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Die Stadt der Zukunft ist elektromobil.

© Illustration: Sabine Israel

Die Mobilität der Zukunft: Das große Ganze denken

Digitalisierung, autonomes Fahren und E-Mobilität sind wichtige Treiber der Verkehrswende. Deutschland sollte bei dieser Entwicklung vorne mitspielen

Es war eine immense Herausforderung, die vor acht Jahren zur Gründung der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) führte. 2010 ging es darum, Mobilität neu zu denken: umweltfreundlich, ressourcenschonend und dennoch wettbewerbsfähig. Ebenso ging es darum, Stakeholder aus verschiedensten Branchen und Bereichen an einen Tisch zu bringen, die so noch nie zusammengearbeitet hatten. Seitdem hat sich viel getan. Elektromobilität wird immer alltagstauglicher. Sie ist und bleibt ein ambitioniertes und ohne Zweifel lohnenswertes Ziel – für unsere Gesellschaft, unsere Städte, unseren Wirtschaftsstandort. Nach wie vor haben wir viel zu tun, insbesondere auf dem Weg in einen Massenmarkt. Zudem wird ein erweiterter Fokus immer wichtiger: auf die Integration der verschiedenen Mobilitätsformen und auf die von Energie- und Mobilitätswende, die zusammenspielen müssen.

Deutschland ist ein internationaler Leitanbieter der Elektromobilität. Die deutschen Automobilhersteller erreichen mit ihren Elektrofahrzeugen in den wichtigen, internationalen Automobilmärkten einen höheren oder mindestens vergleichbaren Marktanteil gegenüber ihren konventionell betriebenen Fahrzeugen. In den USA beispielsweise stammen 16 Prozent der 2017 verkauften Elektrofahrzeuge aus Deutschland, während nur acht Prozent der Fahrzeuge Verbrennungsmotoren Made in Germany sind. Einen Sonderfall stellt dabei allein der chinesische Markt dar, in dem deutsche Elektrofahrzeuge – auch aufgrund staatlicher Regulierung – deutlich unterrepräsentiert sind. Insgesamt befinden sich derzeit rund 35 Elektrofahrzeugmodelle von deutschen Herstellern auf dem Markt. Bis 2020 werden es 100 sein.

Die Investitionen in Forschung und Entwicklung zahlen sich aus. Weltweit stammt jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität aus Deutschland. Hier dürfen wir nicht nachlassen, weder bei der Forschungsförderung noch beim Engagement der Wirtschaft.

Deutschland holt bei den leitmärkten für Elektromobilität auf

Deutschland holt auch bei den internationalen Leitmärkten für Elektromobilität auf. Bis Ende 2017 wurden 131 000 Elektrofahrzeuge – batterieelektrische, Plugin-Hybride oder Fahrzeuge mit Range-Extender – in Deutschland zugelassen. Das Maßnahmenpaket von Bundesregierung und Industrie hat erheblich dazu beigetragen, dass Deutschland im vergangenen Jahr weltweit mit 117 Prozent die höchste prozentuale Wachstumsrate bei den verkauften Stückzahlen aufwies. Eine detaillierte Hochlaufprognose wird die NPE demnächst veröffentlichen.

Entscheidend ist letztlich, dass alle Komponenten eines Mobilitätssystems nahtlos ineinander greifen – die Menschen wollen umweltfreundlich, aber auch reibungslos ihr Ziel erreichen. Steckersalat und inkompatible Ladepunkte gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Die von der NPE empfohlene und von der Bundesregierung umgesetzte Förderung der Ladeinfrastruktur zeigt deutliche Wirkung. Wenn die eingegangenen Förderanträge des Ladeinfrastrukturprogramms zügig umgesetzt werden, erreichen wir bis Ende des Jahres eine Verdreifachung der Normalladepunkte und nahezu eine Verzehnfachung der Schnellladepunkte. Deutschland wird in diesem Jahr über das weltweit erste flächendeckende Ladenetz an Autobahnen verfügen – mit jeweils mehreren CCS-Schnellladepunkten an rund 400 Standorten.

Auch die prognostizierte positive Beschäftigungsentwicklung bis 2020 bestätigt sich, und bis 2025 erwarten die Experten ebenso einen positiven Effekt. Auch, wenn wir uns in der Marktentwicklung noch mehr Geschwindigkeit gewünscht hätten, kann man insgesamt sagen: Die Elektromobilität in Deutschland ist auf einem guten Weg. Sie wird – hierzulande und weltweit – ein integraler Bestandteil umwelt- und klimafreundlicher Mobilität. Insbesondere in wachsenden Städten.

Die Elektrifizierung des Verkehrs ist ein langer Weg – und unterwegs sind neue, große Herausforderungen hinzugekommen. Die digitale Transformation verändert das Mobilitätssystem grundlegend und ermöglicht eine viel stärkere Vernetzung der Mobilitätsformen. Es wird darum gehen, Mobilität ganzheitlich zu denken. Dass sich der eMobility Summit des Tagesspiegels zu einem FutureMobility Summit weiterentwickelt hat, ist daher richtig. Vernetzung, automatisiertes Fahren, Sharing Economy und Elektrifizierung sind die technologischen Treiber der Mobilitätswende. Keinen dieser Treiber können wir isoliert betrachten.

Seit einigen Jahren erleben wir eine zweite Welle der digitalen Transformation. Sie wird ausgelöst durch eine Vernetzung und Individualisierung von Produkten und Diensten. Anpassungsfähige Systeme, die selbst lernen und autonom agieren, stellen die Digitalisierung auf eine neue technologische Basis. Fahrzeuge werden – wie Maschinen und Geräte aller Art – über das Internet vernetzt. Sie erheben und verarbeiten mit Hilfe ihrer Sensoren Daten aus der realen Welt und stellen die netzbasierten Dienste zur Verfügung.

Eigentums- und Nutzungsrecht der Daten rücken in den Mittelpunkt

Neuere Fahrzeuge haben eine IP-Adresse und sind darüber mit dem Hersteller verbunden. Sie sammeln, senden und erhalten Daten, auf deren Basis neue Dienstleistungen angeboten werden. Beispiele sind die Zustandsüberwachung des Fahrzeugs, eine vorbeugende Wartung oder auch die Assistenz in Notfallsituationen. Doch das ist erst der Anfang. Datenanalyse und künstliche Intelligenz gewinnen aus komplexen Daten in Echtzeit wertvolle Informationen. Sie folgen dem Prinzip „Mobility as a service“: Individualisierte Produkt-Service-Bündel werden auf den einzelnen Kunden zugeschnitten bereitgestellt – ein überragendes Nutzererlebnis.

Automobilhersteller wandeln sich damit zu Mobilitätsdienstleistern. Damit werden die Hoheit über die Daten und die Fähigkeit, diese mit Methoden des maschinellen Lernens zu interpretieren, zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Umso mehr rücken Fragen nach einem sicheren Datenaustausch über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg sowie nach Eigentums- und Nutzungsrechten in den Mittelpunkt der Diskussion.

Generell werden Fahrzeuge und ganze Verkehrssysteme lernfähig – sie erkennen Muster und Regelmäßigkeiten, etwa bestimmte Verkehrssituationen. Sie verhalten sich eigenständig – von der Reaktion auf Gefahrensituationen bis hin zum vollautomatisierten Fahren. Diese Leistung basiert auf Daten und auf Künstlicher Intelligenz. Diese ist hochgradig anpassungsfähig. Künstliche Intelligenz lernt und löst vorgegebene Aufgaben, ohne dass jeder einzelne Schritt vorher programmiert wurde. Das bedeutet auch: Ihren Aktionen fehlt eine Erklärungskomponente. Weil das System lernt, ist nicht jeder Arbeitsschritt im Nachhinein über die Programmierung erklärbar.

Daraus resultieren komplexe ethische und rechtliche Fragen. Vollautomatisiertes Fahren der Stufe 4, bei dem das System unter anderem eine lange Autobahnfahrt vollständig allein bewältigt, muss deshalb behutsam, gründlich und parallel zur sich entwickelnden Gesetzgebung auf Teststrecken erprobt werden. Schon heute sind teilautomatisierte Fahrzeuge mit Tempomat, ABS und Abstandshalter und hochautomatisierte der Stufe 3 mit Stauassistent auf der Straße. Sie erhöhen die Sicherheit bereits erheblich.

Automatisierter Individualverkehr und öffentlicher Verkehr werden sich verbinden

Autonomes Fahren wird den Mobilitätsmarkt insgesamt noch stärker verändern als die Elektromobilität: Der automatisierte Individualverkehr und der öffentliche Verkehr werden sich verbinden. Es entsteht ein neuer, großer Markt für individuelle und öffentliche Verkehrsangebote. Der Nutzen ist vielfältig: Höhere Sicherheit, soziale Teilhabe, bessere Ressourceneffizienz und auch wirtschaftlicher Wohlstand durch neue, innovative Geschäftsmodelle. Wir gewinnen an mobiler Freizügigkeit und Lebensqualität. Vor allem für ältere Menschen und damit für alternde Gesellschaften, aber auch für Pendler bringt eine automatisierte individuelle Mobilität ein Plus an Freizeit und ein Minus an Stress, den die Fahrt im dichten Verkehr mit sich bringt.

Fahrerlose Shuttles des öffentlichen Verkehrs, sogenannte ÖV-Shuttles, können besser ausgelastet werden und werden als kostengünstiges Taxi oder flexible Mitfahrzentrale zu einer spannenden Mobilitäts-Option. Sie bringen den Supermarkt ins Haus, ermöglichen Älteren oder Menschen mit Behinderung gesellschaftliche Teilhabe und fördern eine Wiederbelebung des ländlichen Raums. Wie die Entwicklung bis 2030 stufenweise erfolgen könnte, haben wir in der Acatech-Studie „Neue autoMobilität“ zusammengefasst.

Wir sind also dabei, Mobilität neu zu erfinden. Die Vernetzung, Automatisierung und Elektrifizierung verändert – im Zusammenspiel – das Gesicht des Verkehrs und damit unserer Städte und ländlichen Räume. Der FutureMobility Summit des Tagesspiegels trägt auch in seinem neuen Namen weiter das „e“, bildet jedoch das gesamte Zusammenspiel ab, das die Mobilität revolutioniert. Ein wichtiges Signal, denn Deutschland sollte bei der Neuerfindung der Mobilität vorne mitspielen – als Automobilstandort, als Pionier der Industrie 4.0 und auch als Vorreiter der Energiewende.

Professor Dr. Henning Kagermann ist Vorsitzender der Nationalen Plattform für Elektromobilität (NPE).

Weiter Artikel zur Mobilität der Zukunft finden Sie auf unserer Themenseite.

Henning Kagermann

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