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Deutsche Einheit: Osten krisenfester als der Westen

Ostdeutschland wird von der Wirtschafts- und Finanzkrise weniger stark gebeutelt als die alten Bundesländer. Der ökonomische Anschluss soll nur noch zehn Jahre benötigen.

Wird die Wirtschaftskrise für Ostdeutschland zur Chance, den Westen schneller einzuholen als bisher gedacht? Ganz auszuschließen ist das nicht. Während die Bundesregierung für Westdeutschland ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent erwartet, wird für den Osten nur ein Minus um fünf Prozent prognostiziert. Dies geht aus dem Jahresbericht zur Deutschen Einheit hervor, den der Ostbeauftragte der Regierung, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), am Mittwoch in Berlin vorstellte. 

Tiefensee selbst gab sich allerdings eher zurückhaltend: Noch könne man nicht endgültig sagen, ob Ostdeutschland die Krise besser überstehen werde als die alten Bundesländer, sagte er. Die bisherige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt deute aber darauf hin. Während es im Osten derzeit eine "stabile Seitwärtsbewegung" gebe, sei die Arbeitslosigkeit im Westen gestiegen.

Ein möglicher Grund für die ausgeprägtere Krisenfestigkeit der fünf neuen Länder könnte nach Tiefensees Ansicht in der Unternehmensstruktur zu finden sein: In Ostdeutschland gibt es mehr kleinere bis mittlere Unternehmen, die flexibler reagieren können als Großbetriebe. Außerdem sei die ostdeutsche Wirtschaft weniger vom Export abhängig. Gleichwohl sagt der Bericht auch für den Osten einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen innerhalb der nächsten Monate voraus.

Insgesamt fällt Tiefensees Bilanz ziemlich durchwachsen aus: Auf der einen Seite gibt es ermutigende Indikatoren. Zum Beispiel hat das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Osten mittlerweile 71 Prozent des westdeutschen erreicht. Vor neun Jahren waren es nur 67 Prozent. Die Industrie wuchs in den neuen Bundesländern mit plus 7,5 Prozent in den letzten drei Jahren zudem rasanter als in den alten Ländern, die nur einen Zuwachs von 4,3 Prozent verzeichneten.

Auch bei der Ansiedlung innovativer Branchen steht der Osten laut Tiefensee gut da. Darüber hinaus profitieren die ostdeutschen Länder nicht nur weiter von den Mitteln des Solidarpaktes, auch die Konjunkturprogramme der Bundesregierung kommen ihnen in besonderer Weise zugute.

Auf der anderen Seite hat sich an zentralen Problemen jedoch kaum etwas geändert. Die Zahl der Arbeitslosen beispielsweise ist zwar in den letzten drei Jahren um 500.000 zurückgegangen. Mit 13,3 Prozent im Mai 2009 ist die Quote aber noch immer fast doppelt so hoch wie im Westdurchschnitt (6,9 Prozent). Und auch der Bevölkerungsschwund geht weiter. Im vergangenen Jahr hätten 90.000 Ostdeutsche ihre Heimat verlassen, 40.000 seien zurückgewandert, so Tiefensee. Doch es seien eben vor allem die Jungen und Kreativen, die weggingen, betonte der Minister.

Generell formuliert die Regierung die Ziele des Angleichungsprozesses mittlerweile ziemlich zurückhaltend. "Es wäre ein enormer Erfolg, wenn Ostdeutschland bis 2019 an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der strukturschwachen West-Länder heranreichen würde", sagte Tiefensee. Überhaupt will er deren Stärke auch nicht mehr am westdeutschen sondern am gesamtdeutschen Durchschnitt messen. Nimmt man diesen zur Grundlage, fallen die Zahlen schon heute schöner aus. Demnach erreicht der Osten 75 Prozent der gesamtdeutschen Wirtschaftskraft, auch in Schleswig-Holstein sind es nur 85 Prozent.

Ursprünglich hatte sich die Politik das Ziel gesetzt, die ostdeutschen Länder mit dem Solidarpakt II, der noch bis 2019 läuft und insgesamt 156 Milliarden Euro umfasst, von den derzeitigen 71 Prozent auf mindestens 80 Prozent des Westdurchschnitts zu hieven. Dass das in den nächsten zehn Jahren möglich sein wird, ist allerdings eine recht optimistische Annahme. Zwischen 2000 und 2008 wurde schließlich auch nur ein Anstieg von vier Prozent erreicht.

ZEIT ONLINE, ks

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