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Béatrice Guillaume-Grabisch

© Promo

Deutsche Nestlé-Chefin: „Wir haben bei Kitkat 1500 Badewannen Zucker gespart“

Béatrice Guillaume-Grabisch, Chefin von Nestlé Deutschland, sprich im Interview über gesündere Rezepte, den Preiskampf im Handel und das Tracken von Katzen im Internet.

Frau Guillaume-Grabisch, wie werden wir 2030 essen?

Wir haben dazu eine große Studie gemacht, weil das für uns als größtem Lebensmittelhersteller der Welt natürlich eine enorm wichtige Frage ist. Die Menschen haben uns gesagt, sie wollen sich gesünder und nachhaltiger ernähren und sie möchten mehr Informationen über Nahrungsmittel haben. Zudem wird die Art und Weise, wie man sich ernährt, immer mehr auch zu einem Statement über die eigene Persönlichkeit. Die Individualität nimmt zu.

Wie sehr vertrauen Sie solchen Umfragen? Kaufen die Menschen am Ende des Tages nicht doch wieder das Billigessen vom Discounter?

Wir nehmen das schon ernst. Selbst wenn die Umfrageergebnisse nicht auf die letzte Kommastelle mit der Wahrheit übereinstimmen, so geben sie uns doch wichtige Hinweise darauf, in welche Richtung die Reise geht. Wenn Verbraucher sagen, sie möchten weniger Salz, Fett oder Zucker essen, dann müssen wir darauf reagieren.

Was heißt das konkret? Gibt es Ihren Schokoriegel Kitkat künftig ohne Zucker?

Wir haben in unseren verschiedenen Produktkategorien den Anteil von Salz, Fett und Zucker bereits reduziert. Wir haben den Zuckeranteil seit 2014 um rund acht Prozent verringert, und wir wollen ihn bis zum Jahr 2020 um weitere fünf Prozent senken. Sie haben Kitkat angesprochen. Wir haben bei diesem Schokoriegel in Deutschland bereits 235 Tonnen Zucker eingespart, das sind ungefähr 1500 Badewannen.

Was ist mit Salz? Als Sie die Rezeptur von Maggi verändert haben, gab es einen Aufschrei in den sozialen Netzwerken.

Wir haben bei Maggi einen kompletten Relaunch gemacht. Das ist anspruchsvoller, als man denkt. Die Menschen möchten ja den vertrauten Geschmack von Maggi behalten, aber mit weniger Salz. Wir haben das beispielsweise mithilfe von Kräutern geschafft.

"Wir stellen unsere Produkte schrittweise um"

Wie gehen Sie vor?

Man kann nicht Tausende Artikel auf einen Schlag umstellen, deshalb machen wir das schrittweise. Wir nehmen uns jedes einzelne Produkt vor. Den Großteil wollen wir bis zum Jahr 2020 geschafft haben. Vielleicht geht es aber auch schneller, das hängt von der Technik ab. Unsere Forscher haben zum Beispiel Fortschritte beim Zucker gemacht. Sie haben eine Technologie entwickelt, mit der man über die Veränderung der Zuckerstruktur denselben Geschmack mit weniger Zucker erzielt.

Wollen Sie mit Ihrer Reduzierungsstrategie verhindern, dass der Staat Ihnen gesündere Strukturen vorschreibt?

Nein, das ist unsere eigene Initiative. Wir sehen uns hier in der Verantwortung, und wir wollen nicht unter Zugzwang geraten, sondern an der Spitze der Bewegung stehen. Wir möchten die Verbraucher dabei unterstützen, sich gesünder zu ernähren. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern, sowohl was die Regulierung betrifft als auch die Art zu kochen. Fleisch- und Wurstwaren enthalten in Frankreich zum Beispiel deutlich weniger Salz als deutsche Produkte, weil dort traditionell nachgesalzen wird.

Wäre nicht die gesündeste Art der Ernährung, auf Fertigprodukte ganz zu verzichten? Sind Sie schuld daran, dass die Leute immer dicker werden?

Nein. Man wird dicker, wenn man mehr Kalorien zu sich nimmt als man verbraucht. Die Menschen essen heute einfach mehr als vor 30 Jahren, als viele noch körperlich anstrengende Arbeiten hatten und man sich generell mehr bewegt hat. Jeder muss darauf achten, dass seine individuelle Bilanz stimmt. Aber wir müssen sie dabei unterstützen, indem wir klarer zeigen, was in unseren Lebensmitteln steckt.

Sie wollen zusammen mit anderen großen Herstellern wie Coca-Cola, Mars oder Unilever eine Nährwertampel auf Ihre Verpackungen drucken, die den Menschen mit den Farben rot, gelb, grün zeigt, wie gesund das jeweilige Produkt ist. Verbraucherschützer fordern in Deutschland allerdings eine gesetzliche Regelung. Wollen Sie denen mit Ihrer Initiative den Wind aus den Segeln nehmen?

Wir wollen es den Verbrauchern leichter machen, Informationen aufzunehmen. Allerdings haben wir ein großes Interesse daran, eine europaweite und einheitliche Lösung zu finden. Wenn jede nationale Regierung eigene Vorschriften macht, ist das kompliziert für uns, den Handel und die Verbraucher. Man kann ja nicht zig verschiedene Varianten auf einen Schokoriegel drucken.

Verbraucherschützer werfen Ihnen Täuschung vor, weil Sie die Angaben bei Ihrem Ampel-Modell nach Portionen und nicht nach Gramm machen wollen. Wie groß die Portionen sind, entscheiden aber allein Sie.

Für die Verbraucher ist es einfacher, wenn man mit Portionsgrößen arbeitet. Das ist anschaulicher und realistischer.

Wann wird es die Ampel auf Ihren Produkten geben?

Wir haben kein festes Startdatum. In Deutschland wollen wir natürlich mit der neuen Regierung darüber sprechen, und die gibt es ja noch nicht. Für uns ist in dieser Frage Qualität wichtiger als Zeit.

"Die Verhandlungen mit dem Handel sind hart"

Wie lange brauchen Sie, um ein neues Produkt auf den Markt zu bringen?

Das ist unterschiedlich. Unsere neue „Bäckerkruste“ von Wagner, eine Mischung aus Pizza und Butterbrot, haben wir in neun Monaten lanciert. So etwas kann aber auch zwei oder drei Jahre dauern, wenn man etwas ganz Neues anpackt. Wichtig ist, dass die Qualität stimmt.

Wie groß ist der Druck, ständig etwas Neues auf den Markt zu bringen?

Die Menschen möchten Abwechslung, und natürlich schauen wir immer, wie wir unsere Marken verbessern können. Bei Maggi haben wir jetzt eine neue Serie „Wochenmarkt“ eingeführt, das sind Würzpasten, die das Kochen erleichtern. Und unsere Wurst- und Schinkenmarke Herta gibt es jetzt auch in kleinen „Snack-me“-Packungen für unterwegs.

Wie groß ist der Preisdruck, den der Lebensmittelhandel auf Sie ausübt?

Die Verhandlungen sind hart, aber unser Anspruch ist es, immer Lösungen zu finden. Der Handel ist für uns ein Partner. Man kann nur gemeinsam gewinnen.

Amazon drängt mit Macht auf den deutschen Lebensmittelmarkt. Ist es für Sie gut, dass die großen vier Lebensmittelhandelsketten Konkurrenz bekommen?

Jeder neue Anbieter bringt zusätzliche Dynamik. Amazon ist ein wichtiger Spieler auf dem Markt, den wir sehr ernst nehmen. Deutschland ist für Amazon nach den USA der wichtigste Markt.

Das Geschäft von Amazon ist digital. Wie sieht es bei Nestlé aus?

Die Digitalisierung verändert natürlich auch unsere Arbeit. Sie betrifft das gesamte Unternehmen, alle Abläufe und Abteilungen. Wir machen unser seit über 150 Jahren bestehendes Unternehmen fit für die Zukunft. Neulich sind wir sogar von Sheryl Sandberg, der Geschäftsführerin von Facebook, für unsere Felix-Katzenfutterkampagne gelobt worden.

Warum?

Jeder, der Katzen hat, möchte doch wissen, wohin seine Katze geht, wenn sie das Haus verlässt. Wir haben Katzenhaltern angeboten, ihre Tiere mit kleinen Trackern auszustatten. Die konnten dann über Facebook nachverfolgen, wie weit ihre Katzen gehen. Das war ein Riesenerfolg. Oder nehmen Sie den Maggi-Chatbot „Kim“. Den können Sie fragen, was Sie mit den Zutaten kochen können, die Sie aktuell zu Hause haben. Und Sie können mit „Kim“ darüber hinaus Lebensmittel bestellen, das machen wir etwa zusammen mit dem Rewe-Lieferservice. Solche Dinge stärken die Bindung zur Marke.

Nestlé ist nicht nur Lebensmittelhersteller, sondern produziert auch Medizinprodukte, etwa Sondennahrung. Entwickeln Sie sich zu einem Pharmaunternehmen?

Heinrich Nestlé, der Firmengründer, war ja ein Apotheker aus Frankfurt. Unser Geschäft begann damit, dass er in einer Zeit hoher Kindersterblichkeit das Kindermehl für Säuglinge entwickelt hat, die nicht gestillt werden konnten. Insofern liegt es gar nicht so fern, pharmanahe Produkte anzubieten. Wir investieren in diesen Bereich, auch in Deutschland. Hier investieren wir einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.

Jeder Nestlé-Chef hofft darauf, ein Produkt zu entwickeln, das ihn oder sie unsterblich macht. Bei Ihrem Vorgänger waren es die Nespresso-Kapseln. Was planen Sie?

Ich möchte Nestlé Deutschland fit für die Zukunft machen. Ich möchte die Digitalisierung vorantreiben, und ich möchte, dass unsere Produkte die Lebensqualität steigern und zu einer gesünderen Zukunft beitragen. Um einen einzelnen Knüller geht es dabei nicht.

Béatrice Guillaume-Grabisch (53) ist seit Juli 2015 Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland. Die Französin kennt sich in der Konsumgüterindustrie hervorragend aus. Vor dem Wechsel zu Nestlé arbeitete sie bei Colgate, Beiersdorf, Johnson & Johnson, L’Oréal und Coca-Cola. Nestlé mit Sitz in der Schweiz ist das größte Lebensmittelunternehmen der Welt. Zum Konzern gehören Marken wie Maggi, Thomy, Wagner, Kitkat, San Pellegrino, Mövenpick, aber auch Tierfutter wie Felix, Babynahrung (Nestlé Beba) und Medizinprodukte. Nestlé Deutschland sitzt in Frankfurt am Main und beschäftigt 10 500 Menschen.

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