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Wirtschaft: „Die Politik verursacht Chaos zu Lasten der öffentlich Bediensteten“

Der Vorsitzende des deutschen Beamtenbundes, Peter Heesen, über die Privilegien der Staatsdiener, die Verbeamtung von Lehrern und Solidarität in Deutschland

Herr Heesen, vor einigen Tagen haben viele tausend Beamte in Hessen gegen das Sparpaket der Landesregierung demonstriert und gestreikt. Ist das in Ordnung?

Beamten ist Streik untersagt und das sollte auch so bleiben. Ich habe aber Verständnis für die Menschen, die sich wehrlos fühlen. Seit 1990 haben wir im öffentlichen Dienst 1,2 Millionen Stellen verloren, die Arbeitszeit wurde verlängert und die Einkommen gekürzt. Selbstverständlich stößt das bei vielen Menschen auf Unverständnis.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch meint, als Ausgleich für ihre Arbeitsplatzsicherheit könnten die Beamten länger arbeiten und auf einen Teil des Weihnachtsgeldes verzichten. Ist das so falsch?

Arbeitsplatzsicherheit ist ein hohes Gut. Aber alle Sparmaßnahmen, die wir in den letzten Jahren verkraften mussten, werden immer mit diesem Argument durchgesetzt. Irgendwann muss das auch mal aufhören, wenn wir die Attraktivität der Arbeitsplätze nicht gefährden wollen. Schon heute haben wir Probleme, Nachwuchs zu bekommen.

Hängen die Probleme nicht auch mit dem schlechten Image der Beamten zusammen?

Es gibt Politiker, die sich gerne die Beamten zur Zielscheibe nehmen, um von Problemen abzulenken. Wenn Frau Künast sagt, das Bildungswesen in Deutschland sei so schlecht, dass die Absolventen nur für den öffentlichen Dienst taugten, dann ist das eine ungeheure Beleidigung sowohl des Bildungswesens als auch aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Solche Sprüche haben Stammtischniveau.

Aber warum kommen diese Sprüche am Stammtisch an?

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wenn die Politik in einer Legislaturperiode 34 Gesetzespakete zur Reform des Steuerwesens macht – so war das zwischen 1998 und 2002 – dann ist das für die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst kaum noch umzusetzen. Die Politik verursacht Unsicherheit und Chaos, und die Beschäftigten müssen es ausbaden.

Können Sie verstehen, dass ein Industriearbeiter, der zur Sicherung seines Arbeitsplatzes länger arbeiten muss, sauer ist auf die Privilegien der Beamten?

Diese Privilegien sind zum größten Teil gar nicht mehr da. Die automatische Erhöhung der Bezüge gibt es im Beamtenrecht nicht mehr, sondern nur noch für Arbeiter und Angestellte. Oder nehmen sie das leistungsbezogene Besoldungssystem, das auf Grund unserer Initiative 1997 eingeführt wurde.

Berlins Innensenator Körting hat einmal gesagt, das öffentliche Dienstrecht sei „von alten Männern für alte Männer gemacht“.

Herr Körting hat eine ganze Reihe von Sparmaßnahmen durchgesetzt, und wenn er solche unpopulären Maßnahmen durchbringen will, dann braucht er Argumente. Und das läuft dann nach dem Beispiel Künast: Wir schießen erstmal die Truppe mit populistischen Sprüchen sturmreif und können dann mit dem Beifall der Öffentlichkeit bestimmte Maßnahmen durchsetzen.

Wenn jedes Bundesland für sich Arbeitszeit und Vergütung regelt, ist zwar die einheitliche Besoldung dahin. Aber könnte das nicht auch Föderalismus und Wettbewerb forcieren?

Wenn wir einen Wettbewerb der 16 Bundesländer haben wollten, dann müssten wir zuvor eine einheitliche Finanzsituation schaffen. Das ist trotz Finanzausgleich unmöglich. Es gibt Bundesländer - dazu zählen alle Ostländer, aber auch das Saarland oder Bremen - die werden den Wettbewerb nicht bestehen und entsprechende Nachwuchsprobleme bekommen. Sie haben dann gute Lehrer in Stuttgart und weniger gute oder keine in den finanzschwachen Ländern.

Also ist Wettbewerb im öffentlichen Dienst nicht möglich?

Wir haben im öffentlichen Dienst einen anderen Auftrag: Wir müssen die Leistungen, die nur der Staat erbringt und erbringen kann, in allen Regionen der Bundesrepublik in gleicher Qualität anbieten. Deshalb sind wir gegen Wettbewerb bei der Besoldung.

Brauchen wir Beamte, um ordentliche öffentliche Dienstleistungen zu bekommen?

Nein. Hier kommt aber eine andere Frage ins Spiel: Wie sicher ist die Erbringung dieser Leistung? Der Bürger muss sich auf staatliche Leistungen verlassen können. Da, wo Arbeitskampf möglich ist, geht das nicht. Es gibt zum Beispiel die Debatte um den Status der Lehrer. Ich bin der Ansicht, die Lehrer erledigen eine hoheitliche Aufgabe und sollten deshalb auch verbeamtet sein.

Lesen lehren ist eine hoheitliche Aufgabe?

Wenn der Lehrer entscheidet, ob ein Schüler versetzt wird oder ob er einen Abschluss bekommt, dann greift er doch stärker in das Lebensschicksal eines Menschen ein, als zum Beispiel der Zollbeamte an der Grenze. Die berufstätige Mutter muss die Gewissheit haben, dass nicht eines Tages an der Schule steht „Wegen Streik heute geschlossen.“.

Also alle Lehrer verbeamten?

Dann hätten wir die Voraussetzung für funktionierende Schulen. Oder nehmen Sie die innere Sicherheit. Wenn die Polizei streiken dürfte, dann hätten wir ein Riesenproblem. Das wäre geradezu eine Aufforderung an Kriminelle und Terroristen, tätig zu werden.

Arbeitgeber und Gewerkschaften haben im Januar verabredet, das öffentliche Tarifrecht zu modernisieren. Wie ist der Stand?

Wir wollen das bis 2005 erreichen und dabei zum Beispiel mehr leistungsbezogene Elemente im Tarifsystem einführen. Wir wollen auch weniger tarifliche Regelungen, die Aufteilung in Arbeiter und Angestellte sollte aufgehoben werden. Ganz wichtig ist für uns die Flexibilisierung der Arbeitszeit, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Dadurch könne eventuell auch eine längere Öffnungszeit der Ämter erreicht werden.

Der öffentliche Dienst wird zu einem echten Dienstleister?

Das wollen wir. Ich kann den Mitarbeitern aber nicht vermitteln, dass sie besser werden sollen, sich weiterbilden und kompetent und freundlich mit ihren Kunden umgehen, wenn ihnen das Einkommen gekürzt wird.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der mühseligen Reform des Tarifsystems und der Situation der Gewerkschaften?

Das hängt mit der Individualisierung zusammen. Die Solidarität mit anderen ist nicht gefragt, der Gemeinsinn in Deutschland ist nicht mehr sonderlich ausgeprägt. Und ein Problem, das den öffentlichen Dienst betrifft, ist der Status des Dienstleisters: Die Dienstleistung nimmt man selbstverständlich in Anspruch, aber den Dienstleister schätzt man nicht sonderlich.

Ist die Agenda 2010 der Bundesregierung sozial gerecht?

Sicher nicht in jedem Punkt. Die Einkommensschwachen werden überproportional belastet. Was noch verheerender ist: Man hat den Eindruck, die Politik serviert den Menschen eine Sparmaßnahme nach der anderen und es nimmt kein Ende. Das schafft natürlich ein großes Misstrauen und führt zu einem Dauergemurre. Irgendwann gehen die Leute nicht mehr wählen sondern warten auf den großen Zampano. Das ist eine große Gefahr für unser politisches System.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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