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Wirtschaft: Die Deutsche Bahn steckt tief im Schlamassel

Der schmallippige Wortwechsel ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen Eigentümerseite und Unternehmensführung.Bundesumweltminister Jürgen Trittin entschuldigte sich kürzlich für seinen verspäteten Antritt zu einer Podiumsdiskussion (Thema war Mobilität) mokant lächelnd mit der Bemerkung, von der 20minütigen Verspätung der Bahn bei der Anreise habe er nur zehn aufholen können.

Der schmallippige Wortwechsel ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen Eigentümerseite und Unternehmensführung.Bundesumweltminister Jürgen Trittin entschuldigte sich kürzlich für seinen verspäteten Antritt zu einer Podiumsdiskussion (Thema war Mobilität) mokant lächelnd mit der Bemerkung, von der 20minütigen Verspätung der Bahn bei der Anreise habe er nur zehn aufholen können.Der Adressat der Kritik stand in der Reihe der wartenden Gesprächspartner - Bahnchef Johannes Ludewig.Er konterte eher bitter, es gebe bei der Bahn nun einmal keine Mobilität für Privilegierte.

Es war die Reaktion eines Mannes, der seit Wochen einem öffentlichen Kesseltreiben ausgesetzt ist - um seine Ablösung von der Bahn-Spitze zu erreichen.Ein Wechselbad der Gerüchte: Ludewig muß gehen, Ludewig bleibt, er bleibt vorerst, bleibt nur, weil es keinen geeigneten Nachfolger gibt.Hintergrund der Debatte ist, so weiß man in der Frankfurter DB-Zentrale, ein "akutes Spannungsverhältnis" zwischen dem Vorstandschef und seinem Vorgänger, dem heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Heinz Dürr.Wenigstens einer von beiden, so hieß es noch bis vor wenigen Tagen, werde die heutige Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn AG nicht in seinem Amt überleben.Doch dann signalisierte Bonn: Derzeit will Verkehrsminister Franz Müntefering keine Wechsel an der Spitze - beide bleiben.

Der spröde Hanseat Ludewig, dem allzu gerne fehlendes Charisma als Führungsschwäche ausgelegt wird, hat sich öffentlich nicht anmerken lassen, wie es in seinem Innern aussieht.Anzumerken ist aber dem Unternehmen, was der Dauerbeschuß der Führungsspitze bewirkt: Die Bahn ist aus dem Gleis gesprungen.Lustlosigkeit macht sich unter den Beschäftigten breit.Tiefer Frust lähmt alle Ebenen.Verzweifelte Führungskräfte vor Ort fern vom Vorstand wissen, so ein Beobachter, "nicht mehr, wie sie ihr Personal bei der Stange halten sollen, wenn denen fast täglich in einer Fernsehdiskussion gesagt wird, in was für einem Idiotenladen sie tätig sind".

Die Konsequenzen spüren die Reisenden tagtäglich: Die kleinen, immer wiederkehrenden und erst recht die großen Verspätungen nerven Pendler und Vielfahrer.Die offiziellen Erklärungen sind immer dieselben: Erst machte Herbstlaub die Schienen rutschig, dann war es der Winter, und außerdem sind es die vielen Ausfälle wegen des überalterten Fahrzeugparks.Insider sehen das anders: Viele Eisenbahner identifizieren sich nicht mehr mit der Bahn AG.Sie schalten auf stur oder flüchten in die Krankheit.Wie flexibel sie sein könnten, bewiesen sie ausgerechnet im Schock der Eschede-Katastrophe.Als der Zugbetrieb zunächst ganz ohne die ICEs zusammenzubrechen drohte, da improvisierten sie erfolgreich nach allen Regeln ihrer Kunst.

Fatale Folgen haben gerade jene Aktionen, mit denen der Vorstand die Unpünktlichkeit beseitigen wollte.So ist in der Mitarbeiterzeitung "Bahn-Zeit" Monat für Monat nachzulesen, welcher Regionalbereich gut und welcher schlecht im täglichen Kampf mit den Minuten abgeschnitten hat.Das fährt an vorderster Front mittlerweile zu abstrusen Konkurrenzkämpfen und Kurzschlußhandlungen: Es werden beispielsweise vorsorglich Reserveloks gehortet, anstatt sie dorthin weiterzugeben, wo sie dringend gebraucht werden.

Und Wagen mit nicht sicherheitsrelevanten Schäden - dazu zählt etwa der Ausfall der Klimaanlage - werden nicht aus den Zügen herausgenommen, weil die Eisenbahner vor Ort Verspätungen beim Auseinanderrangieren nicht riskieren wollen.Als Bumerang erweist sich auch die Praxis, die Führungskräftegehälter um einen Unpünktlichkeitsmalus zu schmälern.Ein Betroffener: "Um das zu umgehen, fangen die Leute an zu tricksen - und dann geht es irgendwann erst recht schief."

Die Bahn hangelt sich von Schreckensdatum zu Schreckensdatum.Erst hieß es: Vor der Bundestagswahl passiert gar nichts.Dann waren alle auf die heutige Aufsichtsratssitzung fixiert, und nun wird vermutlich wieder nichts passieren.Das wäre das Schlimmste, was der Bahn passieren kann.Denn in diesem Jahr, dem fünften als Aktiengesellschaft, wird die Bahn erstmals weniger Güter und Personen transportieren; das gilt für Nah- wie Fernverkehr.Auch wenn noch einmal ein geringfügig höherer Umsatz erhofft wird, drohen am Horizont wieder rote Zahlen.

EBERHARD KRUMMHEUER (HB)

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