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Wirtschaft: Der Wechsel des Stromversorgers war nie einfacher

Die Stromanbieter langen zu. Mit kräftigen Preiserhöhungen haben die meisten Anbieter ihren Privatkunden den Jahreswechsel vermiest.

Die Stromanbieter langen zu. Mit kräftigen Preiserhöhungen haben die meisten Anbieter ihren Privatkunden den Jahreswechsel vermiest. Doch die satten Aufschläge von rund zehn Prozent brauchen die Verbraucher nicht klaglos hinzunehmen. Wem die Preispolitik seines Stromversorgers nicht passt, kann wechseln - und dabei kräftig sparen.

Rund 140 Euro im Jahr springen für Familien dabei heraus, wenn sie etwa den verkaufshäufigsten Bewag-Tarif "BerlinKlassik" kündigen und zu einem der billigeren Versorger wechseln (siehe Tabelle). Das gilt selbst für Ökostrom. Wer seine Energie von Lichtblick oder DSA bezieht, kommt immer noch günstiger weg als die Kunden von "BerlinKlassik". "Bis zu einem Jahresverbrauch von 5100 Kilowattstunden sind wir günstiger", sagt Lichtblick-Sprecher Gero Lücking. Nach den jüngsten Preiserhöhungen des Platzhirschen machen die Hamburger Öko-Anbieter gute Geschäfte in Berlin. "Seit Jahresanfang haben wir viele Neukunden aus Berlin", berichtet Lücking.

Ökosteuer vorgeschoben

Anders als die Konkurrenz haben die Öko-Newcomer ihre Preise stabil gehalten. Dagegen haben die meisten Wettbewerber kräftig zugelangt und ihre Preise um bis zu 1,5 Cent pro Kilowattstunde verteuert. Begründung: die höhere Ökosteuer, gestiegene Rohstoffpreise, Mehrkosten für die Kraft-Wärme-Koppelung und die Einspeisung erneuerbarer Energien. Verbraucherschützer halten das für vorgeschoben. Die Ökosteuer mache höchstens 0,29 Cent aus, und die weiteren gesetzlichen Auflagen hätten allenfalls zu einer Erhöhung um 0,15 Cent geführt, sagen sie. Vielmehr hätten die Stromanbieter die Gelegenheit genutzt, die Preise kräftig nach oben abzurunden.

Privatleute müssen für die Energie aus der Steckdose heute fast genauso viel bezahlen wie zu Beginn der Liberalisierung. Auf gerade einmal vier Prozent beziffert Yello-Sprecher Andreas Müller den Preisrückgang verglichen mit den Monopolzeiten. Dabei sollte die Öffnung der Strommärkte im Jahr 1998 den Kunden eigentlich einen Preisrutsch bescheren wie bei der Telekommunikation. Deutliche Preissenkungen hat es nur für die Industriekunden gegeben, für Privatleute hat sich wenig geändert. "Wir wollen dafür sorgen, dass die Vorteile des Wettbewerbs beim Verbraucher ankommen", sagt Ulf Böge, Chef des Bundeskartellamts. Doch der Wettbewerb ist noch nicht recht in Schwung gekommen. Die Stromerzeugung konzentriert sich im Wesentlichen auf RWE und Eon. Von den 60 Übernahmen von Stadtwerken, die es seit dem Jahr 2000 gegeben hat, waren die beiden Stromriesen in 40 Fällen beteiligt. "Die Verflechtungen mit den Stadtwerken behindern den Wettbewerb", kritisiert Kartellamts-Sprecher Stefan Siebert. Mit einer eigenen Beschlussabteilung versuchen die Wettbewerbshüter seit August vergangenen Jahres, den Wettbewerbspraktiken der Platzhirsche Einhalt zu gebieten. Jüngster Paukenschlag: Vor wenigen Tagen erhielten zehn Netzbetreiber Abmahnungen von der Kartellbehörde wegen überhöhter Nutzungsgebühren für ihre Netze.

Auch im Umgang mit den Privatkunden hatten die angestammten Stromanbieter von Anfang an alles getan, ihnen den Wechsel zu einem Konkurrenten zu versauen. Die einen verweigerten die Durchleitung von Konkurrenzstrom durch die eigenen Leitungsnetze ganz, die anderen verlangten von ihren Kunden Eintrittsgelder und Wechselgebühren. Wechselwillige Verbraucher sollten plötzlich für den Austausch von Stromzählern zahlen oder wurden mit bürokratischen Schikanen gequält. Die Abschreckungsmethode hatte Erfolg. Trotz teurer Werbekampagnen nutzte nur eine verschwindend geringe Zahl von Stromkunden die Möglichkeit, den Stromversorger zu wechseln. Nur drei bis fünf Prozent der Haushalte sind bislang umgestiegen, weiß Böge. Doch das Wechselpotenzial ist weit größer. Mehr als 30 Prozent aller Privatkunden spielen mit dem Gedanken an einen Wechsel, ergab eine aktuelle Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (gfk) im Auftrag von Yello. Klar ist: Wenn alle Wechselwilligen ihre Pläne in die Tat umsetzen, würde das den Markt gehörig umkrempeln. Denn je mehr Verbraucher ihren etablierten Anbieter verlassen, desto schärfer würde der Wettbewerb um den Kunden. Die Folge: sinkende Preise, besserer Service.

Verträge "all-inclusive"

Dabei waren die Voraussetzungen für einen Wechsel nie besser. Die Interventionen des Bundeskartellamts haben Früchte getragen. Seit Anfang dieses Jahres gilt eine neue Verbändevereinbarung der Stromanbieter, die deutlich kundenfreundlicher ist als ihre Vorgängerin. Wechselgebühren sollen danach so lange nicht mehr erhoben werden, bis höchstrichterlich geklärt ist, ob die Stromfirmen ihre Kunden mit diesem Aufschlag belasten dürfen. Außerdem sollen die Wechselkunden nur noch mit einem Anbieter zu tun haben. Die früher übliche Praxis, dass Verbraucher einen Stromlieferungsvertrag mit dem neuen Versorger und einen Netznutzungsvertrag mit dem alten Anbieter schließen mussten, ist passé. Jetzt gibt es den neuen Vertrag "all-inclusive".

Wer seinen Anbieter wechseln will, hat es leicht: Man meldet sich beim Versorger seiner Wahl an, und der übernimmt dann alles Weitere. "Der Kunde kann ohne Risiko wechseln", sagt Lichtblick-Sprecher Lücking. Den neuen Anbieter kann man direkt anrufen oder anschreiben. Strom vermitteln aber auch Dritte. Wer seine Energie von Yello, der Stromhandelstochter der Energie Baden-Württemberg (EnBW), beziehen möchte, kann das beim Versender Otto, Saturn oder Media Markt tun. Strom gibt es aber auch bei der Post. Neben Briefmarken und Versandtaschen kann man in den Postfilialen seit vergangenem Herbst Strom kaufen - nach Wahl entweder Normal- oder Ökostrom. Die Kooperationspartner sind regional unterschiedlich. In Berlin vermittelt die Post Stromlieferverträge mit den Stadtwerken Düsseldorf und Lichtblick. Wer sich auf eigene Faust auf dem Markt umsieht, sollte sicherheitshalber seinen Wunschlieferanten befragen, ob der Deal tatsächlich klappt. Da in Berlin und den neuen Bundesländern noch Sonderregeln zum Schutz der heimischen Braunkohle gelten, liefern nicht alle Anbieter in den Osten der Republik.

Bewag-Kunden unter Zeitdruck

Für viele Bewag-Kunden ist die Suche nach einem neuen Anbieter dringlicher denn je. Denn wer gegen die jüngsten Preiserhöhungen Widerspruch einlegte, bekam die Kündigung des aktuellen Tarifs zum 31. März. Paradoxe Konsequenz: Wer seinen Widerspruch nicht bis zum 15. März zurücknimmt und der Bewag einen neuen Versorger nennt, wird weiter von dem Berliner Stromunternehmen beliefert - dann aber zum "allgemein gültigen Tarif", der die Kunden in aller Regel schlechter stellt als ihre bisherige Tarifvariante. Wer das vermeiden will, sollte sich daher rechtzeitig nach einem neuen Anbieter umsehen. Das gilt auch für die Bezieher des bislang billigsten Bewag-Angebots "MultiConnect24". Dieser Tarif läuft aus, im März wird die Bewag ihre Kunden anschreiben und ihnen Alternativen anbieten. Wem das nicht passt, muss wechseln.

Kunden, die wechseln wollen, aber bei ihrem angestammten Lieferanten auf Schwierigkeiten stoßen, stehen längst nicht mehr allein da. Sie können sich mit ihren Beschwerden an die Verbraucher-Zentralen wenden, an die Landeskartellämter und an das Bundeswirtschaftsministerium. Dort arbeitet eine "Task Force" aus Experten, die Beschwerdebriefe von Stromkunden bearbeitet, es gibt eine Telefon-Hotline, an die sich verunsicherte Verbraucher wenden können - und es gibt Bundeswirtschaftsminister Müller. Stromkunden, die sich direkt an den Minister wenden, können auf eine Antwort von höchster Stelle hoffen. "Persönliche Briefe beantwortet der Minister persönlich", heißt es im Ministerium. Und manchen Streitfall klärt Müller unbürokratisch selbst - am Telefon.

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