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Wirtschaft: Die Macht der Netze: Die Eisenbahn ist aller Netze Anfang

Es war 4760 Kilometer lang und 7000 Tonnen schwer. Es verkürzte den Seeweg zwischen Europa und Amerika um keinen Millimeter, und doch knüpfte das erste transatlantische Telegrafenkabel im Jahre 1866 eine Verbindung, die die Entfernung zwischen beiden Kontinenten schrumpfen ließ.

Es war 4760 Kilometer lang und 7000 Tonnen schwer. Es verkürzte den Seeweg zwischen Europa und Amerika um keinen Millimeter, und doch knüpfte das erste transatlantische Telegrafenkabel im Jahre 1866 eine Verbindung, die die Entfernung zwischen beiden Kontinenten schrumpfen ließ. Was zuvor eine lange, teure und oft gefährliche Schiffsreise erforderte, nämlich eine Botschaft von Kontinent zu Kontinent zu schicken, war jetzt eine Sache von wenigen Minuten. Aus dem ersten transatlantischen Telegrafenkabel ist in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten ein dichtes Geflecht aus weltumspannenden Netzen geworden - eine Infrastruktur, welche die Grundlage für eine neue Form des Wirtschaftens, die New Economy, bildet.

Alles begann mit einem anderen Netz: der Eisenbahn. Der Ausbau des Schienennetzes mit seinen vielfältigen Transportmöglichkeiten hatte entscheidenden Einfluss auf die Industrialisierung und veränderte das Leben der Menschen von Grund auf. Mit der Eisenbahn konnte ein neuer Kontinent erschlossen, Nordamerika erobert werden. Netze verändern die Welt: Die Eisenbahn steht am Beginn der ersten industriellen Revolution, der Durchbruch der modernen Telekommunikationstechnik steht am Ausgangspunkt der heutigen Veränderung.

Die Parallelen sind nicht zufällig. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entschied der Anschluss oder Nichtanschluss an das Eisenbahnnetz über Wohlstand oder Verfall einer Stadt. Einher mit dem Ausbau der Eisenbahn ging der wirtschaftliche Aufstieg des Landes. Die Hauptleistungen des Schienennetzes waren, Transportzeiten zu verringern, Transportkosten zu senken und damit Waren und Arbeitskräfte mobiler zu machen. Die Bedeutung von Entfernung schrumpfte. Das größte Problem der Siedler im amerikanischen Westen war, dass sie keinen Zugang zu den Märkten hatten. Erst mit der Eisenbahn konnten sie ihre Waren in die Großstädte des Ostens bringen.

Hochkonjunktur für die Zulieferer

Wer eine Eisenbahn baut, braucht viele Arbeiter und viel Kapital. Es waren die "backward linkages", die Nachfrage nach Vorleistungen wie Eisen und Stahl für den Bau von Schienen und Waggons, die die wirtschaftliche Bedeutung der industriellen Revolution ausmachten. Die Produzenten von Spitzhacken und Arbeitshosen hatten Hochkonjunktur. Unschätzbar ist auch der Wert, den der Eisenbahnbau zur Entwicklung der Kapitalmärkte beigetragen hat. Die Eisenbahngesellschaften, die in den USA Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden, waren ausnahmslos in privater Hand. Für den Bau des Bahnnetzes mussten sie Kapital aufbringen - das größte Volumen, das von einem Industriezweig je in Anspruch genommen wurde. Über Bankkredite allein war das nicht finanzierbar. Das Geld kam von Investoren aus aller Welt. Bis ins späte 19. Jahrhundert hatten die USA eine Außenhandelsstruktur wie ein Entwicklungsland: Sie exportierten Rohstoffe, in der Hauptsache Baumwolle, und importierten Kapital. Durch das Netz wurde alles anders. Doch nach dem Gründerboom kam, was kommen musste: Ernüchterung. Viele Strecken waren gebaut, 1869 die Verbindung zwischen Ost- und Westküste geschafft. Die Gesellschaften machten sich Konkurrenz, die Preise fielen. 1873 gingen viele Eisenbahnunternehmen Pleite, wurden von größeren geschluckt oder fusionierten. Am Ende blieben nur wenige große Gesellschaften übrig.

Im 20. Jahrhundert hat sich das Tempo der Entwicklung beschleunigt. 1993, mit dem Entstehen des World Wide Webs, wurden die ersten Internetfirmen gegründet. Sie mussten nicht einmal ein neues Netz bauen. Denn ein weltweites Telekommunikationsnetz gab es bereits. Wiederum wurde von privaten Investoren eine enorme Menge Kapital aufgebracht. Der derzeitige Zusammenbruch einzelner Internetfirmen ist abermals nur ein Prozess der Normalisierung. Das Netz selbst, die Telekommunikationsinfrastruktur, bricht keineswegs zusammen. Wie vor 150 Jahren beim Bau der Eisenbahn profitieren nicht nur die Internetfirmen. Geld verdienen auch jene, die die Vorleistungen erbringen: die Hersteller von Computern, Kabeln und Verbindungstechnik. Noch wichtiger als diese "backward linkages" sind im Internetzeitalter aber die "forward linkages": Wer Netzleistungen in den Produktionsprozess einbauen kann, hat einen Vorsprung vor der Konkurrenz.

Vernetzung überwindet Distanzen

Denn die New Economy erfasst alle Branchen: Global agierende Autohersteller nutzen die Netze, um die Zusammenarbeit mit Zulieferern weltweit zu optimieren. Der Preis für den Austausch von Informationen und die Zeit, die dafür benötigt wird, geht gegen Null. Handwerksbetriebe, die früher für den regionalen Markt produzierten, vergrößern ihren Kundenkreis und finden Abnehmer in aller Welt - ähnlich wie die Weizenfarmer des mittleren Westens den deutschen Bauern Konkurrenz machten. Vernetzung überwindet Distanzen: Das Eisenbahnnetz hat die Bedeutung von Entfernung reduziert. Im Internet kann man sie (fast) gänzlich ignorieren.

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