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Wirtschaft: „Die Leute glauben, dass sie klüger als andere sind“

Reinhard Selten, Wirtschafts-Nobelpreisträger, über Chancen an der Börse, die Spekulationssteuer und die Grenzen des Homo Oeconomicus

Herr Selten, lässt sich an der Börse langfristig noch Geld verdienen?

Ja, das glaube ich schon. Mit Gewissheit kann man dies natürlich nie sagen. Zum Beispiel kann uns der Gesetzgeber einen Strich durch die Rechnung machen.

Wenn er so wie jetzt die Bundesregierung die Spekulationsfrist abschafft und Kursgewinne besteuert?

Das wird selbstverständlich das Anlegerverhalten und die Altersvorsorge, die auf die Wertpapiermärkte setzt, negativ beeinflussen. Alles, was da erwogen wird, würde die Anlage in Aktien ungünstiger machen – wenn auch 15 Prozent Pauschalsteuer noch vertretbar sind.

Wird der Fiskus denn die erhofften Einnahmen erzielen?

Nein. Der Staat wird nicht viel einnehmen mit der neuen Spekulationssteuer. Es werden stattdessen hohe Verwaltungskosten entstehen, die zu großen Teilen die Banken zu tragen haben. Das finde ich sehr bedenklich, wenn hemmungslos Steuerpläne gemacht werden, die die Privaten – seien es Unternehmen, Banken oder auch Anleger – mit Verwaltungsaufwand belasten.

Pessimisten glauben, dass der Staat ohnehin leer ausgeht, weil die Kurse nun nach dem Absturz der Aktienmärkte über Jahre hin stagnieren oder gar fallen werden. Sie sind da optimistischer. Warum?

Die Entwicklung der vergangenen Wochen hat gezeigt, dass die Kurse auch wieder steigen können. Ich glaube, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Es gibt im Moment auch für den privaten Anleger Chancen, günstig zu investieren. Aber er sollte sich nicht an kurzfristige Bewegungen hängen, sondern eine langfristige Strategie entwickeln.

Aber die von der InvestmentLobby versprochene Durchschnittsrendite von zehn Prozent pro Jahr ist passé?

Wenn man auf dem Kurs-Gipfel eine solche Prognose macht, kommen natürlich fantastische Zahlen heraus. Nach dem Absturz sieht das jetzt anders aus. Wir haben in den Jahren 1999 und 2000 eine typische Spekulationsblase erlebt. Es war eine Atmosphäre, in der die Menschen glaubten, sie könnten an der Börse viel Geld verdienen, weil es ihnen vorgemacht wurde. Als die Kurse schon sehr hoch standen, haben viele geglaubt, sie würden früher als andere merken, dass es wieder bergab geht. Das ist ein Phänomen, das mein Kollegen Daniel Kahnemann mal mit Arroganz beschrieben hat: Die Leute glauben, dass sie klüger als der Durchschnitt sind.

Was man von einem Nobelpreisträger wohl behaupten darf. Welche Strategie empfehlen Sie?

Man kann wissenschaftlich keine optimale Anlagestrategie begründen. Man kann höchstens langfristig etwas sagen: Wer heute sein Geld anlegt, wird nach meiner Auffassung langfristig keinen Fehler machen.

Soweit so gut. Aber wo sollten wir unser Geld anlegen?

Es ist zum Beispiel empirisch nachgewiesen, dass Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis nach fünf Jahren eine positive Rendite erzielen. Ich persönlich achte auf das KGV und die Dividendenrentabilität. Ich halte nichts von Unternehmen, die nie etwas ausschütten. Interessant ist auch die Beobachtung, dass die bekannteren Aktien langfristig einen niedrigeren Ertrag bringen.

Warum?

Die Unternehmen finden mehr Beachtung, und deshalb wird auch häufiger mit ihren Aktien spekuliert. Daher schwanken diese Aktien auch stärker. Das betrifft zum Beispiel die Standardwerte und Aktien, die in einem Index vorkommen.

Aber es heißt doch, dass Anleger, die ein höheres Risiko eingehen, auch einen höheren Ertrag erzielen können?

Ja, aber das ist empirisch nicht nachgewiesen. Das zeigt sich beim Handel mit Optionsscheinen. Hier verlieren Kleinanleger im Durchschnitt ihr Geld. Das ist, als würden sie Lotto spielen. Geringere Volatiliät, also Kursschwankung, bedeutet höheren Ertrag. Das ist mit der traditionellen Wirtschaftstheorie nicht zu erklären – sehr wohl aber mit der Verhaltenstheorie. Es machen sich an der Börse, wo viele Akteure zusammen kommen, eben auch Hoffnungen und Befürchtungen breit, die auf die Kurse wirken.

Und was ist mit den harten Fakten?

Der Fundamentalwert einer Aktie oder eines Unternehmens ist nicht unwichtig. Aber die Kurse entfernen sich oft sehr weit davon, weil sich an bestimmten Unternehmen die Phantasie der Anleger entzündet. Es ist aber vernünftig zu erwarten, dass diese Bewegung nicht unendlich weitergeht. Längerfristig setzt sich der Fundamentalwert durch.

Warum verhalten sich die Akteure dann so irrational?

Ich bin vorsichtig mit dem Begriff der Irrationalität. Das, was von der Masse der Menschen getan wird, würde ich nicht – ohne weiteres – als irrational bezeichnen. Es ist eine eingeschränkte Rationalität.

Das heißt?

Die Leute sagen ja nicht: Ich kaufe am 13., weil die 13 meine Glückszahl ist. Solcher Aberglaube wäre irrational. Aber das, was an der Börse passiert, hat nichts mit Aberglauben zu tun. Die Akteure stellen schon gewisse Überlegungen an. Das die nicht immer stimmig sind, nun ja. Aber sie mögen in anderen Zusammenhängen durchaus Sinn machen – und werden vielleicht nur falsch auf die Börse übertragen. Die menschliche Entscheidungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Die Rationalität ist nicht so unbegrenzt und lückenlos, wie das in der Wirtschaftstheorie meist angenommen wird. Es ist aber auch verfehlt, davon zu sprechen, dass die Menschen irrational handeln.

Aber an der Börse neigen sie besonders dazu?

Ich weiß nicht. Am Kapitalmarkt werden täglich Preise, Kurse und Kennzahlen veröffentlicht. Also, an sich wird über das Geschehen an der Börse sehr gut informiert. Natürlich weiß man nicht alles und nicht immer, was in den Unternehmen geschieht. Das ist aber weniger das Problem. Es wird häufig so getan, als hätten wir zu wenige Informationen. Aber wir haben eher zu viele. Der Einzelne ertrinkt in einer Informationsflut. Verarbeiten können wir das alles nicht. Die Verhaltenstheorie nennt das eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität.

Sie führt dazu, dass wir neue Informationen überbewerten...

Das ist zweifellos richtig. Daniel Kahnemann und Amor Tversky haben dieses Phänomen mit der so genannten Theorie der nervösen Frösche erklärt: Neue Informationen werden in ihrer Bedeutung häufig überschätzt. Wenn eine gute Nachricht kommt, wird erwartet, dass es zu Kurssteigerungen kommt. Und es führt auch tatsächlich dazu. Das ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Von kurzfristigen Bewegungen, die auf diese Weise ausgelöst werden, können aber nur Profis profitieren. Für Kleinanleger ist das nicht von Bedeutung, weil sie gar nicht so schnell auf neue Informationen reagieren können.

Wenn es aber an den Informationen nicht liegt, dass wir unvernünftig handeln, woran liegt es dann?

Wir können die Zukunft nicht vorhersagen. Die ist nicht allein von Informationen abhängig. Selbst wenn man alle Informationen hätte, wüsste man nicht genau, was die Menschen tun werden. Das lässt sich nicht eindeutig festlegen. Wenn wir eine Spekulationsblase haben, dann können wir zwar sehr gut vorhersagen, dass sie einmal platzen wird – nur nicht, zu welchem Zeitpunkt und auf welchem Kursniveau.

Herr Selten, sie haben über Jahrzehnte Menschen als wirtschaftlich Handelnde in der Theorie und in der Praxis beobachtet. Muss der klassische Homo Oeconomicus neu entworfen werden?

Das Bild des Homo Oeconomicus muss sehr stark reformiert werden. Der wirtschaftlich Handelnde hat, anders als man bisher annahm, nicht nur seine materielle Wohlfahrt im Blick. Sondern er ist zu erheblichen Teilen interaktiv motiviert und lässt sich von unlogischen Überlegungen leiten. Zum anderen hat man die eingeschränkte Rationalität des menschlichen Entscheidens nicht genügend berücksichtigt in der Ökonomie.

Liefert uns die herrschende Wirtschaftstheorie denn noch brauchbare Erkenntnisse?

Die herrschende ökonomische Theorie ist eine Maschinerie, die man auf alle wirtschaftlichen Probleme sofort anwenden kann. Es ist eine sehr gut ausgearbeitete Maschinerie – nur führt sie häufig in die Irre. Sie ist aber nicht völlig falsch. Solange wir nichts Besseres haben, wird man darauf zurückgreifen müssen. Man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass das Bild des Menschen, das dieser Theorie zugrunde liegt, falsch ist.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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