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Wirtschaft: Die neue Rentenformel soll alle Probleme lösen

Längere Arbeitszeit, höhere Abschläge für Frührentner – die Rürup-Kommission hat ihre Vorschläge gemacht. Beschlossen ist bislang aber nur die Rentenanpassung für 2003

DIE REFORM DER SOZIALSYSTEME

von c. eubel, u.weidenfeld,

r. woratschka und C. brönstrup

Berlin. Eine neue Rentenformel soll die Entlastung für die Rentenversicherung bringen und die Finanzierungsprobleme der Rentenkassen mildern, sagen die Mitglieder der Rürup-Kommission, die sich in der kommenden Woche wieder treffen. Zu ihrer vielleicht letzten großen Sitzung. Vielleicht treffen sich die Sozialexperten aber auch Ende Juni noch einmal. So genau weiß das niemand zur Zeit, am wenigsten die Mitglieder der Kommission selbst.

Ihre wichtigsten Vorschläge haben die Experten jedenfalls gemacht. Und der allerwichtigste, der zur Rentenversicherung, hat dafür gesorgt, dass sich Gewerkschaften und Bundesregierung zerstritten haben. Bei der Gesundheit, so heißt es, könne man sich zur Not noch verständigen. Aber bei der Rente sei das ausgeschlossen. IG Bau-Chef Klaus Wiesehügel soll, so berichten Teilnehmer der Kommission, auf die Formel gestarrt haben, die der Darmstädter Sozialexperte Bert Rürup seinen Kommissionsmitgliedern vorgelegt hatte. Dann habe er den Kopf geschüttelt und gefragt: „Und wie soll ich so etwas meinen Leuten erklären?". Wiesehügel hat Recht. Die Formel ist kompliziert. Aber sie lässt sich erklären (siehe unten).

Die Experten schlagen mehrheitlich vor, die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zu verlängern und außerdem eine neue Rentenformel in Kraft zu setzen, damit die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht über 22 Prozent steigen können. Wer früher in Rente gehen will, soll das künftig erst dann tun können, wenn er mindestens 64 Jahre alt ist. Und dann muss er pro Jahr, das er früher in den Ruhestand geht, Rentenabschläge von 3,6 Prozentpunkten in Kauf nehmen. „Die Lebenserwartung steigt stetig – in den kommenden Jahrzehnten sogar deutlicher, als wir bislang erwartet haben“, sagte Axel Reimann, stellvertretender Geschäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), dem Tagesspiegel. Gleichzeitig sei die Zahl der Geburten rückläufig, und die Zahl der Erwerbspersonen werde langfristig sinken. „Um die Rentenversicherung weiter finanzieren zu können, muss ein sachgerechter Ausgleich zwischen den älteren Menschen und den jüngeren Erwerbstätigen geschaffen werden“, fordert Reimann. Wenn das gesetzliche Rentenalter langfristig auf 67 Jahre angehoben werde, könne dies auch auf mittlere Sicht zu dem Ziel führen, dass die Menschen tatsächlich zumindest bis 65 arbeiten.

Reformlasten werden verteilt

Damit versuchen die Reformer, die Lasten der Reform zu verteilen: Die Erwerbstätigen finanzieren ihren Teil der Rentenreform, indem sie zwei Jahre länger arbeiten. Und die jeweilige Rentnergeneration soll ihren Anteil leisten, indem die Rentenanpassung künftig dann niedriger ausfällt, wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern im System ändert. „Die Rürup-Kommission will den Rentenanstieg mit einer neuen Anpassungsformel dämpfen. Die Rentner müssen mehr Lasten tragen, wenn der Beitragssatz ein bestimmtes Niveau nicht übersteigen soll“, erklärt Reimann.

Wie bisher orientiert sich die jährliche Rentenerhöhung am Wachstum der Bruttolöhne in Deutschland. Abgezogen davon werden schon jetzt die Beiträge, die die Versicherten in Riester-Rentenverträgen für ihre private Altersversorgung leisten. Die summieren sich schrittweise auf vier Prozent der Bruttolöhne, und entsprechend hoch werden in der Endstufe auch die Rentenabzüge sein. Und auch, wenn die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung steigen, wird das bei der Rentenanpassung abgezogen.

Vorausgesetzt, das Verfassungsgericht sagt, dass dieses Verfahren in Ordnung ist – gegen die Abzüge wegen der Riester-Verträge wird zur Zeit geklagt – kommt in Zukunft ein weiterer Faktor dazu, mit dem die jetzige Rentenformel multipliziert wird: Verändert sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern zu Lasten der beruflich aktiven Generation, müssten nämlich eigentlich die Beiträge steigen. Denn wenn beispielsweise bisher 100 Erwerbstätige 50 Rentner finanzieren mussten, wird die Sache teurer, wenn dieselben 100 Erwerbstätigen im Jahr darauf 55 Rentner unterstützen.

Damit das aber nicht ungebremst passiert, will Rürup auch die Rentner an diesem Risiko beteiligen: Der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor berechnet das Beitragszahler/Rentner-Verhältnis im Vergleich zum vorherigen Berechnungsjahr. Dann wird die jeweilige Differenz mit einem Gewichtungsfaktor multipliziert. Der Gewichtungsfaktor sagt, welchen Teil des Alterungsprozesses der Gesellschaft die Alten übernehmen sollen und wie hoch der Teil ist, der den beruflich Aktiven zugerechnet wird.

Damit eine Rentenreform eine Weile lang hält, müsste ein solcher Gewichtungsfaktor bei rund 0,25 liegen, meinen Sozialwissenschaftler. Das heißt, dass die Rentner ein Viertel der Lasten tragen müssten, die sich aus einer Veränderung des Verhältnisses von Beitragszahlern und Alten ergäben. Auf die Dauer werde dieser Faktor das Rentenniveau insgesamt um zwei Prozentpunkte senken, sagen die Experten.

Nullrunde reicht nicht

Und was kann die Politik kurzfristig unternehmen, wenn schon zum Jahreswechsel 2004 erneut ein Beitragsanstieg droht? Je nachdem wie sich die Wirtschaft in diesem Jahr entwickele, müsse darüber nachgedacht werden, die Rentenanpassung um ein halbes Jahr zu verschieben, regt VDR-Vertreter Reimann an. „Das könnte einen Anstieg der Beitragssätze dämpfen, wenn auch nur in begrenztem Umfang“, sagt der Experte. Sollte die rot-grüne Regierung beschließen, den 19,5 Millionen Rentnerinnen und Rentnern im kommenden Jahr eine Nullrunde zu verordnen, würde das allerdings die Beiträge nur um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte entlasten. Schon jetzt rechnen die Rentenversicherer damit, dass 2004 die Beiträge von derzeit 19,5 auf 19,8 Prozent steigen müssen. Erst zu Jahresbeginn waren sie von 19,1 auf 19,5 Prozent angehoben worden.

Für dieses Jahr ist die Steigerung der Rentenbezüge dagegen perfekt. Am Freitag stimmte der Bundesrat einer knapp einprozentigen Erhöhung zu. In Westdeutschland steigen die Altersbezüge zum 1. Juli um 1,04 Prozent und in Ostdeutschland um 1,19 Prozent. Ende Februar waren noch Steigerungen von 1,25 Prozent für die alten und 1,4 Prozent für die neuen Bundesländer in Aussicht gestellt worden. Allerdings wurden die Zahlen korrigiert, weil die Lohnsteigerungen im vergangenen Jahr geringer ausgefallen waren als erwartet.

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