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Wirtschaft: Die Franzosen werden zu "Internauten"

Die Aufholjagd ist in vollem Gange / Jede Grundschule soll einen Internet-Anschluß bekommenVON ERIC BONSE PARIS.Es ist noch gar nicht so lange her, da war "Internet" für die meisten Franzosen ein Buch mit sieben Siegeln.

Die Aufholjagd ist in vollem Gange / Jede Grundschule soll einen Internet-Anschluß bekommenVON ERIC BONSE

PARIS.Es ist noch gar nicht so lange her, da war "Internet" für die meisten Franzosen ein Buch mit sieben Siegeln.Kaum jemand nutzte die "toile", wie das Netz auf neufranzösisch heißt.Umso heftiger war die Debatte: Während der ehemalige Kulturminister Jacques Toubon in dem amerikanisch geprägten Netz eine "neue Form des Kolonialismus" erblickte, bejubelte Ex-Präsidentenberater Jacques Attali den neuen "siebten Kontinent", den es schnellstmöglich zu erobern gelte.Seit einigen Wochen jedoch hat sich die französische Haltung grundlegend gewandelt.Präsident Jacques Chirac ließ sich von Microsoft-Chef Bill Gates persönlich die Benutzung der Computer-Maus erklären.Premierminister Lionel Jospin, der bei seinem Amtsamtritt im Hôtel Matignon im Juni bescheidene drei Personalcomputer vorfand, hat dem "französischen Rückstand" den Kampf angesagt. Nun nimmt die französische Aufholjagd Gestalt an: In den nächsten Tagen will Bildungsminister Claude Allègre einen ehrgeizigen Plan zur Vernetzung der französischen Schulen bekanntgeben.Bis zum Jahr 2000 will er alle Bildungseinrichtungen - von der Grundschule bis zur Universität - ans Internet anschließen.Obwohl die Multimedia-Terminals zwecks Kostenersparnis nur gemietet und nicht gekauft werden sollen, schlägt das Programm mit stolzen 4,5 Mrd.FF (1,4 Mrd.DM) zu Buche.Und dies ist erst der Anfang.In einem Aktionsplan hat Premierminister Jospin neben der Bildung weitere fünf Prioritäten definiert.So soll das kulturelle Erbe digitalisiert und ins Internet eingespeist werden.Die Pariser Linksregierung will elektronischen Handel und spezialisierte High-Tech-Firmen fördern, den öffentlichen Dienst ans Netz anschließen sowie einen Rechtsrahmen für den reibungslosen Datenverkehr schaffen.Bald schon werden die Franzosen ihre Steuererklärung per E-Mail abschicken können. Auch die französischen Unternehmen haben Großes vor.Die damals noch staatliche Telefongesellschaft France Télécom hatte bereits im April einen eigenen Internet-Zugang geschaffen.Derzeit arbeitet sie gemeinsam mit Elektronikherstellern wie Alcatel und Matra Communication an einem Internet-Terminal, das Mitte 1998 auf den Markt kommen soll.Es soll genauso leicht zu bedienen sein wie das Telefon - und würde Multimedia-Computern ebenso Konkurrenz machen wie dem hauseigenen Btx-System namens Minitel.Wenn sich die hochfliegenden Erwartungen bestätigen, dann könnte Frankreich bald schon seinen Rückstand bei der Zukunftstechnologie des 21.Jahrhunderts aufgeholt haben.Bisher galt nämlich das Minitel, das Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam, wegen seiner weiten Verbreitung als Haupthindernis auf dem Weg in die Informationsgesellschaft.Es ist zwar mit 25 000 Anbietern und einem Jahresumsatz von 7 Mrd.FF eine leistungsfähige Einstiegsdroge in den elektronischen Kommerz.Als rein französisches System genügt es jedoch nicht den internationalen Standards.Das Minitel sei technologisch "begrenzt" und könne eine "Bremse bei der Entwicklung neuer Anwendungen" darstellen, erkannte Jospin.Dieser Meinung sind auch die meisten Experten, die dem einst vorbildlichen System die Schuld dafür geben, daß die Franzosen unzureichend mit Heimcomputern ausgerüstet sind. Mit dem geplanten Internet-Terminal, das dem Minitel ähneln soll, könnte die französische Industrie indes die heimischen Verbraucher auf Trab bringen und neue Export-Märkte erschließen.Bereits jetzt hat Frankreich die Isolation in Sachen Informationstechnik weitgehend überwunden.Der Markt für Heimcomputer wächst schneller als in Deutschland.Der Datenverkehr per Internet verzeichnet monatliche Steigerungsraten von 15 Prozent; zu Jahresbeginn wurde die Zahl von einer Million "Internauten" überschritten.Zwar ist dies im internationalen Vergleich immer noch wenig.Doch da alle - Medien, Museen und Ministerien - in die Datenautobahn drängen, dürfte das Interesse der Franzosen weiter steigen.Nachdenklich stimmte das Porträt einer Kindergärtnerin, die einen Internet-Service für Eltern und Kinder eingerichtet hat: Ihre Homepage wurde seit 1995 bereits von 180 000 Interessenten angeklickt.Nur einer bekundete bislang kein Interesse: Claude Allègre, der Pariser Bildungsminister.

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