassen, wurden damit Regierungsbauten in Baton Rouge finanziert“, sagt Nagin.

All dies erinnert an das Jahr 1927. Seinerzeit verwüstete eine Flut entlang des Mississippi 65000 Quadratkilometer – viermal so viel wie jetzt „Katrina“. Der damalige Präsident Coolidge entsandte seinen Finanzminister Herbert Hoover in die Gegend. Mit allen Vollmachten ausgestattet, bewältigte Hoover die Krise und wurde danach selbst zum US-Präsidenten gewählt. Sein Erfolgsgeheimnis lag in der Einbeziehung der Wirtschaft vor Ort. „Ich hätte die gesamte Armee hierher einberufen können“, sagte er später. „Doch alles, was ich brauchte, waren die Geschäftsleute in der Innenstadt.“

Jackie Calmes[Ann Carrus], Jaff D. Opdyke

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