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Wirtschaft: Die Dot.Com-Gründer fordern die Filmwelt heraus

Junge Internet-Wilde zeigen den Studiobossen, welche Produktions-, Vertriebs- und Marketingallianzen sich im Netz schließen lassenDagmar Hovestadt Silicon Valley kommt nach Hollywood, und die Studiobosse sind schon ganz ungeduldig. "Fast täglich erreichen mich Anrufe von den ganz Großen - Paramount, Warner Brothers - die wollen meine Firma kaufen, aus lauter Panik, die Entwicklung im Netz zu verpassen.

Junge Internet-Wilde zeigen den Studiobossen, welche Produktions-, Vertriebs- und Marketingallianzen sich im Netz schließen lassenDagmar Hovestadt

Silicon Valley kommt nach Hollywood, und die Studiobosse sind schon ganz ungeduldig. "Fast täglich erreichen mich Anrufe von den ganz Großen - Paramount, Warner Brothers - die wollen meine Firma kaufen, aus lauter Panik, die Entwicklung im Netz zu verpassen." Aber Johan Liedgren hat kein Interesse. Noch macht es ihm viel zu viel Spaß, selber die Fäden in der Hand zu halten und Unterhaltungsprogramme für das Internet zu produzieren. Der Schwede ist Gründer und Chef von "honkworm.com" mit Sitz in Seattle, eine der neuen Firmen, die originär Programme fürs Netz produzieren. Nach acht Jahren bei Microsoft wollte er raus und Geschichten erzählen, speziell für die Internetgemeinde. Zwei- bis dreiminütige Kurzfilme waren seine Idee - für die Kaffee- oder Zigarettenpause im Büro. Und Honkworm ist nach zwei Jahren auf dem besten Wege, genau damit Geld zu verdienen.

Mit "Fish-Bar", einer Animation von zwei "echten" Fischen, die sich in einer Bar betrinken und kluge Sprüche klopfen, und mit "Siliconites", einer Zeichentrick-Serie über drei End-Zwanziger in Silicon-Valley, begann Honkworms Erfolg. "Dann hat uns eines Tages Budweiser angerufen und fand unsere Serien richtig gut. Wir haben gesagt, dann kauft sie doch einfach." Aber der Bierbrauer war unsicher, ob das Zielpublikum automatisch auf die Homepage von Budweiser umschwenken würde.

Liedgren hat daraufhin seine Kontakte genutzt und eine profitable Synergie geschaffen. "Viele Internet-Seiten suchen nach Inhalt, nach einem Gimmick, der die Leute immer wieder zu ihren Seiten bringt und sie von anderen Services unterscheidet. Genau diese Kriterien erfüllen unsere Serien, aber die Suchmaschine "Excite" zum Beispiel wollte nicht dafür zahlen. So haben wir Budweiser zum Sponsor der "Fish-Bar"-Serie gemacht, Excite bringt sie nun auf seinen Seiten und jetzt sind alle zufrieden." Die Wachstumsprognosen sind vielversprechend. Dreiviertel aller Internetbenutzer in den USA haben bereits online Unterhaltung gesehen; Ende 2000 sollen es 90 Prozent sein, die Budgets dafür wachsen.

Synergien schaffen, Allianzen schmieden und Partner aus den alten Medien und ihre Kontakte in Hollywood an Bord holen - das ist der rote Faden, der sich durch die Aktivitäten der noch sehr jungen Online-Unterhaltungsindustrie zieht.

Frank Biondi, ehemals in der Chefetage von Universal, Viacom und anderen Hollywood-Studios, steht jetzt Water-View Advisors vor, einem 240 Millionen Dollar schweren Venturekapital-Fonds, der auch in Internet-Firmen im Unterhaltungsbereich investiert. Biondi ist zum Beispiel im Aufsichtsrat von Atomfilms.com, einer Webseite für Kurzfilme. Der 60-jährige Biondi als Repräsentant der traditionellen Studiowelt bringt den "jungen Wilden" aus dem Internet bei, wie das Studio-System funktioniert. Und dafür lernt er als digitaler Neuling, "was denn das Internet überhaupt bedeutet". Zum Beispiel eine weltweite, kostengünstige Vertriebsplattform für Filme, die außerhalb der etablierten Studios produziert werden.

Der 34-jährige Atomfilms-Gründer Mika Salmi, geboren in Finnland, ist ein weiterer typischer Repräsentant der "nächsten Generation" von Unterhaltungsfirmen. Vom Ski- und Windsurflehrer, DJ und Datenbankprogrammierer zum Plattenpromoter und Internet-Entwickler und weiter zum Gründer und Chef von Atomfilms vor anderthalb Jahren führt sein Weg. Atomfilms aus Seattle hat dem Kurzfilm zu neuer Blüte verholfen. 800 Filme aus der Datenbank von Atomfilms können online gesehen werden. Jeden Monat hat die Seite eine Million Besucher. Dabei ist die Web-Seite nicht nur Online-Kino für zum Beispiel den deutschen Oscar-nominierten Kurzfilm "Kleingeld" aus Babelsberg. Atomfilms vertreibt aktiv die Filme aus der eigenen Datenbank an Fluggesellschaften, Hotels, Einkaufszentren oder Kabelkanäle. Die Filmemacher treten die Rechte für Syndikation und Vertrieb ab, dafür bekommen sie einen Anteil am möglichen Gewinn. Das Offline-Geschäft ist angesichts der derzeitigen Bandbreiten für die Internetnutzung der profitablere Bereich. Genaue Zahlen werden wie bei fast allen anderen auch nicht veröffentlicht. Aber die Idee und der bisherige Erfolg sind so überzeugend, dass Biondis Venturekapital-Fonds 20 Millionen Dollar investiert hat.

Die Lücke zum Zuschauer schließen, an den etablierten Wegen vorbei, dabei hilft auch eine der bekanntesten Internetfirmen: Amazon.com. Seit dem Sommer 1999 macht sich der virtuelle Buchladen für unabhängige Filmemacher stark. Über www.amazon.com/advantage kann jeder einen Film anbieten, Amazon schafft dann eine eigene Seite mit Informationen zu dem Werk, der Filmemacher schickt Kopien an das Warenlager und Amazon verschickt das Video bei Bestellung innerhalb von 24 Stunden. 55 Prozent des Erlöses gehen an den Filmemacher. Und damit das alles weiter wächst, hat Amazon-Advantage sich mit der ältesten Film-Datenbank im Internet verbündet. Cross-Promotion, gegenseitige Werbung, heißt das Zauberwort dieser Partnerschaft.

Und Hollywood? Das Internet stellt die etablierte Unterhaltungsindustrie vor neue Herausforderungen, spätestens seit ein für 40 000 Dollar mit Digital-Kameras gedrehter Film über das Marketing im Internet zu einem 150-Millionen-Dollar-Erfolg wurde: Seit dem Überraschungshit "The Blairwitch-Project" hat Hollywood Respekt vor dem Netz. Noch ist das ganze ein großes Experiment, alles ist im Aufbruch, die technischen Übertragungswege sind längst nicht ausgereift für einen Massenmarkt. Aber: "Die Tage des Film-Moguls ohne Netzanschluss sind vorbei", findet Filmkritiker Roger Ebert. "Die Filmindustrie ist im Verhältnis zum Internet so gefangen wie damals bei den Tonfilmen: Netzanschluss oder Ende."

Dagmar Hovestadt

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