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Wirtschaft: Deutsche Bahn: "Wir müssen jetzt die Weichen stellen"

Kurt Bodewig (SPD) ist bereits der dritte Verkehrsminister der rot-grünen Regierungskoalition - und einer der jüngsten. Der 45 Jahre alte Rheinländer ist schnell durchgestartet.

Kurt Bodewig (SPD) ist bereits der dritte Verkehrsminister der rot-grünen Regierungskoalition - und einer der jüngsten. Der 45 Jahre alte Rheinländer ist schnell durchgestartet. 1998 in den Bundestag gewählt, wurde er im Frühjahr 2000 Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium und rückte nur sechs Monate später nach dem Rücktritt von Reinhard Klimmt an die Spitze. Der passionierter Radfahrer Bodewig gilt als Pragmatiker.

Herr Minister, fahren Sie gerne mit der Bahn?

Ich fahre sehr gerne Bahn. Eine Fahrt im ICE kann man beispielsweise viel besser zum arbeiten nutzen, besser als im Dienstwagen.

Das ist schwierig, wenn der Zug überfüllt ist. Viele Kunden sind nicht so zufrieden mit der Bahn wie Sie.

Die Bahn steht sicher noch vor großen Herausforderungen, aber es ist auch schon viel geschehen. Der ICE ist eine attraktive Alternative zu innerdeutschen Flügen, im Nahverkehr gibt es gute Ansätze, viele S-Bahnen sind pünktlicher und sicherer geworden. Das zeigt doch, die Bahn stellt sich auf Wettbewerb ein. Das muss sie jetzt auch in anderen Bereichen tun - vor allem im Güterverkehr gibt es großen Nachholbedarf. Eines ist sicher: Die Bahn braucht Wettbewerb. Das wird den Service verbessern, davon profitieren auch die Kunden.

Wie wollen Sie denn den Wettbewerb sicherstellen?

Wir werden noch in diesem Jahr die Kompetenzen des Eisenbahnbundesamtes entsprechend erweitern, um einen diskriminierungsfreien Zugang von Wettbewerbern sicherzustellen. Das ist ein erster wichtiger Schritt.

Noch entscheidet aber die Bahn, wer auf dem Netz fahren darf. Sie haben angekündigt, der Bahn die Verfügung über das Netz zu entziehen. Nach den heftigen Protesten von Bahnchef Hartmut Mehdorn äußern Sie sich dazu nur noch sehr vage. Was haben Sie vor?

Ich verstehe die Aufregung nicht. Mein Ziel ist eine neutrale, unabhängige Stelle, die entscheidet, wer zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Preis die Trassen nutzt. Daran halte ich fest. Geprüft wird nun, welche Organisationsmodelle am besten geeignet sind, die Unabhängigkeit von Netz und Betrieb sicherzustellen. Das kann eine Regulierungsbehörde sein oder eine unabhängige Gesellschaft im Bereich der Deutschen Bahn AG, die weisungs- und beherrschungsfrei ist. Es kann aber auch auf eine völlige Herauslösung des Netzes aus dem Bereich der Bahn hinauslaufen. Das prüfen wir derzeit innerhalb der von mir einberufenen Task Force intensiv und ergebnisoffen.

Eine eigenständige Netz AG innerhalb der Bahn gibt es doch schon. Was soll sich denn dann ändern ?

Zentraler Punkt ist die Weisungs- und Beherrschungsfreiheit, die gegenwärtig nicht gegeben ist. Geprüft werden Modelle, die diese Unabhängigkeit gewährleisten.

Hat Bahnchef Mehdorn Sie zurückgepfiffen?

Davon kann keine Rede sein. In eine so wichtige Verkehrsreform, in der sehr komplexe technische, finanzielle und unternehmerische Zusammenhänge geklärt und die Auswirkungen bedacht werden müssen, will ich alle Beteiligten einbinden. Auch Bahnchef Mehdorn hat akzeptiert, dass Netz und Betrieb unabhängig sein müssen.

Wann wird es denn ein Ergebnis geben?

Nach der intensiven Prüfung der Modelle in dieser Legislaturperiode wollen wir in der nächsten die gesetzgeberische Umsetzung in Angriff nehmen, das heißt voraussichtlich im Jahr 2004.

Ihr Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen hält eine Umsetzung schon im kommenden Jahr für möglich.

In dieser Frage darf es keinen Schnellschuss wie in Großbritannien geben, der im Desaster endet. Wir können uns keinen Fehlschuss erlauben. Jeder, der hier auf Zeit drängt, muss überlegen, dass eine Korrektur im nachhinein nicht möglich ist und ein finanzielles Abenteuer wäre. Der Zeithorizont 2004 für die Umsetzung ist realistisch.

Sie wollen aber den Güterverkehr auf der Schiene bis zum Jahr 2015 verdoppeln. Wie wollen Sie das erreichen ohne eine rasche Öffnung des Schienennetzes, die anderen Verkehrsunternehmen einen größeren Spielraum gibt?

Der Wettbewerb ist eine wichtige, aber nicht die einzige Voraussetzung, um mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Für eine große Verkehrsreform brauchen wir auch andere Maßnahmen, wie etwa die Lkw-Maut, die zu einer gerechteren Kostenanlastung führen wird und der Bahn eine größere Chancengleichheit einräumt.Wir brauchen auch eine intelligentere Verkehrssteuerung - 30 Prozent Leerfahrten von Lkw auf den Autobahnen können wir uns nicht mehr erlauben.

Das klingt bekannt. Schon im Bundesverkehrswegeplan 1992 wurde als Ziel festgelegt, den Güterverkehr auf der Schiene zu verdoppeln. Das Gegenteil ist passiert. Der Anteil der Bahn ist geschrumpft.

Die Bahnreform von 1994 war ein richtiger Schritt, aber sie wurde von der alten Regierung nicht konsequent fortgesetzt. Es gab einerseits eine Unterfinanzierung des Unternehmens Bahn AG, das haben wir jetzt geändert. Zum anderen ist die Umsteuerung zu mehr Wettbewerb auf der Schiene auf halbem Weg stecken geblieben. Hier müssen und werden wir mehr Druck machen. Aber man darf auch eines nicht übersehen: Selbst bei einer Verdoppelung des Güterverkehrs auf der Schiene wird - angesichts der prognostizierten Zuwächse - der schienengebundene Güterverkehr nur ein Viertel des gesamten Aufkommens bewältigen.

Der Verkehrskollaps scheint damit programmiert.

Nein, wir müssen jetzt die Weichen stellen. Wir werden nicht darum herumkommen, auch den Ausbau der Straßen voranzutreiben. Wir haben deshalb ein großes Anti-Stau-Programm aufgelegt, zur Beseitigung der Engpässe auf der Schiene, auf der Straße und den Wasserwegen. Zu den Maßnahmen zählt auch die von mir vorgeschlagene Finanzierungsgesellschaft für Verkehrsinfrastruktur und die Ausbildungsinitiative Logistik. Sie sehen, wir arbeiten mit verschiedenen Bausteinen auf ein Ziel hin: die Bewältigung des auf uns zukommenden Verkehrs. Je eher wir die Weichen stellen, desto besser - das gilt auch für die Bahn.

Die Bahn zieht sich aber gegenwärtig aus dem Güterverkehr zurück. Bis Ende dieses Jahres will sie rund die Hälfte der Verladestellen stilllegen. Das ist wohl kaum in Ihrem Sinn?

Die Bahn muss unternehmerisch handeln. Dafür habe ich Verständnis, das unterstütze ich auch. Aber: Dort, wo sich die Bahn zurückzieht, muss sie über Alternativen Gespräche führen. Das können private Bahnen ebenso sein wie kombinierte Verkehre. Hier habe ich die Zusage von Bahnchef Hartmut Mehdorn. Ich habe kein Verständnis dafür, dass weniger Transport auf der Schiene stattfindet. Unser Ziel ist die Verdoppelung des Schienenverkehrs - mit der DB AG oder mit anderen.

Die Verlader klagen, dass die Nutzung der Schiene zu teuer ist. Die Strecke zwischen Hamburg und Berlin ist mit dem Lkw weitaus günstiger zu bewältigen als mit der Bahn.

Durch die Lkw-Maut wird die Bahn künftig preislich attraktiver. Wir sind da auf dem richtigen Weg.

Wann kommt denn die Lkw-Maut? Bleibt es beim Termin 1. Januar 2003?

Wir arbeiten mit Hochdruck daran und sind im Zeitplan.

Kritiker befürchten, dass mit der nun geplanten Lkw-Maut von 25 Pfennigen je Kilometer ein Umsteuern auf die Schiene nicht gelingt. Die Schweiz oder Großbritannien verlangen weit höhere Gebühren.

Großbritannien und die Schweiz sind aus unterschiedlichen Gründen mit der Situation in Deutschland nicht vergleichbar. Wir müssen einen Weg finden, der den deutschen Verhältnissen entspricht. Die 25 Pfennige sind jetzt Diskussionsgrundlage. Hinzu kommt die Frage, welches technische System zum Einsatz kommt und mit welchen Kosten das verbunden ist. Erst dann werden wir die Lkw-Maut festlegen. Das wollen wir bis zum Jahreswechsel schaffen.

Bleibt eine Pkw-Maut tabu?

Der Schwerlastverkehr ist die Hauptbelastung für die deutschen Straßen. Schon heute ist ein Drittel des Straßeninvestitionshaushalts nur für Reparatur vorgesehen. Im Gegensatz zum Lkw kommt der Pkw schon heute für seine Wegekosten auf. Deshalb brauchen wir die Pkw-Maut nicht.

Wäre es nicht sinnvoll, die Trassenpreise insgesamt zu senken, um mehr Verkehr auf die Schiene zu locken?

Die Trassenpreise werden sinken, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene bringen und eine bessere Auslastung gegeben ist. Damit erreichen wir zweierlei: die Trassenpreise sinken und trotzdem gibt es höhere Einnahmen, die wir für die Refinanzierung und Instandhaltung des Schienennetzes benötigen.

Warum werden Trassen und Straßen nicht gleichgestellt? Warum können die Trassen nicht ebenso gebührenfrei benutzt werden wie die Straßen?

Wir ändern das ja gerade durch die Lkw-Maut. Wir können die Infrastrukturanforderungen der Zukunft nicht allein aus Steuermitteln bewältigen. Das ist mittlerweile allen klar geworden.

Der Bund hat immer noch gut fünf Milliarden für den Transrapid reserviert. Wäre es nicht sinnvoller, diese Mittel für die Sanierung der Schienen zu verwenden?

Es gibt eine klare Vereinbarung: Mit der Aufgabe des unwirtschaftlichen Projektes Hamburg-Berlin hat sich der Bund verpflichtet, den Großteil der Mittel für mögliche Alternativen in Deutschland zu reservieren. Ich halte Verträge ein, das ist mein Prinzip.

Herr Minister[fahren Sie gerne mit der Bahn?]

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