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Wirtschaft: DGB lässt Arbeitsmarktreform juristisch prüfen

Engelen-Kefer begrüßt Kritik von Verfassungsrichter an Hartz IV / Einigung im Vermittlungsausschuss wahrscheinlich

Berlin – Der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lässt die Rechtmäßigkeit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 juristisch prüfen. Zuvor hatte der Verfassungsrichter Siegfried Broß die Regelung als seiner Ansicht nach verfassungswidrig kritisiert. „Das ist ein sehr interessanter Gedankengang, der auch unsere Bedenken zum Ausdruck bringt“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer dem Tagesspiegel. Bevor der DGB mit der Anrufung des Verfassungsgerichts drohe, müsse allerdings geprüft werden, ob das überhaupt ein gangbarer Weg sei. „Und das tun unsere Juristen derzeit“, sagte Engelen-Kefer. Politiker von SPD und Grünen kritisierten die Äußerungen dagegen scharf.

Broß sieht durch die Hartz IV-Reform das Sozialstaatsprinzip verletzt. Dies sei der Fall, wenn viele Arbeitslose schlechter gestellt würden, ohne dass der Staat adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen könne, argumentiert Broß. Der Verfassungsrichter hat sich unter dem Eindruck der heftigen Reaktionen auf diese Einschätzung zwar inzwischen von seinen Äußerungen gegenüber dieser Zeitung distanziert. Allerdings hatte er unabhängig von diesem Gespräch kürzlich mehrfach unterstrichen, dass es sich ihm nicht erschließe, „wie die Überführung von wenigstens einer Million Menschen in die ’Sozialhilfe’ den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht wird“. Broß sagte außerdem an anderer Stelle zu den Aufgaben des Staates: „Der Staat muss an seine Verantwortung erinnert werden, die ihm nach Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz (das ist das Sozialstaatsprinzip, die Red.) als einer besonderen Ausprägung der Menschenwürde des Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz obliegt.“

Grünen-Fraktionsvize Thea Dückert bezeichnete es als „bemerkenswert, dass ein Verfassungsrichter sich jetzt plötzlich auf der Welle einer populistischen Debatte einmischt“. Für den SPD-Abgeordneten Stephan Hilsberg aus Brandenburg ist die Kritik ein „politisches Argument, kein juristisches“. Eine Verschiebung von Hartz IV kommt für ihn nicht in Frage. Auch Engelen-Kefer betonte, dass der DGB für eine Zusammenlegung der Betreuung von Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängern sei. „Was wir aber wollen, ist dass die Herabsetzung der materiellen Leistungen für Langzeitarbeitslose korrigiert wird“, sagte sie.

Klaus Brandner, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, mit Hartz IV würden eine Million Sozialhilfeempfänger besser gestellt, die als arbeitsfähig eingestuft werden. Für sie würden künftig die Sozialversicherungsbeiträge für Krankenkasse und Rentenversicherung gezahlt. Und das sei sozialer Schutz, sagte Brandner.

Für die Sitzung des Vermittlungsausschusses an diesem Mittwoch rechnen mittlerweile alle Beteiligten mit einer Einigung zum Optionsgesetz, mit dem Finanzen und Zuständigkeiten bei der Hartz-IV-Reform geregelt werden. In Vorgesprächen wurden fast alle strittigen Punkte ausgeräumt. Offen ist noch, wie hoch die zusätzliche Finanzspritze für die Kommunen sein wird. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) geht davon aus, dass der Bund mindestens 3,3 Milliarden Euro zur Entlastung der Kommunen zahlen wird. Unklar ist auch, wie viele Kommunen über eine Experimentierklausel die Möglichkeit erhalten, Langzeitarbeitslose in Eigenregie zu betreuen.

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