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Wirtschaft: Die Bananenrepublik

Beim Obstverzehr sind Ost und West vereint. Doch während der Ossi im Kreise der Familie Karten spielt, geht der Wessi lieber in die Kneipe. 14 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Deutschen noch nicht ganz ein Volk

Vierzehn Jahre nach der Wiedervereinigung streitet Deutschland wieder einmal um den Aufbau Ost. Rund 1250 Milliarden Euro gingen seit 1990 von den alten in die neuen Bundesländer, doch der Lebensstandard liegt noch weit auseinander. Kurz vor dem Jahrestag wirbt Bundespräsident Horst Köhler dafür, das Ziel gleicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland aufzugeben. Der für den Aufbau Ost zuständige Bundesminister Manfred Stolpe sieht dagegen Anzeichen für eine Trendwende: Anders als öffentlich wahrgenommen habe sich 2003 die Schere zwischen West und Ost erstmals wieder leicht geschlossen, heißt es in seiner jüngsten AufbauOst-Bilanz. Auch die Statistik zeichnet ein widersprüchliches Bild der deutschen Einheit.

Nach wie vor verdienen die Westdeutschen deutlich mehr Geld: Im vergangenem Jahr hatte ein durchschnittlicher Haushalt im Westen 2895 Euro, im Osten 2233 Euro Netto-Monatseinkommen. Ein ähnlicher Unterschied besteht in der Produktivität in beiden Landesteilen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner erreichte 2003 im Osten 67 Prozent des Westniveaus. Doch die Ostdeutschen haben erstaunlich schnell aufgeholt: 1991 lag die Ziffer nur bei knapp 43 Prozent.

Beim BIP pro Kopf hat sich Ostdeutschland dem Westen im Jahresdurchschnitt um 4,6 Prozent angenähert, hat das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt. „Bei anderen aufstrebenden Regionen in der Welt liegt diese Aufholrate nur bei zwei Prozent“, sagt IW-Direktor Michael Hüther. Allerdings zeigt die Statistik auch, dass die Annäherung zwischen 1996 und 2002 stagnierte, was zum Teil auf die gesamtdeutsche Wachstumsschwäche dieser Jahre zurückzuführen ist. Erst im vergangenen Jahr rückte der Osten wieder etwas an das Westniveau heran: von 66,3 auf 67,1 Prozent. Ob das schon die von Manfred Stolpe erhoffte Trendwende ist, muss sich zeigen.

Von 2005 bis 2019 hat die Bundesregierung für den Solidarpakt II weitere 156 Milliarden Euro vorgesehen. Davon sind 105 Milliarden Euro für besonders finanzschwache Gemeinden vorgesehen. Über die Verwendung der weiteren 51 Milliarden wird derzeit verhandelt. Aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft müssten die Gelder des bis 2019 angelegten Solidarpakts II von den Bundesländern gezielt für die Wirtschaftsförderung eingesetzt werden. Länder, die eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben, müssten dafür belohnt werden: Etwa durch einen höheren Anteil an Einkommens- und Körperschaftssteuer. „Wir müssen weg von der Subventionsmentalität und zu mehr Selbsthilfe und Eigenverantwortung“, sagt IW-Direktor Hüther. Jetzt gelte es, das Steuersystem entsprechend umzubauen. Dann sei bis 2019 eine Angleichung der Produktivität möglich.

Während beim Einkommen die Unterschiede noch groß sind, werden sich Ossis und Wessis beim Geldausgeben immer ähnlicher. Beispiel Banane. „Es gibt beim Bananenkonsum praktisch keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West“, sagt Wolfgang Twardawa, Marketingleiter der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Anfang der Neunziger war die Banane zur deutschen Symbolfrucht aufgestiegen. Nach dem Mauerfall hatten die Bürger der mit Südfrüchten chronisch unterversorgten DDR großen Nachholbedarf, der Verzehr pro Kopf und Jahr schnellte auf bis zu sieben Kilogramm über Westniveau. Heute werden in ost- wie in westdeutschen Haushalten jährlich 19,3 Kilogramm Bananen verzehrt.

Auch sonst haben sich Twardawa zufolge die Konsumgewohnheiten weitgehend angenähert. „Wo Unterschiede bestehen, sind sie eher auf regionale Besonderheiten zurückzuführen, als auf das Erbe der politischen Systeme.“ So werde zwar im Osten pro Kopf deutlich mehr Alkohol konsumiert als in den alten Ländern. „Das gleiche Gefälle haben Sie aber auch zwischen Nord- und Süddeutschland“, hebt Twardawa hervor.

Auch beim Freizeitverhalten werden die Unterschiede zwischen Ost und West von Jahr zu Jahr geringer, hat Ulrich Reinhardt vom BAT-Institut für Freizeitforschung beobachtet. Aber es gibt sie noch: „Generell neigen die Westdeutschen stärker zu Aktivitäten, die mit Geldausgeben verbunden sind, während die Ostdeutschen mehr Wert auf gemeinsame Unternehmungen mit Freunden oder der Familie legen“, sagt Reinhardt. Wessis gehen öfter in die Kneipe, Ossis sitzen lieber beim Gesellschaftsspiel beisammen. Das liegt natürlich auch daran, dass die Ostdeutschen weniger Geld zum Ausgeben haben. Haben sie erstmal gleich viel in der Tasche, wird man die Deutschen in Ost und West statistisch vielleicht gar nicht mehr unterscheiden können.

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