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Engpass. Im laufenden Jahr entstehen in Deutschland mehr als 200 000 neue Wohnungen. Zu wenig, um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Vor allem bezahlbarer Wohnraum für ärmere Familien ist knapp. Nach der Wahl dürfte die Diskussion um eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus Schwung bekommen.

© REUTERS

Die Debatte um steigende Mieten: Haushohe Erwartungen an die Politik

Die Mieten und Immobilienpreise schnellen besonders in den Großstädten nach oben. Alle Parteien versprechen schnelle Hilfe, doch der Wohnungsmarkt lässt sich schwer steuern.

Etwa 200 000 Menschen suchen in Berlin eine Wohnung. Die Einwohnerzahl einer mittleren Großstadt wie Mainz oder Rostock drängt nach Schätzungen des Mietervereins jedes Jahr auf den Wohnungsmarkt der Hauptstadt. Die Nachfrage der Zuwanderer oder Wohnungswechsler stößt dabei auf ein viel zu kleines Angebot: 10 000 neue Wohnungen, so kalkuliert der Senat, müssten jedes Jahr zusätzlich gebaut werden, um die Lage zu entspannen. 8000 dürften es 2013 aber nur werden. Die Bauwirtschaft kann den Bedarf – vor allem bei preiswerten Wohnungen – so schnell nicht decken, wie Wohnungssuchende nachrücken. Die Folge: „Die Preisspirale dreht sich weiter“, warnt der Mieterverein. Darunter leiden insbesondere einkommensschwache Haushalte, Familien und Studenten.

Ob Berlin, Hamburg oder München – in allen Großstädten (aber auch in kleineren Universitätsstädten) zeigt sich ein ähnliches Bild. Mieten und Immobilienpreise in den begehrten Innenstadtlagen steigen. Beschleunigt wird der Anstieg von in- und ausländischen Investoren, die sich auf dem Immobilienmarkt Renditen erhoffen, die bei den aktuell niedrigen Zinsen am Finanzmarkt sonst nicht mehr zu erzielen sind.

Alle Parteien wollen den Neubau von Wohnungen ankurbeln

War die Immobilienpolitik für Jahre kein großes Thema, weil sich wenig auf dem deutschen Markt tat, sehen alle Parteien im Wahlkampfjahr 2013 akuten Handlungsbedarf. Union, SPD, FDP, Grüne und Linke räumen ihren wohnungspolitischen Vorstellungen und Plänen reichlich Platz in den Programmen ein (siehe unten). Ein dankbares Thema, weil eigentlich alle Wähler in irgendeiner Form von dem Thema berührt sind. In der Analyse des Status quo ergeben sich parteiübergreifende Parallelen. Alle wollen den Wohnungsneubau ankurbeln, Wohnraum bezahlbar für alle halten und einkommensschwachen Haushalten unter die Arme greifen. „Bei der Wahl der Mittel unterscheiden sich die Parteien jedoch teilweise sehr deutlich“, schreibt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Bewertung der Programme.

Interessant wird es dort, wo die Parteien mit den Interessen ihrer Zielgruppen kollidieren. So hat sich zum Beispiel die Union (wie SPD, Grüne und Linke) mit der überraschenden Forderung nach einer „Mietpreisbremse“ bei der Immobilienwirtschaft unbeliebt gemacht. Weil in gefragten Stadtbezirken wie Berlin-Mitte die Mieten bei einer Neuvermietung um bis zu 40 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, haben auch CDU/CSU die soziale Sprengkraft dieses Themas entdeckt – und Ärger provoziert.

Die Immobilienwirtschaft fürchtet eine Deckelung der Mieten

„Mit einer solchen Deckelung schafft sich die Politik die Probleme von morgen“, warnte etwa Walter Rasch, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft (BID). Auch das IW glaubt, dass eine Mietpreisdeckelung „für den Immobilienmarkt insgesamt eine schwere Belastung“ darstellt. Die Branche beklagt, dass eine Begrenzung von Mieterhöhungen Investoren abschrecken würde, für die sich Neubauten oder Sanierungen nicht mehr rechneten. Tatsächlich sind die Kosten wegen steigender Grundstücks- und Energiepreise sowie der energetischen Sanierung ohnehin gestiegen. Die Wirtschaft schlägt statt einer Mietpreisregulierung deshalb vor, Bebauungsgebiete auszuweisen oder städtische Quartiere zu verdichten. Mieterbund und Städtetag fordern die Deckelung hingegen schon lange, um künftige Preisexplosionen zu verhindern: Höhere Wieder- und Neuvertragsmieten seien die Mietsteigerungen von morgen.

Trotz aller Klagen der Baulobby bleibt der Wohnungsneubau „der Wachstumsmotor des Baugewerbes“, wie die KfW- Bankengruppe im Frühjahr mitteilte. 2013 dürften nach ihrer Schätzung bundesweit mehr als 200 000 neue Wohnungen entstehen. Doch zu welchen Preisen? Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen von 5000 bis zu 10 000 Euro sind auch in Berlin keine Seltenheit mehr. Und bei Neubau-Mieten sind weniger als zehn Euro pro Quadratmeter kaum noch zu finden. Die regionalen Unterschiede sind indes groß: Während in Berlin der Mittelwert des Mietspiegels 2013 noch bei 5,54 Euro pro Quadratmeter liegt, kommt München schon auf 10,13 Euro.

Mehr Wohnraum für sozial schwache, aber wie?

So groß der Konsens der Parteien beim Thema Wohnungsbau ist, so weit gehen die Vorstellungen auseinander, wie sozial Schwachen bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann. Am nächsten sind sich die Parteien hier noch beim Wohngeld, das als geeignetes Instrument aufgewertet werden soll und auch die Zustimmung der Wirtschaft findet. Bei der Frage, ob auch der öffentliche soziale Wohnungsbau wiederbelebt werden sollte, enden aber die Gemeinsamkeiten.

Die Finanzminister von Bund und Ländern haben beschlossen, dass die Länder bis Ende 2019 jährlich 518 Millionen Euro vom Bund für die soziale Wohnraumförderung erhalten sollen. Sie sind aber nicht gesetzlich verpflichtet, davon neue Sozialwohnungen zu bauen, sondern können auch Gebäude modernisieren oder Wohnungsbauschulden abbauen. In welchem Ausmaß und zu welchen Anteilen dies geschieht, darüber wurde in den vergangen Tagen gestritten. Nach der Wahl dürfte die Frage, wie weit die Förderung zweckgebunden wird, auf die Tagesordnung kommen.

Die Zahl der Sozialwohnungen geht zurück

Seit mehr als 20 Jahren sei das Fördervolumen stark rückläufig, so dass der Bestand an Sozialwohnungen mit Mietpreisbindungen und Belegungsrechten deutlich abgenommen habe, analysiert das IW – von rund 3,6 Millionen im Jahr 1990 auf heute nur noch rund 1,6 Millionen. SPD, Grüne und Linke fordern deshalb eine „Renaissance des sozialen Wohnungsbaus“. Bestätigt fühlen sie sich von einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die kürzlich zu dem Ergebnis kam, dass in den 100 einwohnerstärksten Städten durchschnittlich nur zwölf Prozent der Wohnungsangebote für ärmere Familien finanzierbar sind. Die Probleme des Wohnungsmarktes liegen auf der Straße. Wie viel die im Wahlkampf versprochenen Lösungen kosten – diese Frage wird nach dem 22. September beantwortet.

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