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Verdi-Chef Frank Bsirske begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Auftakt des Bundeskongresses der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am 20.09.2015 in Leipzig (Sachsen).

© dpa

Die Bundeskanzlerin bei Verdi: Beinahe hätte Frank Bsirske Angela Merkel an sich gedrückt

Angela Merkel und der alte Gewerkschaftsrabauke Frank Bsirske sind sich plötzlich sehr zugetan. Eindrücke vom Bundeskongress der Gewerkschaft Verdi.

Emotionale Hochfeste sind das in der Regel nicht, wenn die Bundeskanzlerin zum Volke spricht. Am Sonntagabend in Leipzig war das anders. Viel hätte nicht gefehlt, und Frank Bsirske, der größte Rabauke unter den deutschen Gewerkschaftsbossen, hätte Angela Merkel an sich gedrückt. Ihre Rede sei für ihn „ein Signal der Zuwendung“, bedankte sich der Verdi-Vorsitzende bei Merkel und ergänzte: „Ich kann Ihnen versichern, dass beruht auf Gegenseitigkeit.“ Die Bundeskanzlerin sei „ein Mensch mit Herz und Verstand“, und bei der Gestaltung der Zukunft „haben Sie uns an Ihrer Seite“, versicherte der linke Gewerkschafter der CDU-Kanzlerin.

Deutschland im Herbst 2015. Unter dem Motto „Stärke.Vielfalt.Zukunft.“ begann in der Leipziger Messe der einwöchige Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft. Trotz Mindestlohn, TTIP, Bezahlung von Pflegekräften und Werkvertragsmissbrauch – es geht in diesen Zeiten nicht ohne das Flüchtlingsthema. Für den Satz „Dann ist das nicht mein Land“, mit dem Merkel vor ein paar Tagen Kritik an ihrer offenen Asylpolitik zurückgewiesen hatten, feierten sie die Gewerkschafter, als hätte die Regierungschefin gerade die Verstaatlichung der Deutschen Bank angekündigt.

Nicht nur beim Thema Flüchtlinge und Integration traf Merkel den Ton der Verdi-Basis. Natürlich brachte der Gast die üblichen Blumen mit – Verdi sei seit der Gründung der Dienstleistungsgewerkschaft vor knapp 15 Jahren ein „wichtiges Element der Gewerkschaftsbewegung geworden; an Ihnen kommt man nicht vorbei“ – doch auch inhaltlich kam die Kanzlerin den gut 1000 Delegierten des Kongresses nahe.

Angela Merkel beschreibt, wie sie zu einer Befürworterin des Mindestlohns wurde

Zum Beispiel Mindestlohn. Wohl keine andere Organisation hat in den vergangenen zehn Jahren so stark dafür getrommelt wie Verdi. Seit Januar sind nun 8,50 Euro Pflicht, und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte warum: „Ich bin auch ganz persönlich einen langen Weg gegangen, ich dachte, den Mindestlohn müssen die Tarifpartner selbst machen.“ Da jedoch vor allem in den Dienstleistungsbereichen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu schwach seien, um Lohnuntergrenzen verbindlich für viele zu vereinbaren, habe der Gesetzgeber eingreifen müssen. „Es ist richtig, dass das erreicht wurde“, sagte Merkel und bezeichnete den gesetzlichen Mindestlohn als „Fortschritt“. Ausgerechnet in Leipzig, wo sie einst für ein neoliberales CDU-Programm geworben hatte. Die Zeiten ändern sich. Und Merkel und Bsirske auch.

Der 63-Jährige kandidiert am kommenden Dienstag zum fünften Mal für den Vorsitz der mit gut zwei Millionen Mitgliedern zweitgrößten Gewerkschaft; die IG Metall kommt auf 2,3 Millionen. Zu Verdi hatten sich 2001 die ÖTV, die Gewerkschaften der Postler (DPG) und Angestellten (DAG) sowie die IG Medien und die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) zusammengeschlossen. Damals hatte Verdi noch 2,8 Millionen Mitglieder. Inzwischen ist der Abwärtstrend gestoppt. Die Vorsitzende des Gewerkschaftsrats bemerkte am Sonntag stolz, dass in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten 1,5 Millionen neue Mitglieder zu Verdi gestoßen seien. Die Zahl der Austritte lag indes deutlich darüber, und Bsirske wird in seinem Rechenschaftsbericht an diesem Montag erläutern müssen, wie er die Gewerkschaft attraktiver machen will.

Politisch, daran ließ Bsirske am Sonntag keinen Zweifel, fühlt er sich wohl. Wegen Merkel. Er empfinde es „wohltuend, mit Ihnen jemanden zu haben, der da zu argumentieren beginnt, während andere autoritär wurden“, sprach Bsirske die Kanzlerin an und verglich sie mit Gerhard Schröder, der erst das Bündnis für Arbeit platzen ließ und dann 2003 die Agenda 2010 erfand und damit das historische Bündnis zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften mindestens schwer belastete. Bündnispartner ist jetzt Merkel. Um die Partnerschaft von Politik und Gewerkschaften und die Sozialpartnerschaft „beneiden uns viele“, sagte die Bundeskanzlerin. „In wichtigen Stunden haben wir gemeinsame Aktivitäten entwickelt“, meinte sie im Rückblick auf die Wirtschaftskrise 2008/09. Und diese Gemeinsamkeit sei jetzt wieder gefragt: Bei der Aufnahme, Betreuung und Integration der Flüchtlinge.

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