zum Hauptinhalt
Konzerne verdienen gut daran mit, wenn Verbraucher sich vornehmen, ein paar Kilo abzunehmen.

© dpa

Die Fett-weg-Industrie: Wie Konzerne am Abnehm-Kult verdienen

Nahrungs- und Pharmahersteller, Textil- und Elektronikbranche, Diätkurs- und Fitnessanbieter: Sie alle machen unsere Sehnsucht nach einer Traumfigur zu Geld. Teils ohne jede Berechtigung

Von Maris Hubschmid

Talkmasterin Bärbel Schäfer, Schauspielerin Christine Neubauer, Fernsehkoch Tim Raue: Sie alle haben mit dem Prinzip Weight Watchers Gewicht verloren. Jetzt machen die Prominenten Werbung für den US-amerikanischen Konzern, und das hat der auch dringend nötig – gut ein Sechstel aller Kunden sind dem weltgrößten Diät-Unternehmen im vergangenen Jahr abhanden gekommen, der Umsatz brach um elf Prozent ein.

Dabei ist die Zielgruppe groß genug: Jede zweite deutsche Frau bringt laut dem bundeseigenen Robert-Koch-Institut mehr auf die Waage, als gut für sie ist, und sogar zwei von drei Männern. Bei allem Magerwahn hegen viele also zu Recht den Wunsch, ein paar Kilo leichter zu werden. Offenbar begeistern die sich aber immer weniger für Gruppentreffen und Punkte-Zählen, wie das bei Weight Watchers funktioniert. Zahlreicher werden dagegen Angebote, die gleiche Erfolge mit weniger Zeit- und Nervenaufwand versprechen.

Die Sehnsucht nach einer Traumfigur ernährt eine ganze Industrie: Medizintechnik- und Pharmafabrikanten, Nahrungsmittel- und Sportartikelhersteller, Diät- und Fitnessanbieter. An die 100 Milliarden Euro haben alle zusammen 2012 in Europa eingenommen. Allein mit den umstrittenen Lightprodukten erwirtschaften deutsche Lebensmittelkonzerne Milliarden, 900 Millionen gaben Deutsche für Nahrungsergänzungsmittel aus, 140 für Schlankmacher in Pillen- und Pulverform.

In Sättigungspillen steckt Flohsamen

Die Stiftung Warentest hat 20 von ihnen getestet. Für keinen von ihnen, heißt es im Fazit, sei belegt, dass sich damit deutlich abnehmen, geschweige denn das Gewicht halten ließe. Unabhängige Studien konnte keiner der Hersteller vorweisen. Dafür stießen die Tester in den Produkten auf Bestandteile von Bohnen oder Krebstieren, die allergische Reaktionen hervorrufen können. Sättigungspillen, die meist Flohsamen enthalten, führten vor allem zu Verstopfung. Bei sogenannten Fatburnern, die die Verbrennung ankurbeln sollen, raten Wissenschaftler zur Vorsicht: Sie können die Wirkung fettlöslicher Medikamente beeinflussen, auch die der Antibabypille, machen schwanger statt dünner.

Formula-Diäten wie Slimfast oder Almased, Eiweiß-Pulver zum Anrühren mit Milch oder Wasser können helfen, Körpermasse zu reduzieren. Die Gefahr, dass man bei der Rückkehr zu einer normalen Ernährung bald wieder das Ausgangsgewicht erreicht, ist aber groß (siehe anonyme Erlebnisberichte am Ende). Zudem drohten Kreislauf- und Konzentrationsschwächen wegen akuten Energiemangels, moniert die Stiftung Warentest.

„Solche Mittel machen allenfalls bei extrem übergewichtigen Menschen Sinn und sollten nur unter ärztlicher Aufsicht eingesetzt werden“, sagt Martin Siewers, Sportmediziner an der Universität Kiel. Die deutsche Lebensmittelgesellschaft warnt, viele über das Internet erhältliche Produkte entsprächen nicht hiesigen Standards, speziell russische oder chinesische Firmen verwendeten den in Deutschland verbotenen Appetitzügler Sibutramin. Der kann zu Magen-Darm-Beschwerden und sogar Herzrasen führen.

Der Trend geht zu Gesundheits-Apps

Ein ebenfalls stark wachsender Bereich ist das Geschäft mit digitalen Helfern. Allein die Zahl der Gesundheits-Apps ist im vergangenen Jahr auf über 100 000 angestiegen. „Elektronische Schrittzähler können eine Unterstützung sein“, sagt Martin Siewers. Sie eignen sich aber auch hervorragend für Selbstbetrug. Zwischen echter und simulierter Anstrengung unterscheiden die Systeme nicht, wer beim Sitzen mit dem Arm wackelt, kann den Zähler nach oben katapultieren. „Kompletter Blödsinn“ sind Siewers zufolge Saunagürtel und Bauchmuskelstimulatoren zum Um-den-Bauch-binden, wie sie fast täglich in deutschen Teleshops präsentiert werden. „Fett kann man nicht durch Außeneinwirkung verbrennen oder wegschmelzen“, sagt Siewers. Das Vibrieren der Geräte bewirke allenfalls, dass man seinen Diätshake verschütte.

Ohne körperliche Aktivität, sagt der Mediziner, geht es nicht. Zu häufig würde Gewichtsverlust mit Fettreduktion gleichgesetzt. „Das ist der Fehler bei fast allen kommerziellen Ansätzen. Zehn Kilo Fett weg in vier Wochen, so etwas gibt es nicht.“ Um ein Kilo Fett zu verbrennen, müsse man 7000 Kalorien zusätzlich verbrauchen, etwa 14 Stunden flott joggen. „Die Versprechen sind also rein rechnerisch nicht möglich, eine so hohe Belastung machen die Gelenke nicht mit.“

Warum Fett überlebenswichtig ist

Bei der deutschen Adipositas-Gesellschaft heißt es, ein Minus von fünf Prozent Gewicht binnen sechs Monaten sei gesund. Wer allein auf Kalorienreduzierung setze, greife wertvolle Muskelmasse an – zuweilen sogar Knochensubstanz. „Fett ist Überlebensstrategie. Davon trennt der Körper sich als Letztes“, sagt Siewers.

Krankenkassen unterstützen daher ganzheitliche Programme wie „Ich nehme ab“ von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Deren Konzept basiert auf einem Mix aus Bewegung, Entspannung und Ernährungsumstellung. „Da begleiten qualifizierte Fachkräfte die Teilnehmer, anders als bei Weight Watchers, deren Programm zwar auch gut ist, aber von fortgebildeten Laien durchgeführt wird. Das erkennen die Kassen nicht an“, sagt Karin Riemann-Lorenz von der Verbraucherzentrale Hamburg. Kritisch sieht die Verbraucherschützerin in jedem Fall, dass Weight Watchers sein Logo für die Vermarktung von Lebensmitteln nutzt – von der Instant-Schokolade bis zur Fertigpizza. „Wir halten diese Spezialprodukte für überflüssig und das Preisniveau für sehr hoch.“

Unsere anonymen Erlebnisberichte

Drei Kollegen haben den Kampf gegen die Kilos gewagt. Wie es ihnen ergangen ist.

Abnehmen mit Eiweißshakes

Kein aufwendiges Kochen, kein Kalorienzählen. Anstelle der Mahlzeit trinkt man einfach einen Shake – zunächst dreimal täglich. Da beginnt das Problem, denn das – recht teure – Pulver aus der Apotheke, das in Wasser oder Milch angerührt wird, schmeckt bescheiden. Nach kürzester Zeit sehnt man sich wieder nach einem richtigen warmen Essen. Selbst wenn man nach einer Woche „nur“ noch zwei Mahlzeiten durch den Shake ersetzt, fehlt etwas. Ein riesiger Mangel macht sich breit, in Kopf und Körper. Der Vorteil: rasante Abnehmerfolge. Der Nachteil: Genauso schnell nimmt man wieder zu, wenn man die Shakes satt hat.

Abnehmen mit Weight Watchers

Punkte zählen. Eine Scheibe Brot hat zwei, eine Pizza 18, verdammt viel, wenn man nur 22 Punkte für den ganzen Tag hat. Gut zehn Jahre liegen meine Weight-Watchers-Zeiten und das Jonglieren mit den Punkten zurück – viel Obst und Gemüse (null Punkte), viel Sport (bringt Zusatzpunkte). Zehn Kilo waren damals runter, jetzt sind sie leider wieder drauf. Schade. Dennoch war es lustig. Nicht zuletzt wegen der TV-Moderatorin in meiner Gruppe und ihren interessanten Fragen. „Wie viele Punkte bringt Sex?“, wollte sie wissen, die alte Angeberin.

Abnehmen ohne Hilfe

Pizza, Apfelschorle, Schokoriegel: Ein Essenstagebuch sorgt für ein gesundes Bewusstsein darüber, was man bereits gegessen hat – und hilft, zwischen Hunger und Appetit zu unterscheiden. Plötzlich reicht abends doch der kleine Salat. Morgens fünf Sonnengrüße statt der zweiten Tasse Kaffee. Und ganz wichtig: Disziplin wird überbewertet. Wer ständig verzichtet, entwickelt ein suchtartiges Verlangen und holt an einem Tag die Süßigkeitenration eines ganzen Monats nach. Bester Ratschlag: Nur alleine essen macht dick. Wer seine Motivationsschokolade teilt, wird auch Liebling im Großraumbüro.

Zur Startseite