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Wirtschaft: „Die Agenda 2010 ist nicht zeitgemäß“

Der künftige IG Metall-Vize Berthold Huber über Sozialreformen, Jürgen Peters und Hauptschüler

Herr Huber, Sie haben einmal gesagt, Jürgen Peters und Sie seien „völlig unterschiedliche Menschen“. Wie kann dieses Duo die IG Metall aus ihrer desolaten Lage herausführen?

Jeder Mensch ist vom anderen völlig unterschiedlich. Das ist ganz normal. Und was die desolate Lage anbelangt: Das Bild, was von uns gezeichnet wird, entspricht nicht dem, was wir jeden Tag in den Geschäftsstellen und Betrieben machen. Natürlich verkörpern Jürgen Peters und ich unterschiedliche Ansätze. Das muss aber kein Nachteil sein.

Die Kluft zwischen Peters und Huber soll ein Vorteil sein?

Es gibt Leute in der IG Metall, die sich Sorgen machen um Sozialstandards und Arbeitnehmerrechte und die mit Widerstand auf Einschränkungen reagieren wollen. Und es gibt andere, die die Arbeitswelt gestalten und bestimmten Themen nicht ausweichen wollen.

Sie sind der Protagonist der zweiten Gruppe. Um welche Themen geht es Ihnen?

Es geht um Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Sozialstaat, deutsche Einheit und Europa. Alle diese Themen werfen neue Fragen auf, die wir nicht mit Antworten der Vergangenheit lösen können.

Und das Duo Peters/Huber findet gemeinsam die neuen Antworten?

Wir sind jedenfalls beide guten Willens. Die Mitgliedschaft der IG Metall, unsere Vertrauensleute und Betriebsräte teilen nicht immer meine Meinung oder die von Jürgen Peters. Deshalb brauchen wir einen Prozess in der IG Metall, der diese Themen offen und ohne Tabus anpackt. Dafür stehe ich.

Ist Jürgen Peters ein Traditionalist?

Peters soll ein Traditionalist sein und ich ein Modernisierer. Aber diese Beschreibung wird uns beiden nicht gerecht. Peters hat weit reichende Tarifverträge abgeschlossen, zum Beispiel über die VierTage-Woche bei VW und über die Metallrente.

Sind Sie ein Modernisierer?

Ich bin vielleicht ein Veränderer. Ich versuche, mich auf der Höhe der Zeit zu bewegen - was das Denken und Empfinden der Menschen und die politische Realität anbelangt. Ich bin aber auch wertorientiert, Solidarität und soziale Gerechtigkeit sind für mich wichtig. So gesehen bin ich auch Traditionalist.

Sie sind Mitglied der SPD, die als Regierungspartei mit der Agenda 2010 Sozialreformen anstrebt. Ist die Agenda sozial gerecht?

Sie ist nicht zeitgemäß. In wesentlichen Teilen der Agenda kann ich nicht die Punkte entdecken, die uns wirklich bewegen. Zum Beispiel die Demografie. Oder wo wird das Problem angepackt, dass Menschen über 50 keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben?

Immerhin versucht der Bundeskanzler mit der Agenda an vielen Schrauben zu drehen, um den Laden insgesamt wieder flott zu kriegen.

Wir haben eine merkwürdige Veränderungsstimmung. Viele sind der Meinung, es kann nichts bleiben, wie es ist, und dann wird irgendwas gemacht. Ob das Hand und Fuß hat, fragt niemand. Aber eine zukunftsorientierte Politik ist das nicht. Und die Menschen werden das mit der Zeit auch merken.

Was ist sozial gerecht?

Ich will nur einen Punkt nennen, bei dem ich relativ nah an Schröder bin: Das Recht auf eine gute Ausbildung und auf die Chance, auch über die Arbeit das Leben zu gestalten.

Haben wir da Defizite?

Sicher. Unser Bildungssystem grenzt immer mehr Menschen aus. Weil wir zum Beispiel viele Hauptschüler haben, die überhaupt keine Chance auf eine gute Berufsausbildung bekommen. Da müssen wir etwas tun und das wird auch Geld kosten.

Also mehr „Ausbildung light“ für schwache Schulabgänger?

Das wäre falsch, weil es keine Antworten auf die Ansprüche eine Ökonomie gibt, die auf Wissen und Qualifikation basiert. Und was das Vorurteil von vermeintlich leistungsschwachen Schülern oder Schulabgängern anbelangt: In Baden-Württemberg schaffen wir es in vielen Projekten, dass bei sozialer Begleitung auch die „schwierigsten“ Fälle eine sehr gute Prüfung als Facharbeiter ablegen. Wir dürfen doch keine Gesellschaft haben wollen, die von vornherein ausgrenzt. Das sprengt den sozialen Zusammenhalt.

Also brauchen wir auch keinen Billiglohnsektor für die schlecht Qualifizierten?

Die Schuhputzergesellschaft, wie manche daherschwätzen, ist doch nur dummes Zeug. Die Bundesrepublik lebt von den Produkten, die sie auf den Weltmärkten verkauft.

Hilft uns eine Ausbildungsabgabe aus der Lehrstellenmisere?

Das ist nur die letzte aller Möglichkeiten, weil ich Zweifel an der Systematik habe. Wichtiger ist mir die Qualität beruflicher Ausbildung. In vielen Berufen haben wir von Anfang an eine so hohe Spezialisierung, dass viele Betriebe dazu gar nicht in der Lage sind. Nötig ist eine breitere Ausbildung, die auch eine breitere Verwendung des Ausgebildeten in den Betrieben zulässt.

Warum organisieren sich so wenig Azubis und junge Arbeitnehmer in der IG Metall?

Das stimmt nicht. Es gibt keinen sozialen Verband, der so viele junge Leute organisiert wie die IG Metall.

Trotzdem fordern Sie für die IG Metall ein anderes Auftreten und eine andere Sprache.

Weil wir ein großes Mitgliederproblem haben. Das hängt mit der veränderten Beschäftigtenstruktur zusammen. Die IG Metall war über Jahrzehnte eine Arbeitergewerkschaft, deshalb sind wir bei Angestellten, Frauen und höher Qualifizierten schwach.

Und wie wird die IG Metall da stark?

Wir müssen mit den Leuten sprechen, um von den Entwicklern und Projektingenieuren zu erfahren, was sie von der IG Metall wollen. Diese hochflexibel arbeitenden Leute haben andere Ansprüche an die Gewerkschaft als ein Fließbandarbeiter, dessen Arbeitszeit genau feststeht.

Kollektive Regelungen haben sich überlebt?

Nein. Die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos zum Beispiel und die Rechte der Arbeitnehmer ist eine Frage, die kollektiv gelöst werden muss; der Einzelne kann das nicht. Aber: Wer sehr selbstständig arbeitet, der möchte auch selbst entscheiden, wann er arbeitet. Dem müssen wir mit Regelungen entsprechen, die einen Nutzwert haben. Wir müssen den Leuten etwas bieten.

Gerhard Schröder meint ja, die Attraktivität der IG Metall wäre größer, wenn sie sich die IG Chemie zum Vorbild nähme.

Die beiden Gewerkschaften kann man nicht vergleichen. Wir sind viel größer und haben eine viel ausdifferenziertere Welt, auf die wir auch tarifpolitisch antworten müssen, zum Beispiel mit einer Diskussion um zweistufige Tarifverträge.

Schröder droht mit gesetzlichen Öffnungsklauseln, wenn die Tarifverträge den Betrieben nicht mehr Spielräume lassen.

Ich lade alle ein, die darüber reden, mal zwei Stunden zu mir in die Bezirksleitung nach Stuttgart zu kommen. Dann können sie sehen, was wir an Sondervereinbarungen, an zusätzlichen und abweichenden Vereinbarungen zum Tarifvertrag bearbeiten. Vieles, was über die Arbeit der Gewerkschaften geäußert wird, hat mit Ideologie zu tun und nichts mit der Realität.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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