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Brennender Sand, sengende Sonne. Bis 2050 will die Desertec-Initiative rund 400 Milliarden Euro in solarthermische Anlagen und Windräder in der Sahara investieren. Foto: ddp

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Desertec: Visionen für die Wüste

Das Desertec-Projekt hat viele Väter – auf der ersten Jahrestagung in Barcelona zeigte sich, dass es auch viele Zweifler gibt.

Barcelona - Das offizielle Programm war abgearbeitet, die warme Herbstsonne über Barcelona untergegangen, da schob sich der Physiker Gerhard Knies in einem Saal durch das Stimmengewirr aus Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Arabisch durch zum Bierstand. „Ich bin total von den Socken“, sagte der 73-Jährige etwas aufgedreht.

Knies lebt gerade den Traum, den viele Forscher nie erleben: Er hatte eine Idee, 15 Jahre lang ging er damit hausieren, aber kaum jemand interessierte sich dafür. Vor gut einem Jahr aber begann sein Thema die halbe Welt zu elektrisieren. Knies gab Interviews in Asien, Afrika und den USA. Und jetzt endlich diskutieren 300 Unternehmer, Politiker und Forscher seine Vision auf einem Kongress.

Mitte vergangener Woche hatte die Desertec Industrial Initiative (Dii), ein Zusammenschluss von 51 Unternehmen und Organisationen, zu ihrer internationalen Tagung eingeladen, um endlich alle Beteiligten zusammenzubringen, die Knies’ Idee vom Wüstenstrom umsetzen könnten. Spezialisten von Siemens trafen auf kauzige Forscher aus Tunesien, smarte marokkanische Jungmanager sprachen mit Gesandten französischer Energiekonzerne, deutsche Hersteller von Glasröhren, die in Spiegeln gebündelte Sonnenenergie auffangen, zeigten ihr Gerät Experten von IWF und Weltbank. Das Projekt Desertec füllt sich mit Leben.

Die Vision: Bis 2050 müsste man rund 400 Milliarden Euro in solarthermische Anlagen und Windräder in der Sahara investieren, damit die Region ihren Strom weitgehend ohne Öl und Gas erzeugen kann, genug um Teile nach Europa zu leiten. „In sechs Stunden geht auf die Wüsten der Erde mehr Sonnenenergie nieder, als die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht“. Dieser Satz von Gerhard Knies steht einsam gedruckt auf der ersten Seite der Infobroschüre der Desertec-Stiftung, in der die Wüstenstromforscher zusammengeschlossen sind. Er steht da wie in Stein gemeißelt, wie die Botschaft eines Sektenführers.

Doch Knies trat in Barcelona nicht wie ein Guru auf, eher wie ein freundlicher Großvater, der stolz beobachtet, wie sein Kind Karriere macht. Bei den Debatten hielt er keine Vorträge, sondern stellte den Experten meist Fragen: „Wo sehen sie noch Probleme? Wie geht es weiter?“ Als der Niederländer Paul van Son, der Geschäftsführer der gastgebenden Dii-Industrieinitiative, ihn vom Podium herab für alle hörbar dann den „Großvater von Desertec“ nannte, erwiderte Knies: „Ja, Danke. Aber es gibt sehr viele Väter“.

Doch es gibt auch Zweifler. Sie fragen: Kann das technisch klappen? Wer verdient und wer verliert? Drückt Europa den Afrikanern wieder etwas auf, das am Ende nur Europa nutzt? In Barcelona gab es schöne Worte, konkrete Ideen, aber wenig zu greifen: Es gibt noch kein Solarkraftwerk in der Wüste, das in nennenswerten Mengen Strom erzeugt, geschweige denn Strom über die einzige Leitung bei Gibraltar nach Europa exportiert. Gemessen daran, reden einige Konzerne überproportional viel von Desertec. Atom- und Kohlekonzerne wie Eon zahlen 150 000 Euro pro Jahr für ihre Mitgliedschaft in der Dii, so viel Geld also, wie das Unternehmen mit knapp 90 000 Mitarbeitern für gerade Mal fünf Sekretärinnen ausgibt. Alles nur Show also?

„Die Großen müssen denken, dass sie mit der Idee auf der Gewinnerseite sind“, sagt Knies beim Bier zu dem Vorwurf, die Konzerne würden Desertec nur als grünes Feigenblatt benutzen. Und ohne die große Industrie ginge es auch nicht. Dass nur idealistische Mittelständler das Projekt stemmen können, glaube er nicht. Munich Re, Siemens, Eon, RWE, Red Eléctrica aus Spanien, Enel aus Frankreich oder die Schweizer ABB – alle sind willkommen. Das ärgert einige Grüne und Linke, wie den vor zwei Wochen verstorbenen Photovoltaikpionier Hermann Scheer (SPD). Er hatte die Utopie einer kleinteiligen, dezentralen Energieversorgung im Sinn: Für jeden Haushalt ein Solardach, für jedes Dorf ein Windrad. So denken viele. Desertec und Offshore-Windkraft – das seien die Vehikel der Großen, um ihre Kontrolle über die Energieversorgung ins Zeitalter der Erneuerbaren zu retten.

Aber selbst wenn die Konzerne es ernst meinten – niemand will Geld im Sand versenken. Wer bezahlt den teuren Wüstenstrom? Doch nicht afrikanische Haushaltskunden, die wegen staatlicher Subventionen und heimischer Öl- und Gasquellen derzeit nur ein Drittel der üblichen Kosten auf dem Energiemarkt zahlen. Mouldi Miled, Chef einer tunesischen Firma, sagte: „Ja wir brauchen Strom. Aber vor allem Wasser, Wasser, Wasser.“ Man könne mit den Solaranlagen ja Meerwasserentsalzungsanlagen betreiben.

Die Erwartung, dass da irgendwann Strom für Europa übrig bleibt, dämpften die nordafrikanischen und arabischen Vertreter in Barcelona. Sie gaben sich auf der Konferenz höflich, aber bestimmt. Wer denkt, Desertec sei ein Entwicklungshilfeprojekt des Westens, der täuscht sich. Das rohstoffarme Marokko zum Beispiel muss 95 Prozent seiner Energie importieren und treibt deshalb den Bau großer Solarkraftwerke voran – „das machen wir mit oder ohne Desertec“, sagte einer der Delegierten. Kevin P. Hoffmann

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