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Wirtschaft: DGB und Grüne für „soziales Europa“

Künast: Bundesregierung sollte bei umstrittener EU-Dienstleistungsrichtlinie schnell Stellung beziehen

Berlin - Die Gewerkschaften und die Grünen machen Druck auf die Bundesregierung, bei den Beratungen über die umstrittene EU-Dienstleistungsrichtlinie Position zu beziehen und auf ein soziales Europa zu setzen. „Bundeskanzlerin Merkel muss jetzt springen, um Dumping bei den Standards zu verhindern“, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast dem Tagesspiegel. Sie forderte die Regierung auf, in den nächsten beiden Wochen Stellung zu beziehen. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte der „Bild am Sonntag“, eine Bundesregierung, die ihre soziale Verantwortung ernst nehme, solle sich jetzt klar äußern.

Das Europäische Parlament wird sich am 16. Februar mit der Richtlinie beschäftigen, abschließend müssen die EU-Staaten beraten. Die Bundesregierung hat sich noch nicht positioniert. Die Gewerkschaften rufen in dieser Woche zu Protesten auf. Mit der Richtlinie wird eine Liberalisierung des EU-weiten Dienstleistungsmarktes angestrebt. Umstritten ist vor allem das Herkunftslandprinzip. Danach muss ein Anbieter die Standards seines Herkunftslandes erfüllen, nicht die des Landes, in dem er eine Dienstleistung erbringt.

Grünen-Fraktionschefin Künast sagte, die Ausgestaltung der Richtlinie sei „die entscheidende Weichenstellung dafür, welches Europa wir wollen“. „Deutschland sollte das Signal setzen, dass es für ein soziales Europa eintritt.“ Eine europäische Öffnung bei den Dienstleistungen hält Künast für dringend erforderlich. „Für Europa liegen darin viele Beschäftigungschancen.“ Während man in Deutschland problemlos Butter aus Irland kaufen könne, liege der europäische Dienstleistungssektor noch völlig brach. Künast plädierte bei der Liberalisierung des Dienstleistungssektors jedoch für Augenmaß. Bei der Umsetzung müsse darauf geachtet werden, „dass nicht sämtliche Schranken eingerissen werden“. Das Herkunftslandprinzip lehnt sie ab mit der Begründung, dass dann die Standards in Europa deutlich sinken würden.

DGB-Chef Sommer forderte, die Abgeordneten des EU-Parlaments sollten „die Richtlinie in dieser Form beerdigen“. Es liege nun in ihrer Hand, ob etwa Unternehmer die niedrigeren Einkommen von Krankenschwestern aus Estland ausnutzen könnten, um Druck auf die Gehälter ihrer deutschen Kolleginnen auszuüben. Die Gewerkschaften erwarteten, dass Menschen in Europa mindestens zu den Bedingungen beschäftigt würden, die in dem jeweiligen Land gelten. „Lohn- und Sozialdumping nutzt nur kurzfristig renditesüchtigen Managern und Unternehmen, die Innovationen scheuen“, sagte der DGB-Vorsitzende.

Künast forderte, dass der Zugang und die Ausübung der Dienstleistung getrennt werden. Das bedeutet konkret: Wenn ein französischer Handwerker in Deutschland seine Dienste anbieten will, muss er dafür die notwendigen Voraussetzungen in Frankreich erfüllen, aber nicht etwa den deutschen Meisterbrief haben. Für die Ausübung der Dienstleistung gelten deutsche Standards – bei Verbraucherschutz, Umwelt, aber auch den sozialen Bedingungen.

Bestimmte Kernbereiche sollten nach Ansicht von Künast ausgenommen werden, etwa die Gesundheits- und Pflegedienste. „Der Staat hat die Aufgabe, für Situationen vorzusorgen, in denen Menschen bedürftig sind“, sagt sie. Ein Altenpfleger müsse daher deutsche Standards auch bei seiner Ausbildung erfüllen. Zum Bereich der Daseinsvorsorge zählt Künast außerdem die Bildung, sowie die Bereiche Abwasser, Entsorgung und Abfall. Darüber hinaus sollten auch individuelle Verbraucherverträge nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen – etwa die Renovierung eines Hauses. „Es kann keinem Verbraucher zugemutet werden, sich über die italienischen Nachbesserungsrechte schlau zu machen.“

Sommer forderte darüber hinaus einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro pro Stunde. Es müsse Schluss sein „mit den Armutslöhnen in Deutschland“, sagte der DGB-Chef der „Super Illu“. Dass Menschen mit 3,50 Euro pro Stunde abgespeist würden, sei „beschämend für eine zivilisierte Gesellschaft“.

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