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Wirtschaft: Die Bahn verspätet sich

Der Bundestag soll offenbar erst im nächsten Jahr über die Privatisierung abstimmen. Ein Streik könnte die Debatte anheizen

Berlin - Die Entscheidung des Bundestags über die Privatisierung der Deutschen Bahn soll ins nächste Jahr verschoben werden. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Unternehmenskreisen. Derzeit sei die Stimmung in der Politik eindeutig gegen das von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn favorisierte Modell, wonach die Schienen im Eigentum des Unternehmens bleiben sollen. „Eine Verschiebung ist die einzige Chance, um eine umfassende Niederlage Mehdorns zu vermeiden“, sagte ein Insider. Die ursprünglich für September geplante und bereits auf Oktober verschobene Abstimmung solle mindestens drei Monate später stattfinden. Dafür sollen die Aufsichtsratsvertreter des Bundes nun sorgen. Die Bahn erklärte, die Entscheidung liege bei der Politik. „Seitens der DB AG gibt es jedoch keinerlei Vorschläge, die auf eine Verschiebung zielen“, sagte Konzernsprecher Oliver Schumacher.

In einem Brief an den Aufsichtsrat kritisiert Mehdorn die Politik scharf. Anlass ist ein verschlechtertes Bonitätsrating der Bahn. Die Diskussion über die Privatisierung sei „unprofessionell und geschäftsschädigend“, heißt es in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Erfolge der Bahn würden zerredet und „aus nicht nachvollziehbaren Gründen“ infrage gestellt, schreibt Mehdorn. „Nicht nur Mitarbeiter und Führungskräfte leiden unter dieser unhaltbaren Diskussion. Auch unsere Kunden werden mehr und mehr verunsichert. Und jetzt haben wir auch wirtschaftliche Nachteile. Die Grenze des Ertragbaren ist eigentlich erreicht.“

Angesichts dieser geharnischten Kritik an denen, die über die Privatisierung entscheiden, sollen die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat – die Staatssekretäre Jörg Hennerkes, Axel Nawrath und Bernd Pfaffenbach – eine Verschiebung der Abstimmung erreichen. In den vergangenen Wochen hatten die Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen deutlich unterschiedliche Positionen bezogen.

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) avisierte zuletzt eine Abstimmung des Bundestags für Ende Oktober. Dass die Bahn ihr Schienennetz vorbehaltlos behält, wie es Mehdorn will, scheint vom Tisch. Diskutiert werden Varianten, die dem Bund einen unterschiedlich starken Zugriff zugestehen. Auch die andere Radikalvariante einer vollständigen Trennung von Bahn und Netz gilt als unrealistisch. Tiefensee rechnet bei der Teilprivatisierung des letzten großen Staatsunternehmens mit einem Erlös von sechs bis acht Milliarden Euro. Der Bund darf seine Mehrheit aber laut Grundgesetz nicht aufgeben und verkauft maximal knapp die Hälfte der Anteile. In einem ersten Schritt soll etwa ein Viertel privatisiert werden.

Der mit der Privatisierung verknüpfte Streit um die Beschäftigungssicherung bei der Bahn ging am Montag in die nächste Runde. Zwar legten Gerhard Schröder und Kurt Biedenkopf, die beiden Schlichter, ihre Einigungsempfehlung vor, doch ändert die nichts an der Sachlage. Denn beide kommen zu dem Schluss, der bestehende Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung vom vergangenen Jahr (siehe Kasten) könne nur unter der Bedingung bestehen bleiben, dass die Struktur des Konzerns für den Börsengang nicht tiefgreifend verändert wird. Das heißt, das Netz muss im Eigentum der Bahn bleiben, – und das ist auch die Wunschvariante der Bahn und der Gewerkschaften für eine Privatisierung. Der Vorschlag bildet nun die Grundlage für neue Verhandlungen zwischen Konzernleitung und Gewerkschaften. Damit soll es am heutigen Dienstag losgehen, wie Bahn-Chef Mehdorn sagte. Er und die Gewerkschaften Transnet und GDBA gehen von schwierigen Gesprächen aus. Sollten die neuerlichen Verhandlungen nicht zu einer Einigung führen, kann es bereits bis Ende des Monats zu Urabstimmung und Streik kommen.

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Hermann, sagte dem Tagesspiegel: „Natürlich haben die Gewerkschaften ein Recht für Beschäftigungssicherung zu kämpfen.“ Sie dürften den Kampf aber nicht mit der Diskussion über die Privatisierungsmodelle verbinden. Die Auseinandersetzung sei „ein Deckmantel für einen politischen Streik“. Der Politik seien die Mitarbeiter nicht egal, betonte Hermann. Die Grünen fordern eine Beschäftigungsgarantie von mindestens fünf Jahren nach einer Privatisierung – unabhängig vom Modell.

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