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Wirtschaft: Die Revolution der Reise

Wie Neckermann den Urlaub für alle erfand

Mit einem sechsseitigen Faltblatt beginnt vor 45 Jahren das Zeitalter der Pauschalreise in Deutschland. Es ist dem Katalog des Versandhauses Neckermann beigelegt und verspricht Einzigartiges: Wer will, kann für 338 Mark zwei Wochen nach Mallorca oder für 425 Mark zwei Wochen ans Schwarze Meer reisen. Flug, Hotel, Verpflegung – alles inklusive. Und das zu einem Preis, der anfangs um rund 30 Prozent unter den Preisen der Konkurrenz liegt.

Etwa 18 000 Deutsche buchen im ersten Jahr, Millionen sollen ihnen folgen. Mit Neckermann entdecken die Deutschen die Welt. „Götter, Geister und Pagoden zum Schnäppchenpreis“, wie der Journalist Thomas Veszelits in seinem 2005 erschienenen Buch über die Unternehmerfamilie schreibt. Verbrachten Mitte der fünfziger Jahre noch rund 90 Prozent der Deutschen ihren Urlaub in der Heimat, reisen sie nun nach Spanien, Jugoslawien und Rumänien, später auch nach Kenia, Thailand oder Japan. Im Jahr 1968 verbringen erstmals mehr Deutsche ihren Urlaub im Ausland als im Inland. Pauschalreisen werden zum Inbegriff billigen Urlaubs und die Deutschen an den Mittelmeerstränden ganz einfach zu „den Neckermanns“.

Und es werden immer mehr: 1970 kann das Unternehmen, das inzwischen „Neckermann und Reisen GmbH“ (NUR) heißt, den millionsten Gast feiern. Die große Zahl erlaubt es dem Unternehmen, Betten und Charterflüge günstig einzukaufen. Sein bestes Jahr schreibt es 1986/1987, als die Gästezahl eines Jahres erstmals eine Million übersteigt. Knapp zehn Jahre später sind es – nach Übernahmen anderer Reiseveranstalter – schon mehr als drei Millionen.

Heute ist Neckermann-Reisen die Hauptmarke des Touristikkonzerns Thomas Cook, der mehrheitlich zur Handelsgruppe Arcandor gehört. Pauschalreisen bietet der Konzern zwar immer noch an, aber das Geschäft ist schwieriger geworden. „Das Brot- und Buttergeschäft mit klassischen Pauschalreisen steht unter Druck“, sagt der Luftfahrt- und Touristikanalyst Stefan Schöppner von der Dresdner Bank. „Es ist heute viel leichter und günstiger als früher, sich selbst eine Reise über das Internet zusammenzuschustern“, sagt Schöppner. „Die Reiseveranstalter versuchen darauf zu reagieren, indem sie flexiblere Angebote machen und sich stärker auf Nischen konzentrieren – etwa auf hochwertige Rundreisen.“

Die Neckermänner wissen das. Michael Tenzer, der Direktor von Neckermann-Flugreisen, glaubt zwar fest daran, dass das Geschäft mit Pauschalreisen eine Zukunft hat. Das bestätige auch die aktuelle Buchungslage, wie er dem Tagesspiegel am Sonntag sagte. Allerdings sei es wichtig, „die Pauschalreise immer individueller gestaltbar zu machen.“ Das ermögliche Neckermann durch ein flexibles „Bausteinangebot“, bei dem sich der Gast vom Hotel über die Verpflegungsarten bis hin zum Flug seinen Urlaub aus rund 3400 Angeboten selber zusammenstellen könne. Mit den Pauschalreisen von 1963 hat das nur noch wenig gemein – und aus dem sechsseitigen Faltblatt sind inzwischen sechs Kataloge geworden. jto

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