zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Die dunklen Seiten der Achterbahn-Fans

Von Sharon Begley Die Achterbahn, die sich 98 Meter in die Tiefe stürzt. Der Log Flume, der einen zittern lässt.

Von Sharon Begley

Die Achterbahn, die sich 98 Meter in die Tiefe stürzt. Der Log Flume, der einen zittern lässt. Der freie Fall, bei dem der Magen verrutscht. Manche Menschen, die Freizeitparks besuchen, lieben das. Andere dagegen würden sich lieber am gegenüber liegenden belgischen Waffelstand in Öl braten lassen.

Jetzt, wo der Sommer kommt, stellen sich die Vergnügungsparks auf eine Flut von Besuchern ein. Sie haben den ganzen Winter über an neuen Sensationen getüftelt, abenteuerliche Geräte konstruiert, um ihren Besuchern neue Schockerlebnisse bieten zu können. Und: Wenigstens ein Teil der Besucher freut sich auf den Adrenalin-Ausnahmezustand, der durch Schocks ausgelöst wird. Inzwischen suchen Heerscharen von Psychologen, Psychiatern und selbst Genetikern nach einer Erklärung, warum manche Menschen sensationslüstern sind, während andere sich eher wegducken.

Das ist zwar für sich genommen keine Frage, die die Forschung brennend interessiert. Aber sie kann für andere wichtigere Fragen Erkenntnisse bringen: zum Beispiel darüber, wer mit 150 Sachen fährt, wer Heroin versucht oder eine Mutprobe auf den Bahngleisen macht. „Es gibt einen bestimmten Typ, auf den riskantes Verhalten eine große Anziehungskraft hat“, sagt Marvin Zuckerman, Professor der klinischen Psychologie an der Universität von Delaware. „Sensationsgierige neigen dazu, leichtsinnig zu fahren, Drogen zu nehmen und zu trinken. Es zieht sie zu Menschen, die aufregend, aber nicht allzu zuverlässig sind. Sie haben typischerweise viele lockere sexuelle Beziehungen mit verschiedenen Partnern. Sie suchen immer nach dem letzten Schrei.“

Schon früh nahm man an, es gehe hier um eine Art „Ersatzangst". Nach dieser Theorie weiß der Verstand, dass es weniger gefährlich ist, in einem kleinen Wagen sechzig Meter über dem Erdboden Haarnadelkurven zu meistern als Auto zu fahren. Jüngste US-Statistiken haben ergeben, dass Abenteuergeräte 0,61 Tote pro 100 Millionen Passagiere fordern. Im Vergleich dazu fordert der Straßenverkehr 0,91 Tote. Aber offensichtlich geht etwas mehr vor in Menschen, die wirklich den Tod herausfordern. Wie immer in Zweifelsfällen dient das Testosteron als Erklärung. „Es ist lange angenommen worden, dass eine Verbindung besteht zwischen hohem Testosteron und Sensationsgier“, sagt David Quadagno, Psychologieprofessor an der Florida State University.

Aber als sein Forschungsteam kürzlich das Testosteron bei Männern und Frauen untersuchte, gab es eine Überraschung: Männer, die angaben, einen netten Roman der Brontë-Schwestern zu bevorzugen, hatten nicht weniger Testosteron als Männer, die sich für etwas mehr Abenteuer entschieden hatten. „Bei beiden Geschlechtern ist das Testosteron für die Sensationsgier nicht maßgebend“, sagt Quadagno.

Bei einem anderen Verdächtigen, dem Stresshormon Cortisol, ist das anders. „Bei Männern besteht eine Verbindung zwischen einem niedrigen Cortisol-Anteil und der Sensationsgier“, sagt Quadagno. Er vermutet, dass ein Mann mit niedrigen Cortisol-Werten von Dingen, die normalen Menschen zusetzen, nicht gestresst wird. Er ist deshalb bereit und in der Lage, „den Einsatz zu erhöhen und nach Abenteuern zu suchen“.

Ist der niedrigen Cortisol-Wert angeboren oder erworben? Es ist jedenfalls fast sicher, dass die Gene eine Rolle spielen. 1996 gaben die Forscher die Entdeckung eines Gens bekannt, das für den Trieb nach neuen Reizen verantwortlich ist. Es ist zuständig für einen Rezeptor im Gehirn, der als molekularer Anlagerplatz für Dopamine dienst. Diese Hirnsubstanz kann ein Freudengefühl produzieren, das zur Sucht führen kann.

Bei Menschen, die den besonderen Kick brauchen, können leere Dopamine-Rezeptoren die gleiche Nervosität bewirken wie bei einem Raucher leere Nikotin-Speicher. Wie jede Sucht schreitet sie voran, die Fahrt mit Disneys Spinning Teacup nutzt sich schließlich ab. „Um das System zu stimulieren, muss man immer mehr machen“, sagt Dr. Zuckerman. „Deshalb brauchen Sensationsgierige immer riskantere Nervenkitzel, um den Kick zu bekommen." Heute tanzende Teetassen, morgen Space Mountain.

Psychologen, die mit Problemkindern arbeiten, sagen, die Abenteuersucht sei tief sitzender als Aggression oder Impulsivität. „Sie ist weniger beeinflussbar, weil sie ein genetisch bedingter Charakterzug ist“, sagt Deborah Capaldi vom Oregon Social Learning Center. „Man kann das Verhalten ändern, nicht aber das Temperament." Dennoch: Es gibt Nervenkitzel und Nervenkitzel. Ein Sensationsgieriger, der hartnäckig und optimistisch ist, wird vielleicht ein berühmter Optionshändler. Einer, der verbittert und impulsiv ist, wird vielleicht kriminell. Die Natur gibt uns die Anlagen - was wir daraus machen, ist unsere Sache. Ich wäre bei denen, die sich verstecken.

Übersetzt und gekürzt von Mathias Petermann (Japan), Gregor Hallmann (Weltmeisterschaft), Markus Häußer (Russland), Christian Frobenius (Immigranten) und Svenja Weidenfeld (Achterbahn)

NAME

Zur Startseite