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Wirtschaft: Die Achse des Geldes

Der letzte stalinistische Staat erhält Anschluss an die Gegenwart. Der Berliner Unternehmer Jan Holtermann baut für Nordkorea das Internet auf

Bis vor ein paar Monaten war Jan Holtermann im Klub der Berliner Kaufleute und Industriellen ein gern gesehener Gast. So richtig wusste zwar niemand, was der Ein-Meter-neunzig-Unternehmer eigentlich tut, aber der Mann organisierte die monatliche Skatrunde der Industriellen und verwaltete die Kasse. Bis vor ein paar Monaten. Da meldete sich Holtermann von einem Tag auf den anderen ab. Er habe zu viel zu tun, gehe auf Reisen. Nordkorea liegt auf der anderen Seite der Welt und zugleich etwas hinterm Mond. Es hat kein Internet, nicht einmal eine Länderdomain und auch keine Website. Im Informationszeitalter ist das in etwa so, als wäre das Land überhaupt nicht da. Doch ab Anfang Januar wird das anders sein. Denn Jan Holtermann ist jetzt häufig in Nordkorea. Er baut für den letzten stalinistischen Staat dieser Erde das Internet auf.

Wenn er wieder in Berlin ist, dann lebt und arbeitet Holtermann zurückgezogen. Er arbeitet in einem unscheinbaren grauen Gebäude in der Glinkastraße, in noch unscheinbareren Büros. Es ist Nordkorea in Berlin – die Botschaft des Landes, mit dem Deutschland erst seit 1. März 2001 wieder reguläre diplomatische Kontakte unterhält. Dort steht das Internet von Nordkorea. Ein Server, ein paar Bildschirme, Router, Switches, Kabel, nichts besonderes.

Drei Räume hat Holtermann hier, seit Mai. Sein Unternehmen heißt KCC Europe Gmbh – KCC für Korea Computer Center. Holtermann sitzt hinter seinem Namensschild in einem hellen Eckbüro. Die Büromöbel stammen aus der Konkursmasse schiffbrüchiger Unternehmen. Es gab sie nicht lange genug, sie hatten keine Zeit, ihre Möbel selbst abzunutzen. Es waren IT-Firmen wie auch er jetzt eine führt. Nur, dass er gerade erst am Anfang steht.

Begrüßung mit Winkelement

„Die Nordkoreaner werden die Inder von morgen.“ Holtermann ist ein schwerer Mann mit dünnen Lippen. Es klingt, als wäre er auf Öl gestoßen. Und irgendwie ist es auch so. Das erste Mal in seinem Leben macht der Unternehmer Holtermann etwas mit Zukunft. Etwas anderes als das, was all die Import- und Exportvermittler tun, die nach der Wende nach Berlin kamen, um von hier aus all die alten gebrauchten und robusten Maschinen der DDR nach Osteuropa und Ostasien zu verramschen. Jan Holtermann reiste vor drei Jahren zum erstenmal nach Pjöngjang. Da kam er mit einem Cello-Ensemble der Hochschule der Künste, das hatte er für ein Künstlerfestival besorgt. Ein Kleinauftrag für den Einmann-Unternehmer Holtermann, aber er ist nicht wählerisch, wenn ihn etwas interessiert. Und Nordkorea interessierte ihn.

Am Flughafen wurden Holtermann und die Cello-Studenten von 1000 Koreanern mit Winkelementen begrüßt. Holtermann schritt die Ehrengarde ab, und sah sich abends im Hotelfernsehen noch einmal dabei zu. Internet, das sah er, gab es keins.

Nun kann man nicht sagen, Nordkorea sei ein Land, dem man das Internet zutraut. Das Netz mit seiner schlecht kontrollierbaren, geradezu anarchischen Struktur verunsichert selbst freiheitliche Staaten. Von Diktaturen ganz zu schweigen. Aber, sagt Holtermann, trotz aller Vorbehalte – die Koreaner versprechen sich Geschäfte durch das Netz. Das Gleiche also wie er. Und: Nordkorea hat sich in den drei Jahren, in denen Skatbruder Holtermann Kontakte pflegte, gewendet. Vor rund einem Jahr tat es einen entscheidenden Schritt: Es ließ Preissteigerungen zu und Gewinnstreben, Bauernmärkte und ein klitzekleines bisschen Marktwirtschaft. In Sonderwirtschaftszonen – aber für Holtermann reicht das.

„Ich musste eine koreanische Partnerfirma finden, die mit der Technik umgehen konnte.“ Holtermann fand die KCC, Korea Computer Center, am Stadtrand von Pjöngjang, gegründet vom Sohn des Staatschefs Kim Jong-Il. In der Firma, die die Software für das Land produziert, Erkennungssoftware für Fingerabdrücke zum Beispiel, fand Holtermann funktionierende Festplatten und Leute, die wussten, was sie taten. Nur, dass in Nordkorea zwei Unternehmer nicht einfach handelseinig werden können. An der Spitze des Landes steht ein Diktator. George W. Bush rechnet das Land zur „Achse des Bösen“. Erst 2002 wurde das Bezugsscheinsystem auf Geldwirtschaft umgestellt. Das Wirtschaftssystem baut auf das Prinzip der Autarkie. Und Holtermann, der 49-jährige Ex-Export-Kaufmann und Ex-Banker, macht das Internetgeschäft. Weil er am richtigen Ort – und vor allem zur richtigen Zeit - einer Dame ein Kompliment machte.

Am 5. Januar 2003, in der Jahreszeit, in der man Nordkorea eigentlich meidet, denn sie haben dort keine Mittel zum Heizen, fliegt Holtermann nach Pjöngjang. Die Räume, in denen man sich trifft, werden nach dem Sonneneinfall ausgesucht. Draußen sind es minus 20 Grad. Holtermann friert, hüllt sich in wattedicke Anoraks, fühlt sich in diesem lächerlichen Aufzug „wie ein Michelin-Männchen“ und sieht seine Felle schwimmen. Es gebe Probleme mit der KPTC, der koreanischen Telefongesellschaft, heißt es. Und Holtermann weiß: Das Geschäft ist so gut wie geplatzt. Die Frau, mit der er sich treffen soll, wird ihm von seinen Dolmetschern und Geschäftspartnern als eine Mischung aus Margaret Thatcher und Madeleine Albright beschrieben. Und es erscheint eine sympathische, toughe Frau. Holtermann staunt – und verleiht seinem Staunen unbeholfen Ausdruck. Kann sich jetzt nicht mehr daran erinnern, was er gesagt hat, nur, dass sie gelächelt hat. Und dass von da an alles wie am Schnürchen lief.

„Blendend“ verstehen sich die beiden. Holtermann sieht aus, als würde er jederzeit wieder mit ihr essen gehen. Und sie? Sie will das Geschäft nicht platzen lassen. Sie will nur richtiges Business. Keinen Kleinkram, kein Joint-Venture mit der KCC. Die koreanische Telekom selbst, der Monopolist, will das Internet nach Pjöngjang holen – zusammen mit Holtermann. Ein paar Hotelanschlüsse? Zu wenig. Es muss viel mehr Anschlüsse geben. Die Kontrolle? Geht an Nordkoreas Telekom. Die nötigen Investitionen? Holtermann muss 700000 Euro aufbringen, damit die Sache läuft. Für Konzerne ist das weniger als Peanuts. Für Holtermann ist es viel. Er hat drei Jahre in Reisen und Techniker investiert. Da wird die Kapitaldecke knapp für einen Existenzgründer. Er bringt das Geld auf – „ich war mal Banker, da hat man Kontakte“.

Server und Verschlüsselungssysteme dürfen nicht nach Nordkorea exportiert werden – man könnte die Technik auch militärisch nutzen. Deshalb hat sich Holtermann etwas Einfaches ausgedacht: Der Server für das nordkoreanische Internet wird in Berlin stehen. Die Koreaner lagern dort ihre Inhalte. Per Satellit werden sie in die Welt übertragen. Für Pjöngjang reicht dann eine einfache kleine Verteilmaschine, ein Proxy-Server.

Misstrauisch und leichtgläubig

Holtermann redet sich ein bisschen in Begeisterung, in seinem Büro mit den zwei hellen Veloursofas. Hier ist das Nadelöhr für die IT-Geschäfte mit dem Land. Hier ist der Türöffner für richtiges Business, wie sich das die nordkoreanische Telekom vorstellt. Sobald über seinen Satelliten große Datenmengen verschickt werden können, könnten Nordkoreas Computerfachleute für den Weltmarkt arbeiten. Es seien Preise noch unter denen Indiens möglich, sagt Holtermann. „Ein großer Vorteil ist außerdem die Zeitverschiebung“, sagt er, da können die Programmierer in der Nacht arbeiten, „und am nächsten Morgen liegt das Ergebnis in Deutschland wieder auf dem Tisch.“ Deutsche Kommunen stellt er sich vor, die ihre technischen Zeichnungen dort fertigen lassen. „Das ist dann vielleicht nicht ganz so patriotisch, aber das sieht ja keiner.“

Warum genießt gerade Holtermann das Vertrauen dieser Leute, mit denen der Großteil der Welt nicht kann? Jemand, der im Zweifel sagt, „das sieht ja keiner“? Die Koreaner, sagt Holtermann, sind „extrem misstrauisch, aber auf der anderen Seite unglaublich leichtgläubig“. Sie wurden von vielen abgezockt. Er dagegen hat über viele Jahre als Berater ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Holtermann sitzt in seinem Büro mit den blauen Ablagekästen und dem blauen Papierkorb. Bei Konkursmasse kann man sich die Farben nicht aussuchen. „Ich habe nie mehr versprochen, als ich halten konnte“, sagt er.

Natürlich haben vor ihm schon andere begriffen, dass in Nordkorea ein Markt liegt. Aber wenn die anderen mit den Koreanern über das Internet sprachen, betonten sie ständig die Vielfalt der Möglichkeiten. Holtermann betonte die Sicherheit der Möglichkeiten: Filter einbauen, Firewalls errichten, damit niemand Unbefugtes an die Daten kommt – und keine Inhalte unkontrolliert ins Land hineinkommen. Und die Inhalte, die von Berlin aus in die Welt gehen? „Propagandatexte? Das ist deren Sache“, sagt Holtermann. Für Inhalte ist er nicht zuständig. Sein größtes Problem ist, wie er nach jedem Besuch in Pjöngjang das traditionelle Abschiedsgeschenk durch den Zoll bekommt: Schlangenschnaps, mit Schlange drin.

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