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Wirtschaft: „Die Reform ist ein harter Eingriff“

Der Ökonom Bert Rürup über die Agenda 2010, mehr Wachstum und Gerechtigkeit

Herr Rürup, die Gewerkschaften werfen der Regierung vor, bei der Reformagenda 2010 „auf ganzer Linie“ versagt zu haben. Ist die Agenda gescheitert?

Ziel der Agenda ist es, durch Deregulierung, Flexibilisierung und die Senkung der Lohnnebenkosten die Beschäftigungsschwelle des Wirtschaftswachstums...

...also die Schwelle, ab der mehr Wachstum auch mehr Arbeitsplätze bringt...

...und die Einstellungsbarrieren bei den Arbeitgebern zu senken. Solche strukturellen Maßnahmen benötigen Zeit, um wirken zu können. Und von sich aus kann die Agenda – abgesehen von Vertrauenseffekten – auch keinen eigenständigen Wachstumsimpuls setzen. Aber es ist falsch zu sagen, die Agenda würde nicht wirken. Zumal so wichtige Elemente wie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe oder die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld erst in den nächsten Jahren in Kraft treten.

Dann war die Hoffnung auf mehr Arbeitsplätze schon in diesem Jahr verfrüht?

Ja, die Agenda ist für die Betroffenen nicht schmerzlos, sie ist aber dennoch eine richtige und notwendige Investition in eine höhere Beschäftigungsintensität der zukünftigen Entwicklung.

Die Arbeitslosigkeit ist im Juni real wieder gestiegen. Wie lange müssen wir uns noch gedulden?

Unsere Arbeitslosigkeit hat sich in 30 Jahren in Schüben aufgebaut und verfestigt. Und es gibt auch kein Patentrezept, dieses gesellschaftliche Übel in kurzer Zeit zu kurieren. Die Agenda leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Allerdings benötigt sie, um ihre Wirkung voll zu entfalten, Zeit und ein gewisses Wachstum, welches wiederum von der erhöhten Beschäftigung stimuliert würde.

Wie viel Wachstum erwarten Sie in diesem Jahr?

Gut 1,6 Prozent.

Und wann gibt es mehr Jobs?

In diesem Jahr wird der Rückgang der Erwerbstätigkeit spätestens im vierten Quartal zum Stillstand kommen, mit einer positiven Beschäftigungsentwicklung ist im nächsten Jahr zu rechnen.

Bringt die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe den großen Schub?

Diese Reform ist ordnungspolitisch wie arbeitsmarktpolitisch richtig. Es macht wenig Sinn, zwei steuerfinanzierte Systeme parallel laufen zu lassen. Und zu dem vorausgesagten drastischen Einkommensabsturz der Betroffenen wird es nicht kommen. Die erwartete Anreizwirkung, dass sich Arbeitslose intensiver um einen Job bemühen, dürfte in Westdeutschland zu mehr Beschäftigung führen. Ob diese Anreize auch in den neuen Ländern mehr Arbeit bringen, ist zweifelhaft. Dort gibt es einfach keine Stellen.

Ist die Arbeitsmarktreform gerecht?

Die Reform ist zweifellos ein relativ harter Eingriff. Aber es ist eine verengte Perspektive, soziale Gerechtigkeit immer an einer Verringerung von Einkommensungleichheit zu messen. Die Verbesserung der Beschäftigungschancen stellt einen ebenso wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit dar. Denn dauerhafte Massenarbeitslosigkeit und die damit verbundene Perspektivlosigkeit sind die größte soziale Ungerechtigkeit.

Wäre eine Reformpause nicht besser?

Nein. Eine Politik, die auf strukturelle Maßnahmen setzt, braucht einen langen Atem. Die Regierung sollte daher alle beschlossenen Maßnahmen wie geplant umsetzen. Ein Kurswechsel würde unser Land um die Früchte dieser richtigen Politik bringen.

Das Gespräch führte Maren Peters.

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