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Wirtschaft: Die Angst ist größer als die Wut

Bundeskanzlerin Merkel spricht mit der Konzernführung / Finnen wollen sobald wie möglich Sozialplan

Bochum - Gisela Achenbach hat ihre Wortwahl geändert. Seit bald 20 Jahren spricht sie von „unserem Unternehmen“. Das ist nun vorbei. Wie ihr die NokiaBosse mitteilten, dass sie und die 2300 anderen Mitarbeiter in dem Bochumer Werk keine Perspektive mehr haben – das hat die Betriebsratschefin noch nicht verwunden. „Seither sage ich nur noch ,das’ Unternehmen“, ruft sie an diesem Dienstagmorgen ins Mikrofon. Viele tausend Menschen auf dem Marktplatz im Bochumer Stadtteil Riemke applaudieren, die Glocke im Kirchturm nebenan schlägt im Takt der Menge. Mehr als 15 000 sind gekommen, um sich solidarisch zu zeigen, Gisela Achenbach ist gerührt. „Das tut gut, euch hier zu sehen.“

Am Tag zuvor war sie noch in Helsinki gewesen und hat mit den Bossen gesprochen. „Wir sehen das als Auftakt für weitere Gespräche“, berichtet sie und macht doch kaum Hoffnung. Die Manager hätten sich zwar Zeit genommen, aber wirklich neue oder gar überzeugende Argumente hat sie nicht gehört. „Das war nicht viel“, urteilt einer aus der Düsseldorfer Gewerkschaftsspitze, die noch immer mit sich ringt, ab wann man den Konflikt hochfahren muss.

Weit ist man davon nicht mehr entfernt, denn auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nach einem Telefonat mit Unternehmenschef Olli Pekka Kallasvuo kaum noch optimistisch. Nokia kündigt nach dem Gespräch an, „so schnell wie möglich“ Sozialplan-Verhandlungen zu beginnen. Man erwäge „zusätzliche Maßnahmen“ als Unterstützung für die betroffenen Beschäftigten, sagte eine Sprecherin. Bei den vielen Menschen, die an diesem Vormittag in Bochum zusammenströmen, kommt das nicht an. Hier überwiegt die Angst, wächst langsam die Wut. Gisela Achenbach erinnert die Kollegen daran, dass sie zu Hause geblieben sind, wenn es keine Arbeit gab und wie gerne sie – auch kurzfristig – zurück ins Werk kamen, wenn ein neuer Großauftrag für Beschäftigung sorgte. „Wir haben alles getan, wir waren und sind flexibel.“ Bis heute rät sie zu Mäßigung, warnt vor unkontrollierten Streiks oder gar Sabotage. „Ich weiß nicht, wie lange das noch gelingt.“

Nur für die Zeit der Demonstration ruht die Arbeit, man freut sich über die Solidarität der Opelaner und Thyssen- Krupp-Kerker, die aus den benachbarten Fabriken gekommen sind. Aus Frankfurt ist IG Metall-Chef Berthold Huber angereist. „Wir klagen einen Weltkonzern an“, sagt er und nennt es eine Unverschämtheit, wenn man Unternehmensteile zur Disposition stellt, die Gewinne einfahren. „Das ist Wildwestkapitalismus, den wir bekämpfen werden.“ An dieser Stelle jubelt die Menge und die vielen Politiker auf der Bühne applaudieren. Neben dem christdemokratischen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann steht Oppositionsführerin Hannelore Kraft von der SPD. Erst später gesellt sich Oskar Lafontaine dazu, der allerdings – wie die anderen Politiker auch – kein Wort sagen darf. Sie alle spielen keine Hauptrolle in diesem Stück. Die übernehmen die Menschen. Viele von ihnen haben weiße Hemden übergestreift. Darauf steht: „Nicht ohne Kampf ins Aus.“ Die Anfangsbuchstaben stehen für Nokia.

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