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Wirtschaft: „Die Menschen brauchen eine positive Perspektive“

Porsche-Chef Wiedeking über die Verantwortung von Managern, das Engagement bei VW und die große Koalition

Herr Wiedeking, Sie behaupten in Ihrem jüngsten Buch, dass Arbeitsplätze in Deutschland gar nicht zu teuer sind. Haben wir in den letzten 20 Jahren eine Gespensterdebatte über Standortkosten geführt?

Keine Frage, Deutschland hat einen hohen Lebensstandard und vergleichsweise hohe Lohnkosten. Aber wir haben auf vielen Gebieten gelernt, damit richtig umzugehen. Die eigentliche Herausforderung für das Management liegt nun einmal darin, von Deutschland aus wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das ist zu schaffen. Bei Porsche zum Beispiel erhöhen wir kontinuierlich unsere Produktivität.

Sie haben leicht reden. Porsche hat eine sehr geringe Fertigungstiefe von 20 Prozent und wälzt den Kostendruck auf die Lieferanten ab.

Was den Kostendruck angeht, muss ich Ihnen widersprechen. Porsche geht mit seinen Lieferanten fair um. Im übrigen fertigt nicht nur Porsche produktiv in Deutschland. Es gibt hier auch Unternehmen wie BMW, Mercedes und VW, die ebenfalls ordentlich Geld verdienen.

Abgesehen von VW sind das alles Premiummarken. Aber Branchenkenner wie Ferdinand Piech sehen für die Produktion von Massenmodellen keine Zukunft in Deutschland. Wie sehen Sie das?

Zunächst einmal: Premium zu sein ist noch lange keine Erfolgsgarantie. Die entscheidende Frage aber lautet: Wenn wir nur noch im Ausland fertigen wollen, was machen wir dann mit unseren hiesigen Mitarbeitern? Die Unternehmen und Manager tragen doch eine Verantwortung für diese Menschen. Wollen wir denn wirklich, dass die Deutschen nur noch im Dienstleistungsbereich tätig sind? Das funktioniert nicht. Wir müssen vielmehr in das Wissen und die Qualifikation der Menschen investieren.

Gute Ausbildung schützt vor der Verlagerung nach Osteuropa oder China?

Wenn man richtig gut ist, davon bin ich überzeugt, kann man auch in Deutschland wettbewerbsfähig für den Weltmarkt produzieren. Natürlich lassen sich woanders vielleicht ein paar Euro mehr verdienen. Aber Geld ist doch nicht alles. Wir Unternehmensführer haben schließlich eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

Die Premiummarke Audi baut zum Beispiel alle ihre Motoren in Ungarn. Ist das verantwortungslos gegenüber Deutschland oder verantwortungsvoll gegenüber dem neuen EU-Mitglied Ungarn?

Diese Entscheidung dürfte wohl in erster Linie aus steuerlichen Gründen getroffen worden sein. Ungarn und andere osteuropäische EU-Länder bieten für einige Jahre Steuervergünstigungen oder sogar Steuerfreiheit an und haben so Investoren ins Land geholt. Deshalb bin ich für faire Steuersysteme in Europa. Die Chancengleichheit sollte gewahrt sein.

Niedrige Steuersätze gehören zu den Maßnahmen, mit denen junge EU-Länder den Anschluss an die alten bekommen wollen.

Die attraktiven Steuersätze sind aber nur möglich, weil diese Länder von der EU subventioniert werden. Und die Subventionstöpfe der EU werden nicht unwesentlich mit deutschen Steuergeldern gefüllt. Es kann doch aber nicht sein, dass unsere Bürger mit ihren Steuern ausgerechnet die Verlagerung ihrer eigenen Arbeitsplätze finanzieren.

Es gibt doch nicht allein steuerliche Gründe für Verlagerungen.

Wir haben in Europa eine Kultur, die ein hohes Maß an sozialer Verantwortung erfordert. Davon sind leider viele abgerückt. Diese Leute argumentieren, der deutsche Werker müsse im Wettstreit mit dem polnischen und dem ukrainischen Werker bestehen. Darum geht es aber nicht. Die Unternehmer müssen vielmehr intelligente Geschäftsmodelle entwickeln, mit denen Beschäftigung auch hierzulande weiter möglich ist. Gerne wird vergessen, dass der Vorstand oder die Geschäftsführung nicht allein den Aktionären, sondern dem gesamten Unternehmen verpflichtet ist. Und dazu gehören auch die Mitarbeiter.

Sie haben leicht reden: Ihre Anteilseigner sind vor allem zwei Familien, eine feindliche Übernahmen von Porsche ist kaum möglich.

So einfach ist das auch nicht. Die Eigner von familiengeführten Unternehmen erwarten ebenfalls eine vernünftige Rendite. Jedes Unternehmen braucht deshalb ein Geschäftsmodell, mit dem es ordentlich wirtschaften und Gewinne erzielen kann. Und wenn das Geschäftsmodell nicht funktioniert, dann liegt das nicht an den Werkern, sondern am Management. Die einfachste Lösung ist dann immer, aus Deutschland wegzugehen und woanders, wo es billiger ist, zu produzieren. Für die Kultur, in der wir groß geworden sind und in der man sich um die Menschen kümmert, ist das aber zu wenig.

Sie lassen aus Kostengründen einen großen Teil des Geländewagens Cayenne im slowakischen Bratislava bauen.

Wir haben mit Volkswagen ein Gemeinschaftsprojekt für den VW-Touareg und unseren Cayenne. Deshalb haben wir Rohbau und Lackiererei beider Modelle an einem Standort. Man muss natürlich darauf achten, dass sich jedes Projekt betriebswirtschaftlich rechnet. Aus diesem Grund ist es für Porsche sinnvoll, die Karosserien für den Cayenne bei Volkswagen einzukaufen. Volkswagen hat rund um den Globus Werke, und das ist auch völlig in Ordnung.

Warum hat sich Porsche mit mehr als drei Milliarden Euro an dem Sanierungsfall VW beteiligt?

Wir haben uns das ganz genau angeschaut und sind zu der Überzeugung gelangt, dass diese Investition richtig ist. Der Kurs war niedrig, und wir hatten genügend Geld. Heute kümmern wir uns, wir beteiligen uns an den Diskussionen im Aufsichtsrat. Wir haben klare Vorstellungen und Erfahrungen, die wir dort einbringen können. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass Volkswagen seine Chancen nutzen wird.

Was ist bei VW in den letzten Jahren schiefgelaufen?

Vielleicht hätte man die eine oder andere Entscheidung anders treffen können – hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. So bringt beispielsweise der hohe Automatisierungsgrad in den VW-Werken nicht nur Vorteile, sondern bindet enorm viel Kapital. Außerdem sind Menschen bei Umstellungen häufig flexibler als Maschinen. Doch ich bin kein Historiker. Ich schaue nach vorn, damit künftig gemeinsam bestimmte Dinge anders gemacht werden.

Im vergangenen Herbst stand VW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder auf der Kippe. Hat Sie Aufsichtsratschef Ferdinand Piech damals gefragt, ob Sie nach Wolfsburg wechseln wollen?

Das stand überhaupt nicht zur Debatte. Ich bin Vorstandsvorsitzender von Porsche. Und ich stehe zu meiner langfristigen Verantwortung, die ich hier übernommen habe.

Haben Sie Ambitionen, als Nachfolger Piechs Aufsichtsratsvorsitzender zu werden?

Auch das ist heute kein Thema für eine öffentliche Diskussion.

Sie wollen das VW-Gesetz kippen, das eine Stimmrechtsbeschränkung zum Schutz vor einer feindlichen Übernahme festschreibt. Wie ist der aktuelle Stand?

Wir sind im Dialog mit den zuständigen Stellen in Brüssel und Berlin. Auf der letzten Hauptversammlung haben wir von unserem Anteil von 21,2 Prozent nur 20 Prozent als Stimmrechte in die Waagschale werfen dürfen. Das ist eine Form der Enteignung, die eindeutig gegen geltendes Recht verstößt. Dagegen wehren wir uns.

Bei der nächsten Hauptversammlung haben Sie dann 25,1 Prozent oder sogar noch mehr?

Sobald die letzte Genehmigung der Kartellbehörden vorliegt, werden wir unseren Anteil auf 25,1 Prozent aufstocken. Damit halten wir eine Sperrminorität, mit der man schon viel anfangen kann. Ob wir noch mehr Anteile und damit auch mehr Einfluss wollen, werden wir intern diskutieren.

Wie groß ist Ihr Einfluss auf die Politik? Ihrer harschen Kritik nach zu urteilen, finden Sie nicht viel Gehör in Berlin.

Ich war schon vor acht Jahren ein Verfechter der großen Koalition. Ich hatte damals gehofft, dass die großen Volksparteien die Probleme dieser Gesellschaft mit viel Sachverstand anpacken würden. Jetzt ist diese Koalition da und hätte die Mehrheit für Veränderungen. Eigentlich wäre das eine ideale Konstellation. Doch bisher ist noch nicht allzu viel erreicht. Da hätte ich mir schon etwas mehr Mut gewünscht.

An welcher Stelle?

Der Politik fehlt heute einfach eine klare Vision. Eine Gesellschaft, eine Volkswirtschaft oder ein Unternehmen funktioniert nicht ohne gemeinsame Ziele. Die Menschen wollen doch wissen, wo das Land, ihre Firma und sie selbst in zehn Jahren stehen. Wenn man ihnen aber keine positiven Perspektiven für die Zukunft anbietet, geht bei vielen Bürgern die Angst um, eines Tages auf der Verliererseite zu stehen. Sie haben ja schon heute oft das Gefühl, man würde ihnen permanent nur in die Tasche greifen. Viele haben deshalb ihr Selbstbewusstsein verloren und sehen zum Beispiel bei der Globalisierung nur noch die negativen Seiten und nicht mehr die Chancen.

Das trifft für Sie auch zu, schließlich plädieren Sie für Einfuhrzölle.

Man muss sich generell die Frage stellen, wie sich die großen Wirtschaftsräume künftig miteinander arrangieren sollen. Auch China erhebt Einfuhrzölle, für Autos beispielsweise 25 Prozent. Da ist es doch völlig legitim, wenn wir ebenfalls Zölle fordern, damit Waffengleichheit herrscht. Genauso müssen wir uns weltweit auf gewisse Mindeststandards in der Sozial- und Umweltgesetzgebung einigen, um den globalen Wettbewerb fair zu gestalten. Sonst wird in Zukunft nur noch in China oder anderswo produziert, zu Bedingungen, die ich keinem Werker wünsche, während die Leute bei uns auf der Straße stehen. Das dürfen wir einfach nicht zulassen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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