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Wirtschaft: Die heimliche Wut der Sachverständigen

Die Politik bestellt zahllose Gutachten bei Ökonomen – und ignoriert sie. Das nervt die Experten. Sie fordern mehr Macht und Einfluss

Berlin. „Die Politik nimmt die Volkswirtschaftslehre immer weniger ernst“, sagt der Berliner Wirtschaftsprofessor Michael Burda. Und weil das so ist, hat der Wissenschaftler Anfang des Jahres als erster Kandidat überhaupt in der Geschichte des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Berufung in das Gremium abgelehnt. Dabei gilt die Gruppe der Professoren, die „Fünf Weisen“, als wichtigste Beratertruppe in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Seit diesem Affront ist der Einfluss von Wissenschaftlern auf die Politik nicht gerade größer geworden. Im Gegenteil: Ob die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme zusammentritt oder die sechs Wirtschaftsinstitute ihre Konjunkturgutachten vorlegen, ist fast egal: Die Politiker, die die Forschung bestellt haben, lehnen die Expertisen kühl ab oder ignorieren sie. Und die Wissenschaftler lassen sich nach Hause schicken, um beflissen wieder zu Diensten zu sein, wenn die nächste Kommission berufen wird. Zum 40. Jubiläum, das das Gremium der „Fünf Weisen“ heute in Berlin feiert, haben sie trotzdem Kanzler Gerhard Schröder eingeladen – und hoffen, dass er ihnen mehr Wertschätzung entgegenbringt als alljährlich im November, wenn sie ihm ihr hunderte Seiten dickes Jahresgutachten übergeben.

Dabei sind die Vorgaben der Politik präzise: Sie wolle Rat, keine vielstimmigen Diskussionsergebnisse, hatte Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) von der Rürup-Kommission verlangt. Ein Votum und keine Debattenbeiträge erwartet auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) von seinen Ratgebern. Vergeblich. Allzu oft bekommen beide Politiker nicht einen, sondern zu viele Tipps, was in Zukunft zu tun sein könnte.

Die Forscher selbst sind sogar stolz auf diese Kritik. Bei der Vorlage des Frühjahrsgutachtens im April erklärten zwölf Experten, was mit dem Werk gemeint sei – in verschiedenen Versionen. „Das ist ein großer Vorteil“, sagt Gustav Horn, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Nirgends gebe es eine so lebhafte Debatte über die Konjunktur wie in Deutschland, nirgends stünden die Prognostiker – vom DIW, dem Münchner Ifo-Institut, dem Kieler Institut für Weltwirtschaft, dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv und dem Institut aus Halle – so unter Erfolgsdruck. Das bekomme der Arbeit prima, so Horn.

Doch auch die Regierung ist schuld daran, dass der wissenschaftliche Sachverstand in der Tagespolitik selten eine Rolle spielt, findet Humboldt-Professor Burda. „Die Regierung muss die Ratschläge, die ihr ihre Wirtschaftsberater geben, ernster nehmen“, sagt er. „Bislang ignoriert sie sie weitgehend und gibt vor, alles besser zu wissen als diejenigen Ökonomen, die die Gutachten erarbeiten.“ Burda schlägt vor, sich an der Politikberatung Marke USA zu orientieren. Dort ist der Expertenstab direkt dem Präsidenten unterstellt und hat mehr Macht, seine Ideen umzusetzen. Burda: „Damit wären die Berater zum einen viel einflussreicher. Zum anderen ließe sich so das Geld, das in Deutschland für zahlreiche Gremien und Institute ausgegeben wird, effizienter einsetzen.“

Auch andere Hochschul-Professoren zweifeln an der Arbeit der Institute. Manfred Neumann, Ökonom aus Bonn, findet die halbjährlichen Prognosen ziemlich überflüssig – weil er die Arbeit für fragwürdig hält. Die Institute giften zurück, dass die Kritik der Universitäts-Wirtschaftswissenschaftler eigennützig sei: Die Uni-Pprofessoren seien selbst an den rund 25 Millionen Euro Wissenschaftsförderung interessiert. Um die Gutachten und die Qualität der Politikberatung gehe es in Wirklichkeit gar nicht.

Pikant daran ist, dass es die Uni- Professoren sind, die derzeit die Arbeit der Institute überprüfen. Denn nach fünf Jahren sind sie wieder reif für eine Bewertung ihrer Förderwürdigkeit durch den Wissenschaftsrat. Was herauskomme, sei schon jetzt klar, unken die Institute: „Sie werden die Institute förderwürdig finden, die stark in der Politikberatung sind. Die Politikberatung aber werden sie schlecht finden. Dann werden sie uns vernichtend kritisieren für die Arbeit, die sie selbst uns aufgeben.“ In diesem Jahr ist das HWWA zur Prüfung dran, 2004 die Kieler und das DIW, 2005 die anderen.

Kein Wunder, dass der Verteilungskampf ums Geld tobt. Kein Wunder auch, dass die meisten Wissenschaftler im Moment lieber nur ganz leise und für sich sagen, wie satt sie das Geschäft mit der Politik haben. „Wir können nur beraten, aber doch nicht für die Politiker entscheiden“, murren sie, wenn wieder einmal ein Papier öffentlich zerrissen wird. Und dann gehen sie doch wieder hin, wenn die Politik ruft: Weil es vielleicht noch stimmt mit der Unabhängigkeit von Forschung und Lehre in Deutschland. Aber nicht mehr mit der der Politikberater.

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