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Wirtschaft: „Die Jahre des Verzichts sind vorbei“

IG Metall freut sich über Stahlabschluss – Arbeitgeber klagen über Erpressung und fürchten Stellenabbau

Berlin - Der Tarifabschluss in der westdeutschen Stahlindustrie wird von den Beteiligten völlig unterschiedlich bewertet. Während sich Gewerkschaftsvertreter über ein „überdurchschnittlich gutes Ergebnis“ freuten, sprachen Arbeitgeber am Mittwoch von einem „erpressten“ Tarifabschluss, der kein Vorbild für andere Branchen sein könne. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) schlug sich auf die Seite der positiven Interpreten. „Ich bin außerordentlich froh, dass ein Streik vermieden werden konnte“, sagte Clement in Berlin. Der Stahlabschluss sei „wieder ein Beweis dafür, dass die Tarifpartner in Deutschland hart, aber fair mit dem Blick aufs Ganze den Tarif verhandeln“. Das deutsche System der Tarifautonomie und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen „bestärken einander“, meinte der Minister.

Am frühen Mittwochmorgen hatten sich IG Metall und Stahlarbeitgeber in Dortmund auf einen Abschluss für die 85000 westdeutschen Stahlarbeiter geeinigt. Danach bekommen die Beschäftigten ab September 3,5 Prozent mehr Geld, für die Zeit von April bis August gibt es eine Einmalzahlung von 500 Euro, den Azubis werden 100 Euro gezahlt. Der Tarifvertrag läuft bis Ende August 2006. Für die rund 8000 Beschäftigten der ostdeutschen Stahlindustrie sind für den 19. Mai die nächsten Tarifverhandlungen anberaumt. Die IG Metall geht davon aus, dass der Dortmunder Abschluss auch in Ostdeutschland übernommen wird.

IG-Metall-Chef Jürgen Peters begrüßte das Ergebnis mit den Worten, „die Jahre des Verzichts sind vorbei“. Die Beschäftigten würden nun an der guten Situation der Stahlindustrie beteiligt. Voraussetzung dafür sei der Beschluss der IG Metall über die Durchführung der Urabstimmung gewesen. Wenn sich die Tarifpartner nicht geeinigt hätten, wäre es am Freitag zur Abstimmung über einen Streik gekommen. „Die Entschlossenheit der Beschäftigten, ihre Forderung in letzter Konsequenz über einen Arbeitskampf zu vertreten, hat Wirkung gezeigt“, meinte Peters. Das bestätigte Volker Becher, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Stahl. „Zugestimmt haben wir dem Abschluss vor allem wegen der von der IG Metall eingeleiteten Eskalation des Tarifkonflikts.“ Der Abschluss sei „kein Kompromiss, wie er vernünftigerweise am Ende einer Tarifauseinandersetzung stehen sollte“, sagte er.

Vertreter der Stahlkonzerne äußerten sich zuerst erleichtert über die Vermeidung eines Streiks. „Ein Arbeitskampf hätte weitere schwere Dämpfer für einen dringend notwendigen Konjunkturaufschwung gebracht“, sagte ein Sprecher von Thyssen-Krupp. Salzgitter-Chef Wolfgang Leese sprach von „erheblichen Belastungen“ für das Unternehmen. „Selbst für die Sondersituation der Stahlindustrie wird dieser Abschluss nur schwer verkraftbar sein und weitere Rationalisierungen nach sich ziehen“, befürchtete Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Abschluss sei von der IG Metall „durch massive Streikandrohungen erpresst“ worden und „auf keinen Fall auf weitere Branchen übertragbar“.

Am Donnerstag gehen die Tarifverhandlungen für die Druckindustrie in die nächste Runde, in den kommenden Wochen folgen der Handel und die Chemieindustrie. Für die 200000 Drucker fordert Verdi 3,7 Prozent mehr Geld, für die 3,5 Millionen Beschäftigten im Handel 3,5 Prozent. Die Chemiegewerkschaft geht ohne konkrete Forderung in die Gespräche. Hundt warnte die Tarifpartner vor Lohnabschlüssen oberhalb des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachses, der vom Sachverständigenrat auf 1,2 Prozent geschätzt werde. „Jeder Abschluss darüber wird weitere Arbeitsplätze gefährden und die Wachstumskräfte schwächen“, sagte Hundt.

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser klagte, der Dortmunder Abschluss werde die Metall- und Elektrofirmen als Käufer von Stahl „hart treffen und das Geschäft weiter erschweren“. Auf die aktuell gute Lage der Stahlkonzerne hätte Kannegiesser zufolge mit einer höheren Einmalzahlung und einer geringeren prozentualen Erhöhung reagiert werden sollen. Vertreter der Autoindustrie und der Baubranche warnten die Stahlbranche davor, nun die Preise weiter anzuheben.

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