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Bohren für die Unabhängkeit. In einigen US-Bundesstaaten wie hier in Pennsylvania ist dank der wirkungsvollen Technik ein wahrer Gas-Boom entstanden. In Deutschland könnte es bald ähnlich aussehen – doch viele fürchten die Umweltgefahren des Verfahrens. Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Deutschland lässt sich spalten

Die Industrie wünscht sich mehr Bohrgenehmigungen und lockt klamme Gemeinden mit Geld.

Außerhalb von Niedersachsen, wo Deutschlands größte Erdgasdepots liegen, hat sich hierzulande lange fast niemand für die Technologie interessiert: Das Fracking, bei dem unter Hochdruck Wasser mit Sand und Chemikalien in tiefe Schiefergesteinsschichten gepresst werden, um bisher nicht erreichbare Öl- und Gasvorkommen zu erschließen. Doch seit einigen Monaten verweisen immer mehr Industrievertreter auf die USA, wo seit den späten 1970er Jahren an der Technologie geforscht – und in vielen Bundesstaaten seit Jahren kräftig gefrackt – wird. Ergebnis: Erdgas ist dort heute so billig wie seit Jahren nicht. So sanken auch die Strompreise, und energieintensive Betriebe siedelten sich neu an.

Philip D. Murphy, Obamas Botschafter in Deutschland, beglückwünschte Energie-Manager vor vier Wochen auf einem großen Kongress in Berlin zur Energiewende – und feierte die „Schiefergaswende“ seiner Nation. Nun macht die Industrie auch hier Druck. Vom BDI, über Siemens bis BP oder BASF. Sie warnen, noch moderat im Ton, vor der verpassten Chance Deutschlands, sollte sich das Land dem Trend verschließen. Rainer Seele, Chef der BASF-Tochter Wintershall, dem größten Gasproduzenten hierzulande, sagte am Donnerstag: „In diesem Jahrzehnt rechne ich in Europa nicht mit einer Schiefergasproduktion in großem Umfang“. Das Potenzial sei aber da.

Wintershalls großer Konkurrent Exxon-Mobil weiß das schon lange und ist daher schon seit Jahren aktiv in der norddeutschen Provinz. „Es war die Rede von einem Wasser-Sand-Gemisch, das mit Hochdruck in den Boden gepresst werden sollte“, erzählt Mike Otte, Fachbereichsleiter in der Kommune Damme, Kreis Vechta. Exxon hatte die Stadt 2007 über die geplanten Probebohrungen auf ihrem Gebiet unterrichtet. „Erst durch einen Medienbericht Ende 2010 haben wir erfahren, dass in dem Cocktail auch giftige Chemikalien stecken“, sagt Otte. Doch da war es schon zu spät, denn „die Probebohrungen waren ja vom Landesamt für Bergbau genehmigt“, sagt Otte. In die Entscheidung, ob gebohrt werden darf oder nicht, war die Stadt nicht eingebunden.

Weil man das in Damme nicht hinnehmen wollte, verabschiedete der Stadtrat Anfang 2011 eine Resolution. Sie forderte, dass die Untere Wasserbehörde und die Stadt künftig bei vergleichbaren Bohrprojekten „frühzeitig und umfassend“ in das Genehmigungsverfahren einbezogen werden. Bis Klarheit über die Folgen herrsche, solle auf weitere Bohrungen verzichtet werden.

Denn in Damme fürchtet man nicht nur die Chemikalien. Auch das, was oberhalb des Erdreichs passiert, beunruhigt. „Es geht um Lecks, Explosionen, Luftverschmutzung“, sagt Otte. Angst herrscht auch vor dem hohen Flächenbedarf für die Technologie oder Erdbeben und der Gefährdung des Trinkwassers. Immerhin habe Exxon Brunnenbohrungen finanziert, über die nun regelmäßig das Trinkwasser in der Nähe der Frackingstelle kontrolliert wird.

Vier von fünf Deutschen lehnen Fracking ab oder sind für strenge gesetzliche Auflagen, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage im Auftrag des Verbandes Kommunaler Unternehmen ergab. Dessen Vizepräsident Michael Beckereit forderte, dass die Politik dieses Votum ernst nehmen müsse und den rechtlichen Rahmen „schnellstens“ anpassen solle. Dabei rannte er offene Türen ein. Denn auch die Energieexperten von Union und FDP im Bundestag hatten Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Philipp Rösler (FDP) Tage zuvor aufgefordert, genau das zu tun. Altmaier kündigte eine schnelle Gesetzesvorlage an – und erklärte, dass immerhin Trinkwasserschutzgebiete für diese Technologie tabu sein sollen. Auch erklärte er, er sehe nicht, dass die Methode auf absehbare Zeit irgendwo in Deutschland zur Anwendung kommt.

Doch da war er offenbar noch nicht im niedersächsischen Söhlingen. Dort kennt man Fracking schon länger. In dem Städtchen bohrte Exxon in 4500 Meter Tiefe nach unkonventionellem Gas, und seit Jahren schon wird dort ganz herkömmlich Erdgas gefördert. „Wir haben hier hervorragende Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Exxon gemacht“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Michael Fehlig. Die Region profitiere von der Erdgasförderung. „Exxon ist unser größter Gewerbesteuerzahler“, sagt er. Zudem habe man eine Aufbereitungsanlage für Gas, an der 40 Jobs hängen.

Mit Fracking, so ist die Hoffnung, könne man hier auch noch vom Gas profitieren, wenn die konventionellen Lagerstätten erschöpft seien. Zu den Steuereinnahmen kommen noch andere Gefälligkeiten. „Exxon finanziert die Infrastruktur im Bereich der Bohrstellen, also etwa Zufahrtsstraßen“, sagt Fehlig. Zudem sei der Konzern sehr großzügig gegenüber der Feuerwehr. „Letztens haben die einen Anhänger gespendet, und auch sehr teure Rohre zum Löschen.“ Die lokale Feuerwehr ist in Alarm- und Rettungspläne für die Gasförderanlagen eingebunden.

So lange es kein Gesetz gibt, kann jede Gemeinde für sich entscheiden, ob sie dem Lockruf des Geldes folgt und das Restrisiko trägt. Volkswirtschaftlich aber sehen manche Experten auch Risiken: „Die Gefahr besteht, dass die vielversprechende Entwicklung der erneuerbaren Energien weltweit abgewürgt wird. Wegen der neuen Fördermethoden kommt perspektivisch viel Gas auf den Markt und und wird die Energiepreise drücken“, sagt Stefan Grasmann von der Managementberatung Zühlke. So könnten die regenerativen Anlagen ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren“, sagt er. In den USA sei das schon heute zu beobachten.

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