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Wirtschaft: Die Handelsriesen zerfleischen sich gegenseitig - wer nicht individuell auf den Kunden eingeht, geht ein

Gaisburger Marsch ist ein ArmeLeute-Essen: Spätzle und Kartoffeln in Fleischbrühe. Dennoch tischen selbst feine Restaurants diesen Eintopf als "Schwäbische Spezialität" auf.

Gaisburger Marsch ist ein ArmeLeute-Essen: Spätzle und Kartoffeln in Fleischbrühe. Dennoch tischen selbst feine Restaurants diesen Eintopf als "Schwäbische Spezialität" auf. Freilich - im Sortiment der Hamburger Edeka AG findet sich kein einziges dieser eigenartigen schwäbischen Gerichte, die Teigwaren mit Kartoffeln kombinieren. Dennoch bekommt man im EdekaMarkt von Fritz Mayer in Korntal bei Stuttgart sehr wohl Gaisburger Marsch: als Fertiggericht, hergestellt bei einem Stuttgarter Feinkost-Betrieb. An Mayers Supermarkt prangt zwar das Edeka-Logo, was er verkauft ist aber seine Sache. Da lohnt es sich, den Kunden die Wünsche vom Mund abzulesen, Bedürfnisse zu erfüllen, bevor sie ausgesprochen werden - oder spätestens dann. "Das ist kein Honigschlecken. Aber ich bin mein eigener Herr und kann meinen Erfolg tagtäglich selbst beeinflussen", erklärt der 50jährige, der einst als Manager in Diensten der Handelsgruppe Nanz stand, bevor dort 1993 die Bielefelder AVA AG einstieg.

Helmut Nanz gönnt seinem Ex-Prokuristen Mayer den Erfolg. Doch er ist froh, dass er seine 200 Supermärkte mit damals drei Milliarden Mark Umsatz allesamt verkauft hat. "Zum Glück habe ich damit gar nichts mehr zu tun", beteuert er - und es klingt ehrlich. Der Stuttgarter ist nicht der einzige Repräsentant der traditionsreichen deutschen Händler-Familien, der das Geschäft lieber anderen überlässt; wie er haben nun schon viele gehandelt. Auch Tengelmann-Chef Erivan Haub hatte bereits Ende vergangenen Jahres verkündet: "Der Lebensmittelhandel in Deutschland macht keinen Spaß mehr." Nun hat Haub die Notbremse gezogen. Das Familienunternehmen, mit 18,5 Milliarden Mark Umsatz immerhin die Nummer 5 in der Branche, konzentriert sich auf die Sparten, die eine Expansion im Ausland zulassen, beispielsweise die Discounter unter dem Namen "Plus": Billigläden im Stil von Aldi, wo ein schmales Sortiment direkt ab Palette verkauft wird, sollen der Tengelmann-Gruppe einträgliche Geschäfte in Süd- und Osteuropa bescheren.

Doch ausgerechnet für die Supermärkte, die den traditionsreichen Namen Tengelmann tragen, weiß die Eigentümer-Familie keinen anderen Ausweg mehr, als bei der Konkurrenz Hilfe zu suchen. Nun stehen Verhandlungen über eine Allianz mit der Hamburger Edeka AG kurz vor dem Abschluss, klipp und klar heißt es in Mülheim: "Edeka hat ein gutes Konzept". Dass Tengelmann nur die bedienungsintensiven Supermärkte der Konkurrenz anvertraut, ist typisch für den Strukturwandel der Branche. "Der Supermarkt steckt in der Klemme", fasst Herbert Kuhn, Leiter der Handelsforschung bei der Frankfurter Beratungsgesellschaft M + M Eurodata das Kernproblem zusammen. Während die kleinen Discounter wie "Aldi" oder "Lidl" und die großflächigen Märkte auf der grünen Wiese ("Real" von Metro, "Toom" von Rewe oder "Kaufland" und "Handelshof" von Lidl & Schwarz) zulegten, werde das Geschäft für die mittelgroßen Supermärkte immer schwieriger. Die Probleme liegen auf der Hand: Bei den Preisen haben die Discounter mit ihrem Minisortiment in spartanisch eingerichteten Läden die Nase vorn, wer dagegen eine wirklich große Auswahl sucht, etwa exotisches Obst, frischen Fisch und ausgefallene Käsesorten, findet diese in den Supermärkten auch nicht - Mittelklasse eben.

In der Branche wird schon darüber spekuliert, wer als nächstes in Not gerät. Vor allem Spar gilt als Wackelkandidat, auch wenn der französische Mehrheitseigner Intermarché dieser Tage seine Unterstützung bei der Umstrukturierung zugesagt hat. Zudem wird wohl eine Reihe kleinerer Handelsunternehmen unter der derzeitigen Konzentrationswelle begraben werden, erwartet Herbert Kuhn von M + M Eurodata.

Inzwischen haben die Handelsriesen begonnen, sich selbst zu zerfleischen - mit Dumpingpreisen quer durchs Sortiment. Die zerstörerische Kraft der Preislawine wird bald sichtbar werden - schließlich lag die durchschnittliche Umsatzrendite im deutschen Lebensmitteleinzelhandel schon bisher unter einem Prozent. Dazu kommt ein schrumpfender Gesamtmarkt. Bleibt den Deutschen durch Steuerentlastungen oder steigende Löhne mehr im Geldbeutel, entscheiden sie sich selten für edlere Wurst oder besseren Wein, sondern gehen häufiger ins Kino oder sparen für den Urlaub. Wo der Spielraum derart eng ist, könnten durch Preiskämpfe auch große Unternehmen ins Schlingern geraten, meint Gerd Härig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Wenn auch an spektakulären Pleiten niemand zu denken wagt, so ist doch auch für Handelsforscher Kuhn klar: "Heute geht es eindeutig um Verdrängung."

Susanne Preuss

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