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Schnell geschaltet. Mit dem Projekt „SilverLiner“ hält die Audi-Manufaktur für den R8-Sportwagen in Neckarsulm seit Jahrzehnten ältere Mitarbeiter im Unternehmen. Foto: ddp

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Wirtschaft: Die Erfahrung zählt

Der Jugendwahn in der Wirtschaft nähert sich seinem Ende. Engagierten und flexiblen Managern jenseits der 50 bietet sich in einigen Firmen die Chance, noch einmal beruflich durchzustarten. Doch das geht häufig nur mit Gehalts- und Imageeinbußen

Ein Schreckgespenst verflüchtigt sich derzeit in Deutschland: Wer bisher befürchtete, mit Mitte 50 aufs Altenteil komplimentiert zu werden, kann aufatmen. Denn Deutschlands Personalchefs haben erkannt: Das kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten. „Mit vorzeitigen Pensionierungen und Altersteilzeitvereinbarungen müssen wir künftig sehr selektiv umgehen. Das ist oft zu teuer und der Know-how-Verlust ist zu groß“, gibt etwa Michael Kurtenbach zu.

Der Personalvorstand der Gothaer Versicherung hat wie seine Branche insgesamt die demografische Entwicklung in Deutschland und ihre Folgen für den Arbeitsmarkt gut im Blick: So würden nur durch die Verrentung bei der Gothaer allein von 2015 bis 2020 rund 60 Führungskräfte die Firma verlassen. Hinzu kämen noch die vielen Sachbearbeiter aus der Baby-Boomer-Generation. „Dass klingt noch nach ferner Zukunft. Aber wir müssen jetzt handeln“, sagt Kurtenbach.

Der Handlungsbedarf ist in der gesamten Wirtschaft groß. Denn die immer weniger werdenden Nachwuchskräfte allein können die Löcher nicht mehr stopfen. So bietet sich schon heute älteren Semestern statt des Karriere-Aus die Chance, noch mal durchzustarten. Doch der Jugendwahn nimmt nur langsam ab.

Einige Firmen sind Trendsetter für das, was in Zukunft eine Notwendigkeit für viele werden wird: So hält etwa die Audi- Manufaktur für den R8-Sportwagen in Neckarsulm mit dem Projekt „SilverLiner“ seit Jahrzehnten Mitarbeiter mit „Silbersträhnen im Haar“ im Unternehmen. Bewusst wird dort auf die Kompetenz älterer Mitarbeiter gebaut.

Die Zeiten, in denen qualifizierte Berufstätige fortgeschrittenen Alters zum Hungerlohn in prekären Arbeitsverhältnissen ihr Dasein fristeten, gehen offenbar ihrem Ende zu. Der Mangel an Fachkräften wird sogar so groß, dass Experten vorhersagen, dass nicht mehr länger jedem Altersteilzeitwunsch nach dem klassischen Blockmodell entsprochen werden kann. Dafür werden öfter Halbtags- Lösungen über längere Laufzeiten als sechs Jahre zu beobachten sein.

Um Arbeitgebern die Akquise zu erleichtern und eine zusätzliche Reserve von rein rechnerisch 1,2 Millionen Arbeitskräften zu schaffen, betont Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in ihrem aktuellen Bericht zur Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre im Jahr 2029: „Es gibt deutlich mehr und bessere Jobs für Ältere als früher. Inzwischen haben in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen drei von vier Beschäftigten sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs.“

Auch die Personalberater bestätigen die Nachfrage nach alten Meistern. Sophia von Rundstedt, Geschäftsführerin der gleichnamigen Personal- und Outplacement-Beratung berichtet, dass die Zeitspanne, in der gekündigte Manager jenseits der 50 einen neuen Job gefunden haben, seit 2007 auf rund 30 Wochen gesunken ist. Speziell Führungskräften wird der rote Teppich ausgerollt, wie Jens Hohensee, der für den Industriesektor zuständige Personalberater bei Kienbaum, beobachtet: Schon in etwa 80 Prozent der Fälle zeigen sich seine Mandanten gegenüber Kandidaten offen, die näher an der Rente als am Berufseinstieg sind.

Und immer häufiger setzen sich führungserfahrene Manager sogar gegen jüngere, fachlich versiertere Kandidaten durch, beobachtet der Headhunter, der erst kürzlich für ein Lasertechnologie-Unternehmen einen neuen Vertriebsleiter suchte. Neuer Abteilungschef wurde dann schließlich ein 52-jähriger Vertriebsleiter aus der Automatisierungstechnik, der seine beiden Mitbewerber – beides Laser-Experten Anfang 40 – aus dem Rennen schlug. Das Fach-Know-how eignet er sich jetzt im neuen Job an. Hohensee: „Speziell für eine Führungskraft kommt es fast mehr darauf an, dass sie Mitarbeiter leiten, motivieren und entwickeln kann, als dass sie durch Fachwissen glänzt.“

Wer sich fit und flexibel fühlt und mehr als 20 Jahre Berufserfahrung hat, wird bereits von Spezialisten umworben: Gerade haben die ersten Jobbörsen und Personalvermittler die „ Best Ager“ ins Visier genommen (siehe Kasten). Sogar Senioren aus dem Ruhestand zurückzuholen, um sie auf Projektbasis oder als selbstständige Berater weiterzubeschäftigen, dürfte bald keine Ausnahme mehr sein bei Firmen, die langfristig am Standort Deutschland bleiben wollen und beim teuren Wettbewerb um junge Leute nicht mitmachen können oder wollen.

Es gibt aber auch noch Branchen, die nur wenig aufgeschlossen für Manager über 50 sind. Personalberater Hohensee: „In der IT- und Medienwelt ist es häufig schwierig, Fach- und Führungskräfte über 40 vorzustellen, da heißt es dann: ,der passt nicht zu uns‘.“ Seine Kollegin Sophia von Rundstedt sagt: „Best Ager haben besonders gute Berufschancen, wenn sie sich permanent weiterbilden, flexibel bleiben für die verschiedensten Arbeitsmodelle und wenn sie Positionen anstreben, in denen besonders Lebenserfahrung, Stressresistenz, Reife, Weitblick, Stehvermögen und Souveränität gefordert sind.“

Sie profitieren bei einigen besonders vorausschauenden Arbeitgebern inzwischen von neuen Beschäftigungsmodellen. So genießen etwa Mitarbeiter des mittelständischen Unternehmens Phönix-Contact – die anderswo jenseits der 40 nicht mal mehr weitergebildet werden – individuelle Fortbildung und Karriereperspektiven. Gestandene Familienväter können auch mit 50 eine Ausbildung absolvieren und noch Ältere, die anderswo längst zum alten Eisen zählen, wählen aus bis zu 75 Arbeitszeitmodellen, um ihr Privat- und Berufsleben bequem unter einen Hut zu bringen.

Wenn in dem 6000-Mann-Betrieb zwischen 2015 und 2020 insgesamt 600 Baby-Boomer in Rente gehen, davon allein 190 Facharbeiter und Ingenieure, ist dort reichlich Erfahrung gefragt. Deshalb spannt der Personalchef Gunther Olesch vor allem Alt und Jung zusammen, um sie voneinander lernen zu lassen. „Der Jüngere läuft schneller, aber der Ältere kennt die Abkürzungen“, sagt Olesch. (HB)

Claudia Obmann

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