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Wirtschaft: Die Delfin-Frau

Eine kalifornische Weltklasseschwimmerin entzückt die Wissenschaft – und gibt ihr viele Rätsel auf

Von Barry Newman Athen Nach dem Abstoßen vom Rand des Schwimmbeckens gleitet kaum jemand so schnell durch das Wasser wie Natalie Coughlin. Der 21-jährigen Schwimmerin aus Kalifornien gibt dieser besondere Delfinschlag beim olympischen Sprint in den Disziplinen Freistil, Rücken und Schmetterling einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Woran das liegt, weiß nicht einmal sie: „Ich kenne mich nicht besonders mit Physik aus“, sagt die Psychologiestudentin von der Berkeley-Universität. „Ich weiß nur, dass ich bei kleineren Bewegungen schneller bin. Es ist reiner Instinkt.“

Mit solchen Erklärungen will sich Rajat Mittal nicht abfinden. Der Professor für Maschinen- und Luftfahrzeugbau an der George Washington Universität will Coughlins Delfinschlag genauer erkunden. Im letzten Jahr hat Mittal einen Super-Computer mit einem dreidimensionalen Abbild des Schwimmstars gefüttert. Doch selbst bei einer Leistung von 100 Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde ist die Aufgabe gewaltig. Ziel des 37-Jährigen ist schlicht, eine wissenschaftliche Erklärung für die Perfektion zu liefern. „Bislang beruhen alle Erkenntnisse auf Intuition“, sagt der Professor.

Den 800 000 Dollar teuren Computer hat ihm die US-Kriegsmarine finanziert. In ihrem Auftrag forscht Mittal nach Wegen, wie die Navy ihre launischen Delfine bei Erkundungsmissionen künftig mit wendigen Unterwasserfahrzeugen ersetzen kann.

Und wenn die Maschine schon auf die Bewegung von Fischen programmiert ist, dachte Mittal, könne man auch die Schläge eines menschlichen Fischs eingeben. Kein Wunder, dass dies auch Russel Mark interessierte, den Koordinator für den Bereich Biomechanik beim US-Schwimmverband. „Jeder Schwimmer benutzt eine andere Technik, weil es jeder anders gelernt hat“, sagt Mark, der das Zusammenspiel von Bewegungsabläufen und Wasser erforscht, um die Schwimmer schneller zu machen.

Bevor es Computer gab, formten Trainer die Schwimmstöße ihrer Schützlinge wie Autodesigner im Schwimmkanal – dem Gegenstück zum Windkanal. Heute werten sie die mit Lasertechnik gescannten Schwimmbewegungen am Rande eines digitalen Schwimmbeckens aus. So testen auch Sportartikelhersteller wie Speedo die neuesten Schwimmanzüge.

Für Sportler auf dem Trockenen lässt sich mit dem Laser-Modell ein genaues Abbild der Bewegungsabläufe schaffen. Anders im Schwimmbecken. Hier wirkt die Flüssigkeit auf die Bewegung des Schwimmers und macht deren Analyse ungleich komplizierter. „Schwimmer verdrängen das Wasser, und das Wasser drängt zurück“, sagt Professor Mittal. „Alles hängt von den Turbulenzen in der Flüssigkeit ab. Erst wenn wir jede einzelne Auswirkung eines Schwimmstoßes erfassen können, werden wir den Zusammenhang verstehen.“ Dafür braucht Mittal den Super-Computer.

Als er eine Aufnahme von Coughlins Startbewegungen sah, wusste er, dass er auf die perfekte Vorlage gestoßen war. Aus den Laser-Scanns anderer Schwimmer und den Videoaufzeichnungen von Coughlins Start konstruierte Mittal ein silbernes Computer-Phantom mit Schwimmbrille, das sich mit Delfinstößen über einen schwarzen Bildschirm bewegt. Das dreidimensionale Gebilde, das sich aus allen Perspektiven betrachten lässt, ist Mittals Rohling. Nur das Wasser fehlt noch. Hierzu will der Professor zu jeder Phase der Schwimmbewegung die entsprechenden Wasser-Wirbel ermitteln und in das Modell einspeisen. Der einzelne Schwimmstoß wird dabei in 20 000 Segmente aufgebrochen, für die dann jeweils 200 Millionen einzelne Berechnungen ausgeführt werden müssen.

Mittal hofft, so das Geheimnis von Coughlins Schnelligkeit zu ergründen. In Athen gibt es hierzu noch keine Antworten. Mehr als drei Jahre wird der Computer benötigen, um die Bewegungsabläufe auseinander zu nehmen. Doch Mittal sieht bereits eine Zeit, in der die Schwimmer ihre Bewegungsabläufe formen können, ohne dabei auch nur ihre Füße nass machen zu müssen. Andere Elemente werden sich dagegen nie abspeichern lassen: darunter Willenskraft und skeptische Trainer, die auf natürliche Schwimmstöße vertrauen und ihren Sportlern vom Sprung ins virtuelle Becken abraten.

Die Texte wurden übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Stammzellen), Tina Specht (Schwimmer), Matthias Petermann (EU), Christian Frobenius (Hartz) und Svenja Weidenfeld (Alitalia).

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