zum Hauptinhalt

Wirtschaft: „Die Schmerzgrenze ist überschritten“

Währungsexperte Bofinger über die Eigendynamik und die Psychologie des Devisenmarktes

Herr Bofinger, warum ist der Euro so stark?

Weil die Märkte einem Trend folgen, der sich von den fundamentalen volkswirtschaftlichen Daten gelöst hat. Im Moment heißt es am Devisenmarkt: Anything goes!

Die DollarPessimisten haben aber gute Argumente: Die Zinsen in den USA sind niedriger als im Euroraum, die Wirtschaft kommt nicht richtig in Schwung, das Leistungsbilanzdefizit wächst…

Stimmt alles. Aber diese Argumente gelten schon seit langem. Als Argument für die derzeitige Dollarschwäche passen sie einfach jetzt ins Bild. Deshalb werden sie ständig wiederholt. Die Märkte suchen sich die zu den Wechselkurstrends passenden Fundamentaldaten – nicht umgekehrt. Zinsen, Preise, Wachstumsraten beeinflussen die langfristige Entwicklung der Wechselkurse so gut wie gar nicht. Das war auch so, als der Euro schwach war. Nur hat damals zum Beispiel niemand vom hohen Leistungsbilanzdefizit der USA gesprochen, weil es nicht gepasst hat.

Wie teuer wird der Euro noch?

1,30 Dollar sind bis Weihnachten möglich. Es sei denn, die Notenbank interveniert.

Und das alles, weil die Marktpsychologie es so will?

Das Problem eines so spekulativen Marktes ist, dass nicht mehr die individuelle Einschätzung des Einzelnen zählt, sondern die herrschende Meinung. Das ist wie beim Wein: Als spekulativer Weinhändler kaufe ich nicht den Wein ein, der mir persönlich am besten schmeckt, sondern den, von dem ich annehme, dass er in ein paar Jahren den internationalen Geschmack trifft. Es kommt also nicht auf meine persönliche Urteilskraft an, sondern auf meine Fähigkeit, die Urteile der anderen Marktteilnehmer beurteilen zu können. So entsteht Spekulation, die sich von den individuellen Präferenzen und den Fundamentaldaten löst.

Wann wird es gefährlich für die europäische und die deutsche Wirtschaft?

Wir haben die Schmerzgrenze schon überschritten. Ein Euro-Kurs von mehr als 1,18 Dollar ist vor allem für die deutsche Wirtschaft gefährlich. Die Exporteure spüren es ganz massiv, weil ihre Gewinnmargen im US-Geschäft schmelzen.

Treibt der Euro Deutschland in eine zweite Rezession?

Ein Euro über 1,20 Dollar wird das ohnehin schwache Wachstum, das für 2004 erwartet wird, auffressen.

Das Interview führte Henrik Mortsiefer.

-

Zur Startseite