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DGB: Schluss mit Geiz und Gier

Der DGB feiert Geburtstag: Bundespräsident Horst Köhler lobt die Gewerkschaften und kritisiert die herrschende Politik.

Berlin - Guido Westerwelle wusste nicht so recht wohin, am Montagvormittag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Gut, dass auch Rainer Brüderle vor der Bühne rumstand, und der etwas orientierungslose FDP-Chef damit einen Parteifreund zum Smalltalk fand. Sind ja auch nicht sein Milieu, diese ganzen Gewerkschafter, die sich zum 60. des DGB versammelt hatten. Angela Merkel kommt da besser zurecht. Einmal an der Reihe lang, diverse Minister und Parteichefs begrüßt und die Vorsitzenden der Gewerkschaften natürlich sowieso. Einen Redeauftritt hatte die Bundeskanzlerin nicht, sie war eher Adressatin der Botschaften, die Bundespräsident Horst Köhler und DGB-Chef Michael Sommer unter die Geburtstagsgäste brachten. Und die waren nicht ohne.

Michael Sommer hielt sich als Gastgeber eher zurück. Natürlich warnte er vor Eingriffen in die Tarifautonomie, forderte den Mindestlohn und lobte die Mitbestimmung. Mit einem schiefen Blick zum halbrechts vor der Bühne sitzenden Westerwelle hob der DGB-Chef nur kurz die Stimme an. „Ich kann nur warnen: Wer aus Gier und Geiz jetzt auch noch ein Stück praktizierte Demokratisierung der Wirtschaft schleifen will, der zerstört das Fundament, auf dem soziale Balance und wirtschaftlicher Erfolg gleichermaßen gebaut sind.“ Sommer meinte die Mitbestimmung, die die FDP gerne einschränken möchte.

Anders der Bundespräsident. Horst Köhler lobte ausdrücklich die Mitbestimmung als „einen Produktions- und Innovationsfaktor ersten Ranges und einen der großen Vorteile der hiesigen Wirtschaftskultur“. Sehr freundlich zurückhaltend erwähnte er die „Kungeleien“, die es in Einzelfällen auch gegeben habe. Da hat der Präsident wirklich sehr dezent den Lust- und Luxusreisenskandal bei VW umschrieben. Deutlicher, überraschend deutlich, äußerte sich Köhler, der ja früher für den Internationalen Währungsfonds (IWF) gearbeitet hat, zum Umgang mit der Finanzkrise. „Ich kann aus den veröffentlichten Beschlüssen von Pittsburgh leider noch nicht entnehmen, dass sich eine Krise dieser Dimension nicht doch eines Tages wiederholen kann.“ Köhler sprach von einem „Déjà-vu mit Hütchenspielern im Shadow-Banking, mit intransparenten Derivategeschäften und Spekulation auf den Rohstoffmärkten – und alles davon in unvorstellbaren Größenordnungen“.

Es gab reichlich Applaus für den Präsidenten, vor allem für die Bemerkung, dass es noch immer keine Diskussion darüber gebe, wer die Kosten der Krise trägt. Die Banker und Banken, die das ganze verursacht haben, vermutlich nicht. Nach Köhlers Beobachtung lassen die „die Politik im Regen stehen“. Diese Politik, jedenfalls so die Verlautbarungen der Wahlsieger vom vorvergangenen Sonntag, setzt derweil auf Wachstum. Das bringt Arbeitsplätze, mehr Steuern, volle Sozialkassen.

Köhler warnte dagegen vor „Hoffnungen, Wachstum könne das Geschehene zudecken und vergessen machen“. Und er plädierte in diesem Zusammenhang für eine enge Abstimmung der europäischen Politik. „Die Aufarbeitung der Krise verlangt mehr Europa, als es die Staats- und Regierungschefs der EU bisher zulassen.“ Wieder Applaus der Gewerkschaften, die sich ja immer auch um eine internationale Perspektive bemüht haben. Und die, jedenfalls nach Auffassung des Bundespräsidenten, gefälligst zu beteiligen sind bei der „grundlegenden Reform der Weltfinanzordnung“. Und bei der „neuen industriellen Revolution im Zeichen von Ökologie und Nachhaltigkeit“ sowieso. Köhler sieht die Gewerkschaften hier in der Rolle der „Boten und Vermittler dieser Transformation“ hin zu mehr Umwelt- und Klimaschutz.

Und dann hielt der Präsident auch noch einen kleinen Exkurs zum qualitativen Wachstum, weil sich das „Immer mehr-Denken“ überlebt habe. Eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik dürfe sich nicht vorwiegend an Wachstumsraten orientieren, sondern müsse Klimawandel und Demografie, Lebensqualität in menschenfreundlichen Städten und die Bekämpfung von Krankheit und Armut im Auge haben. Jede Menge Anregungen für Merkel und Westerwelle. Die Gewerkschafter waren zufrieden.

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