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Wirtschaft: Die Gipfelstürmer

Mehr Wechsel war nie an der Spitze der deutschen Großunternehmen: Wer im Jahr 2003 ganz nach oben kommt. Und welche Probleme er lösen muss.

Wolfgang Reitzle ist gut für Überraschungen. Kaum war er bei BMW wegen der gescheiterten Rover-Übernahme in Ungnade gefallen, tauchte der Automanager bei der Konkurrenz auf. Für den US-Konzern Ford steuerte er in London fortan die Oberklasse-Marken – nach BMW waren Jaguar oder Volvo sein Geschäft. Dem heute 53-Jährigen, daran zweifelte niemand in der Branche, stand eine steile internationale Karriere in der Autoindustrie bevor. Doch Reitzle entschied sich ganz anders: Jetzt verkauft er Gabelstapler und Industriegase. Zum Jahresbeginn übernimmt er den Chefposten bei einem eher langweiligen deutschen Mischkonzern, der Linde AG in Wiesbaden. Reitzle macht den Auftakt für ein Revirement an der Spitze deutscher Topunternehmen, das es in diesem Umfang noch nicht gegeben hat. Sieben der führenden 30 Konzerne im Deutschen Aktienindex (Dax 30) bekommen im Jahr 2003 einen neuen Chef – eine Managerin ist mal wieder nicht dabei.

Wechsel ist aber nicht nur bei Allianz, BASF, Eon, Hypo-Vereinsbank, Linde, Lufthansa oder RWE angesagt. Auch der viertgrößte Energieversorger EnBW aus Karlsruhe und der bekannteste deutsche Mittelständler, die Robert Bosch GmbH, tauschen das Führungspersonal aus. Und der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger heißt bald nicht mehr Roland Berger, sondern Burkhard Schwenker.

Beim Ludwigshafener Chemiekonzern BASF wird die Stabübergabe lautlos erfolgen: Jürgen Hambrecht löst Jürgen Strube ab. Der alte und der neue Vorstandschef haben aber nicht nur denselben Vornamen, auch in der Sache gibt es keine grundlegenden Unterschiede. Der 56-jährige Chemiker Hambrecht hat sein gesamtes Berufsleben bei der Badischen Anilin- und Sodafabrik verbracht und zählt zu den Verfechtern des so genannten Verbundkonzepts. Gemeint ist damit die vernetzte Produktion an einem Ort, so dass Vorprodukte zur Weiterverarbeitung nicht ständig hin- und hertransportiert werden müssen. Jetzt, wo die Branche unter Auslastungsproblemen leidet, kommt den Ludwigshafenern diese Strategie zugute. Der künftige BASF-Vorstandsvorsitzende, ein gebürtiger Schwabe, passt daher gut in die Zeit, in der sich Aktionäre nach Kontinuität und Solidität sehnen und riskante Ausflüge in neue Geschäftsfelder ablehnen.

Bei der Deutschen Lufthansa tritt der Kronprinz aus dem Schatten des ersten Lufthanseaten: Wolfgang Mayrhuber übernimmt das Erbe von Jürgen Weber. Und das wird nicht einfach sein. Denn Weber prägte den einstigen Staatsflieger wie kaum ein anderer Manager vor ihm. Weber hat die Lufthansa aus ihre tiefsten Krise Anfang der 90er Jahre geholt und zu einer der erfolgreichsten Airlines in der Welt gemacht. Der Maschinenbauingenieur Mayrhuber gehört seit 32 Jahren zum Unternehmen und ist bislang nicht durch Extravaganzen aufgefallen. Mayrhuber dürfte den eingeschlagenen Weg seines Vorgängers fortsetzen. Und der lautet: keine Experimente. Deshalb beteiligt sich die Lufthansa auch nur zurückhaltend an anderen Gesellschaften, die wegen der Krise der Luftfahrt zurzeit wie Sauerbier angeboten werden. Hinzu kommt: Mayrhuber ist 55 Jahre alt. Und mit 60 steigen Lufthansa-Manager (üblicherweise) aus der Führungsspitze aus. In der Branche wird daher vermutet, dass Mayrhuber als Interimskandidat den Platz nur für Stefan Pichler freihalten soll, dem (noch zu jungen) Chef der Lufthansa-Tourismustochter Thomas Cook.

Kurz vor den Festtagen sorgte ein Paukenschlag in München für Aufregung: Nach elf Jahren tritt Mr. Allianz , Henning Schulte-Noelle, überraschend ab. Sein Nachfolger, Michael Diekmann , ist weitgehend unbekannt - noch. Denn der 47-jährige Diekmann übernimmt im Frühjahr nicht nur einen der einflussreichsten Managementposten in Deutschland. Auch seine wichtigste Aufgabe, den ins Schleudern geratetenen Finanzkonzern Allianz wieder auf Spur zu bringen, dürfte noch für Aufsehen sorgen. Jurist Diekmann, der das Versicherungsgeschäft von Pike auf gelernt hat, ist ein Allianz-Gewächs: Nach 15 Jahren Konzernzugehörigkeit kennt er das Unternehmen von ganz unten und – inzwischen – auch von ganz oben. Diekmann gilt als durchsetzungsfähig. Eine seiner ersten Aufgaben wird es sein, die Führungsmannschaft von Allianz und Dresdner Bank auf seinen Stil einzuschwören. Das dürfte noch einige Manager ihren Job kosten.

Unternehmensberater Roland Berger kokettiert seit Jahren mit einem Briefumschlag in seiner Schreibtischschublade. Darin, so behauptet er, stünden die Namen für Kandidaten, die einst seine Nachfolge antreten dürfen. Jetzt hat er den Umschlag geöffnet: Burkhard Schwenker , Leiter der Hamburger Dependence der Unternehmensberatung, übernimmt im Sommer den Chefsessel in München. Unter den zahlreichen Partnern Bergers war der 44-Jährige schon länger aufgefallen. Vor allem sein Spezialjob, die Verhandlungen mit der Deutschen Bank zum Rückkauf der Gesellschafteranteile durch die Partner hat ihm Reputation bei den Kollegen eingebracht und ihn auch für die Nachfolge Bergers qualifiziert. Schwenker gilt als Arbeitstier – und in dieser Beziehung dürfte er dem Firmengründer in nichts nachstehen. Dennoch wird das bekannteste deutsche Beratungshaus in den kommenden Jahren ein anderes Gesicht bekommen. Denn niemand versteht es so perfekt wie Roland Berger selbst, das wichtige Beziehungsgeflecht aus Managern, Lobbyisten und Politikern zu pflegen – und zu nutzen.

Überraschung beim größten deutschen Mittelständler: Der Autozulieferer und Elektronikspezialist Robert Bosch bekommt einen Chef, mit dem selbst Eingeweihte nicht gerechnet hatten. Der Sprecher der Geschäftsführung, Hermann Scholl, präsentierte kurz vor Weihnachten den 53-jährigen Franz Fehrenbach als seinen Nachfolger. Fehrenbach zählt zwar zu der jungen Managerriege bei Bosch, doch mit spektakulären Projekten ist der künftige Chef bislang nicht aufgefallen. Immerhin: Der Wirtschaftsingenieur Fehrenbach hat sein ganzes Berufsleben bei Bosch verbracht.

Was Wolfgang Reitzle bewogen hat, Ford zu verlassen, um beim Anlagenbauer und Industriegasehersteller Linde anzuheuern, ist schwer zu erklären. Denn Reitzle gilt als Autonarr. Vielleicht liegt der Reiz aber auch darin, das unüberschaubere Konglomerat Linde radikal umzubauen - da sehen Analysten die Aufgabe für Reitzle.

Dass die beiden führenden Energiekonzerne des Landes zeitgleich ihre Vorstandsvorsitzenden austauschen, ist Zufall. Zufall ist wohl auch, dass die Neuen beide aus dem Stall der niederländisch-britischen Shell-Gruppe kommen. Eon hat sich mit Wulf Bernotat allerdings einen Chef ausgesucht, der im eigenen Haus schon richtig Karriere gemacht hat. Bernotat lenkte die Geschickte der Veba Öl, später übernahm er Stinnes. Im Mai 2003 wird er Ulrich Hartmann und Wilhelm Simson ablösen, die seit der Fusion von Veba und Viag zur neuen Eon AG an der Spitze stehen.

Eons schärfster Konkurrent RWE hat sich für Harry Roels , Ex-Topmanager bei Shell, entschieden. Er übernimmt die Führung von Dietmar Kuhnt. Roels (53) wird Fairness nachgesagt. Mitbringen muss er auch diplomatisches Geschick, um die Interessengruppen bei RWE unter einen Hut zu bekommen.

Auch der Dritte im Bunde der großen Energieversorger wechselt das Führungspersonal aus: Der eigenwillige Gerhard Goll macht bei Energie Baden Württemberg (EnBW) Platz für den ebenso ungewöhnlichen Utz Claassen . Der ist gerade 39 Jahre alt, seine Karriere ist steil: Studium in Oxford, Training bei McKinsey, Managerjobs bei VW, Seat und jetzt Sartorius. Claassen hat das Göttinger Unternehmen seit 1997 völlig auf den Kopf gestellt und vom betulichen Waagenhersteller zum weitverzweigten Technologiekonzern umgebaut.

Krisenerfahrung ist gefragt bei der HypoVereinsbank. Dieter Rampl scheint der richtige Mann zu sein, das drittgrößte deutsche Geldinstitut zu steuern. Schon 1999, bei der Fusion von Bayerischer Vereinsbank und Hypobank, zeigte Ramp, was er kann. Damals musste er das Geschäft mit den Firmenkunden neu ordnen. Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, wird Rampl auch Fusionsmanager. Noch immer gilt die Hypo-Vereinsbank als Kandidat zur Übernahme der Commerzbank.

Fotos: Ullstein/Mike Minehan, ddp, dpa

Dieter Fockenbrock

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